Belästigungen: Das eine, einzige Leben, ertrunken in Rührei und Federn

Neulich saß ich mit einer lieben Freundin zusammen, die für den folgenden Tag ein Vorstellungsgespräch vereinbart hatte. Es ging um eine grundsätzlich sehr attraktive Stelle; dennoch meinte sie, am liebsten ginge sie gar nicht hin, weil sie sonst am Ende dort arbeiten müsse und sich nicht sicher sei, ob sie das überhaupt noch wolle, dieses Arbeiten.

Wir saßen unter einem Baum, die hellblaue Luft flirrte von der freudigen Erwärmung nach dreizehn oder fünfzehn Eisheiligen, im Krug schimmerte gülden das Malzgetränk, allenthalben herrschte Frohsinn, weil hier – abgesehen von den Biergartenangestellten, die müßig ratschend durch die Reihen schlurften und hie und da einen leeren Teller einsammelten – niemand arbeitete. „Belästigungen: Das eine, einzige Leben, ertrunken in Rührei und Federn“ weiterlesen

(Aus dem tiefen Archiv) Belästigungen #218: Zwei Großhirne auf dem Weg durchs Weltgedärm

Zwei Herren, die in Deutschland leider als recht bekannt gelten müssen, schockierten kürzlich das Gemeinwesen mit Ungnade: „Wenn ich jünger wäre und diese Aufgabe nicht hätte, wäre ich längst weg!“ tönte ein Herr Döpfner, dessen „Aufgabe“ darin besteht, Vorstandsvorsitzender des Springer-Konzerns zu sein. Recht hat er, möchte man meinen: Wenn der Mann sich nicht seine jüngere Lebensphase damit um die Ohren geschlagen hätte, durch den Darm der Axel-Cäsar-Witwe zu krabbeln, bis er es endlich hineingeschafft hatte ins Allerheiligste der Blut-und-Busen-Presse, – dann wäre er mit einiger Sicherheit tatsächlich weg. Vom Fenster.

Gemeint hat der Döpfner aber was anderes, in dem ihm Frank Schirrmacher, sein etwa gleichaltriger Kumpan von der FAZ (der sich auf dem Weg dorthin seinerseits durch die Eingeweide von Joachim Cäsar Fest wühlen mußte), bestätigend vorausgeeilt war: Die beiden, die zu den Mittätern der ekelhaften „Du bist Deutschland!“-Kampagne gehören, wollten wohl auch mit dieser Kampagne genau dies sagen: Weil Deppen wie du Deutschland sind, halte ich es hier nicht aus! Und wenn ich nicht so unglaublich wichtig wäre, daß ohne mich alles zusammenbräche, dann hätte ich mich längst verzupft!
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Frisch gepreßt #317: Echo & The Bunnymen „Meteorites“

Aufgrund von Gründen beschäftige ich mich derzeit intensiv mit Kosmologie. Beim gedanklichen Ergründen tieferer Strukturen des eigenartigen Universums, das uns umgibt und dessen Gegenwart möglicherweise zugleich ewige Vergangenheit und gegenwärtige Ewigkeit ist, klingen hin und wieder am entferntesten, der Vernunft in Richtung Wüste entfallenden Rand des Bewußtseins Musikfetzen auf. Immer dann, wenn die Weltformel oder ihre Denkbarkeit in den Sinn gerät, singt Ian McCullough mit der alles umflorenden Pelzstimme eines gestürzten Gottes: „What are you going to do with your life?“ „Frisch gepreßt #317: Echo & The Bunnymen „Meteorites““ weiterlesen

Belästigungen #435: Nämä Pakätt für Rollator nach Mariahilfplatz!

Daß Männer nicht multitaskingfähig sind, ist eine Binsenweisheit, für die ich jederzeit als Lehrmodell herhalten kann. Zum Beispiel stehe ich bis zu zehnmal täglich vor einem Gegenstand, ohne zu wissen weshalb und was der Gegenstand nun mit mir anfangen sollte oder umgekehrt oder beides. Dann ruft jemand an und erklärt mir in rauschendem Knisteramerikanisch, daß mit meinem „Microsoft“ was nicht stimmt, und nachdem ich ihn kurz beschimpft und aufgelegt habe, halte ich einen Zettel in der Hand, der leer ist, auf den ich aber vielleicht was schreiben wollte, wovon ich nicht mehr weiß, was es war.

Daß die Wohnungstür angelehnt ist, merke ich erst, als sich der Paketbote draußen räuspert. Ich trage die Sendung, die für irgendeinen möglicherweise längst verzogenen oder verstorbenen Nachbarn bestimmt ist, in das Zimmer, das vollgestellt ist mit Sendungen für möglicherweise längst verzogene oder verstorbene Nachbarn, und stelle fest, daß es dort Pflanzen gibt, die ich seit Wochen nicht gegossen habe, weil ich das Zimmer selten betrete, höchstens um Pakete für Nachbarn hineinzustellen. „Belästigungen #435: Nämä Pakätt für Rollator nach Mariahilfplatz!“ weiterlesen

Frisch gepreßt #316: Oasis „Definitely Maybe (Deluxe Edition)“

Eine Seifenblase ist etwas sehr Schönes. Sie schimmert und leuchtet in schwimmenden, zerfließenden, silbrigen Farben, und je genauer man hinsieht, desto mehr glitzernde, bunte Details entdeckt man. Wenn die Sonne sich darin spiegelt, strahlt die Blase in zeitvergessenem Glanz, und der ganze Himmel leuchtet aus ihrer unendlichen Rundung. Der ganze Himmel. Vor beinahe zwanzig Jahren waren Oasis zwei Jahre lang eine Seifenblase; schon ihr Name ließ daran denken, zumal in einer Zeit, als Rockbands mit Vorliebe Gruntruck, Brainslaughter oder Scattergun hießen. „Frisch gepreßt #316: Oasis „Definitely Maybe (Deluxe Edition)““ weiterlesen

Frisch gepreßt #315: Damon Albarn „Everyday Robots“

Neulich haben wir beraten, wieso das neue Album von Jan Delay so schlecht und das von Damon Albarn so gut ist. Die Begegnung war reiner Zufall; ebenso gut hätte es Lily Allen und Matthias Reim treffen können (na gut, den eher nicht, aber lediglich aus ideellen Gründen). Punkt eins, die Wahl der Feinde: Delay promotet sein 80er-Rockgeschmonze mit einer Heino-Nazi-Affäre, die bei aller Lächerlichkeit angesichts der unvermeidlichen Doppelporträts und Montagen vor allem darauf verweist, wie ähnlich sich die beiden sind. Albarn verlor, lang ist’s her, die „Schlacht“ um Platz eins gegen Oasis, verwandelte die momentane Niederlage in eine Serie von Triumphen auf den unerwartetsten Schauplätzen und hat seitdem schlichtweg keine Gegner mehr, weil er sich ohne Besitzansprüche alles einverleibte, was hip und cool war, von Afrofunk (mit Lilys Papa Tony Allen) über generationenumspannende Virtualität (Gorillaz) bis zum Inbegriff des Rock ’n’ Roll (mit Paul Simonon von The Clash). Halbgare Blur-Reunionen konnten ihm ebenso wenig anhaben wie paparazziträchtige Sufftorkeleien am hellichten Tag. „Frisch gepreßt #315: Damon Albarn „Everyday Robots““ weiterlesen

Frisch gepreßt #314: Leon Russell „Life Journey“

Als der Gott des Bluesrock einen Felsen suchte, auf dem er seine Kirche errichten konnte, fand er Claude „Leon“ Russell Bridges und suchte nicht mehr weiter. Die Kirche steht bis heute an der 3rd Street in Tulsa, Oklahoma, trägt den Namen Church Recording Studios, und dass die konfessionelle Zuordnung zur Sekte der Heiligen, Apostel und Jünger des Bluesrock Leon Russells irdisches Schaffen bei weitem nicht vollständig er- oder gar umfasst, zeigt die Liste der Musiker, die dort mit Russell ihre eigenen und immer wieder dessen Songs aufnahmen, mit ihm tourten und ihn von anderswo herbeiriefen, auf dass er sie segne, heile oder rette. „Frisch gepreßt #314: Leon Russell „Life Journey““ weiterlesen

Belästigungen #434: Nahost und Fernwest (und Nahsüd) in der gefühlten Vorkriegszeit

„Ist dir schon mal aufgefallen“, fragt N mit dem inquistorisch-kritischen Blick, der zu ihrer morgendlichen Zeitungslektüre dazugehört wie Kaffee und zwei Zigaretten, „daß der abscheuliche falsche nachgestellte Genitiv in kriegerischen Zeiten besonders stark grassiert?“

„Äh, nein“, sage ich. Seit Wochen schweigen Radio und Fernseh, weil mir von der blökenden Kriegspropaganda übel wird und das zwischendurch versendete Geplauder, das den Anschein erwecken soll, dies sei alles ganz normal, Kopfweh und Gänsehaut macht. Inzwischen lese ich auch keine gedruckten Instruktionen zum Denken und Meinen mehr. „Belästigungen #434: Nahost und Fernwest (und Nahsüd) in der gefühlten Vorkriegszeit“ weiterlesen

Belästigungen #433: Über rinks und lechz und manches, was man (nicht mehr) velwechsert

Nazis haben es nicht leicht. Das liegt (sorry, banal) daran, daß sie Rechte sind. Linke nämlich, das hat meine gesegnete Generation von ihren Schullehrern gelernt, sind verwahrloste, moralisch zerlumpte Gestalten, die grundsätzlich gegen alles sind, was Deutschland voranbringt, keinerlei Autorität achten und nichts im Sinn haben als zweifelhaft-zwielichtige Vergnügungen, qualmige Bewußtseinserweiterung, zügellose Triebbefriedigung, kindlich-kindische Ignoranz gegenüber sämtlichen Autoritäten und randalierende Mißachtung gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse – auf deutsch: Linke knallen sich die Birne zu, pimpern auch tagsüber, reden schlau daher und machen alles kaputt, was nicht ihnen gehört. Also: alles. Weil Linken sowieso nie was gehört, weil sie vor lauter Faulenzen, Pimpern, Aufmucken und Qualmen nicht zum Arbeiten kommen und deswegen als besitzlose Vagabunden durch die Welt strolchen. „Belästigungen #433: Über rinks und lechz und manches, was man (nicht mehr) velwechsert“ weiterlesen

Belästigungen #432: Iron Majdan: von Revolutionen und ihren Leberwürmern

Wenn Lebewesen Dinge tun, ist nicht immer ganz klar, wieso und wozu, besonders wenn es Dinge sind, die irgendwie inkonsequent, wirr oder komplett wahnsinnig wirken. Zum Beispiel wirkt es komplett wahnsinnig, wenn eine Maus vor Licht, Geräusch und sämtlichen anderen Phänomenen und Sensationen der Außenwelt panische Angst hat, nur vor einer Katze plötzlich nicht mehr. Wenn sie sich ihr vielmehr fröhlich entgegenwirft, als wäre das Krallenviech der langersehnte Erlöser aus dem Westen.

Das passiert aber, regelmäßig und zwangsläufig. Schuld daran ist ein anderes Lebewesen, das in der Maus drin lebt und west und gerne in die Katze hinein möchte, und weil es selber keine Beine hat, benutzt es die Maus als Vehikel, indem es ihr durch gezieltes Anbohren bestimmter Hirnwindungen (sorry, Biologen, ich weiß es nicht besser) den dringenden Wunsch, das unstillbare Bedürfnis einpflanzt, von der Katze mit Haut und Haar einverleibt zu werden. Manchmal gelangt das fiese Wesen – es heißt übrigens Toxoplasmose – auf dem Umweg über die Katze auch in einen Menschen hinein. Der verunglückt dann dreimal häufiger mit dem Auto. Wahrscheinlich weil der entgegenkommende Lastwagen so zutraulich schnurrt. „Belästigungen #432: Iron Majdan: von Revolutionen und ihren Leberwürmern“ weiterlesen

Frisch gepreßt #312: Foster The People „Supermodel“

Musik für bewegte Landschaften ist ein hypermodernes, immakulat-utopisches Konzept – man darf es aber nicht falsch verstehen: Das neue Album von Kylie Minogue paßt da sonst auch hinein, weil es sich anhört wie ein Motor, der mit Sonnenblumensaft läuft, und weil es (wie viele Platten der letzten Jahre) ausdrücklich für Autobeschallungsanlagen produziert ist und sich dort, zwischen Blech, Glas, Polster und Elektronik, am besten anhört, am allerbesten bei hundertfünfzig auf einer vollständig leeren Autobahn zwischen synthetischen Wäldern und im 3-D-Drucker erstellten Kunststoffburgen. „Into The Blue“, „Million Miles Away“ … need we say more? „Frisch gepreßt #312: Foster The People „Supermodel““ weiterlesen

Belästigungen #431: What’s so funny about Peace, Love, Wahlkampf & Understanding?

Der soeben absolvierte Kommunalwahlkampf hat eine eigentümliche Stimmung (wahrscheinlich nicht nur) in mir hinterlassen. Zwar war vieles wie üblich: Das neoliberale Bleichhendl, das sich im Namen der FDP ein paar Wochen lang als „OB-Kandidat“ bezeichnen durfte, reckte seinen Sozialsargnagelkragen gewohnt forsch und wettbewerbsgeil aus dem Plakat, während die grüne Laugenstange zach-drahtig gestylt Prima-Klima-Parolen für die Halligallimeute der Hipster-Kreativlinge absonderte, die am liebsten noch das letzte stille Örtchen der Stadt zur tobenden Eventarena umbauen wollen. Die diversen Naziparteien blähten wie automatische Hupen ihr Anti-Moslem-Kontra-Kriminalität-Muezzingeschrei zu neuen Absurditätsrekorden auf, weil es ihnen offenbar großen Spaß macht, ihre Plakatständer mit Kehrschaufel und Besen zusammenzukehren und sich von mittelgroßen Menschenmengen öffentlich verlachen zu lassen. Der Linken hat wahrscheinlich niemand Bescheid gesagt, daß Wahlkampf ist, und so konnte sie nur noch schnell ein paar alte Zettel mit Aufschriften wie „sozial“ irgendwo dazwischenkleben, wo Platz war, weil wieder mal jemand einen Naziparteiplakatständer zu Fetzen und Bröseln verarbeitet hatte. „Belästigungen #431: What’s so funny about Peace, Love, Wahlkampf & Understanding?“ weiterlesen

Frisch gepreßt #311: Neneh Cherry „Blank Project“

Der Jargon, in dem heutzutage über Popmusik verhandelt wird, ist wie ein ziemlich schlechter Witz, den sich tausend Leute gegenseitig erzählen, und zwar in einer Sprache, die keiner von ihnen beherrscht und von der die meisten höchstens ein paar Wörter ungefähr kennen. Darüber sollte man sich nicht beklagen, denn manchmal ist das Ergebnis recht erheiternd. Was Verben wie frickeln und schrammeln sowie die automatisch mit dem Salzstreuer im Text verteilten Adjektive von atmosphärisch bis deep, fett bis satt, nuanciert, affektiert, fein, klein, spröde, rund, kantig usw. usf. bedeuten, wird nie ein Mensch erklären oder auch nur herausfinden können, aber ein Schmunzeln mag man sich auch nicht verkneifen, wenn wieder mal ein gealterter Wollmützennerd mit päpstlichen Pathos litaneit, es werde auf einem „Werk“ dies und das und diese und jene angebliche Stilrichtung (von denen mangels Beschreibungsfähigkeit wöchentlich mindestens zehn postuliert werden müssen) nicht etwa gemischt, sondern verschmolzen, neuerdings geblendet und dabei doch stets zuverlässig versöhnt, ohne indes – das ist enorm wichtig, weil es ausnahmslos gilt – ins Irgendwiehafte oder -artige „abzudriften“. „Frisch gepreßt #311: Neneh Cherry „Blank Project““ weiterlesen

Belästigungen #430: Ich bin nur ein Symbol, mein Schatz!

„Warum liest du das?“ frage ich das Mädchen, das am Nebentisch sitzt und ein Taschenbuch von Thomas Mann liest und dabei schaut, als wären die Buchstaben zu klein oder irgendwie frech. Über uns leuchtet der Himmel, wie er das im Februar am frühen Nachmittag tut: golden, weiter entfernt, als es scheint.

„Ich mag seine Symbolik“, sagt sie und blickt mich an wie eine überraschend erblühte Blume auf einer winterlichen Wiese.

„Oh“, sage ich und weiß nicht weiter. Eine Horde von Vögeln fliegt plötzlich auf und bildet für einen flüssigen Augenblick eine Sichel um uns, die sich als Wolke auflöst. „Belästigungen #430: Ich bin nur ein Symbol, mein Schatz!“ weiterlesen