(Aus dem tiefen Archiv:) Was ist eigentlich Herbert Rosendorfer für einer?

(Anmerkung: Der folgende Text entstand im Januar 2004 zum siebzigsten Geburtstag des Schriftstellers und erschien damals in der Süddeutschen Zeitung. Hier erscheint er aufgrund der leider nicht zu verleugnenden Tatsache, daß Herbert Rosendorfer am 20. September vor elf Jahren gestorben ist. Verändert oder aktualisiert wurde nichts.)

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Im Regal: Walter Serner „Letzte Lockerung“

(Anmerkung: Heute vor achtzig Jahren, am 10. August 1942, wurde Walter Serner in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und wahrscheinlich am 23. August von Deutschen ermordet. Der folgende Text wurde im Oktober 2007 geschrieben und erschien in KONKRET.)

Kaum je wurde so vehement nach Leitbildern, Lichtgestalten und Führungsführern gekräht wie ausgerechnet in Zeiten des tobenden Totalitärwettbewerbs, wo jeder „nur nach vorne schauen“ und sein „Ding“ machen, am besten gleich „durchziehen“ soll und das Absitzen von zwei Semestern BWL-Ideologiedrill als Bildung gilt. „Im Regal: Walter Serner „Letzte Lockerung““ weiterlesen

Die Henscheidung (oder: Wie man zum Lesen und vom Lesen zum Schreiben kommen kann)

Mit dem Lesen ist es eine schwere Sache: Man lernt’s, man kann’s, und dann will man’s tun, und dann geht es nicht gescheit. Die Bücher paradieren Rücken an Rücken lockend im Regal, aber ein jedes hat seine Fehler: Eins ist zu groß, das plömpt im selbst hergestellten Viertelschlaf aufs Gesicht und erstickt das Wollen. Ein anderes trägt seine Buchstaben in Blattlausnachwuchsgröße auf pappesteifem Holzpapier, tausende davon, die darlegen, wie dem Helden ein Messer von unten in den Mundraum gestochen wird; das brennt gar fürchterlich und will nicht aufhören zu brennen, seitenlang, stundenlang, bis man’s weiß und überhat, die Schwarte weglegt und für Karl May auch verloren ist. „Die Henscheidung (oder: Wie man zum Lesen und vom Lesen zum Schreiben kommen kann)“ weiterlesen

Im Regal: Wencke Mühleisen „Du lebst ja auch für deine Überzeugung. (Mein Vater, Otto Muehl und die Verwandtschaft extremer Ideologien)“

Kein uninteressanter Ansatz: Eine junge Frau aus Norwegen mit slowenisch-österreichischem Vater bricht mit 23 in den Süden auf, um in Paris irgendwas mit Kunst und so zu machen, landet statt dessen 1976 in Otto Muehls AAO-Kommune im Burgenland und bleibt dort bis 1985. Ein Brief ihres Vaters von 1984, damals unbemerkt und 2006 wiedergefunden, macht ihr klar, daß dieser nicht nur ein eiserner, unverbesserlicher Rassist und Nazi war, sondern auch eine gewisse Verwandtschaft der Lebenseinstellungen unterstellte, schließlich lebe ja auch sie „für deine Überzeugung gegen den Strom“. „Im Regal: Wencke Mühleisen „Du lebst ja auch für deine Überzeugung. (Mein Vater, Otto Muehl und die Verwandtschaft extremer Ideologien)““ weiterlesen

Im Regal: Sling (Paul Schlesinger) „Der Mensch, der schießt“

Vor Gericht wird der Mensch zur literarischen Figur, sozusagen natürlich, weil den schwammigen Unklarheiten des eigenen Existenzsumpfs entrissen, durch eine Mühle von Kategorien gedreht und neuerlich schwammigen Unklarheiten der Auslegung durch ebenso natürlich inkompetente Urteilsorgane ausgeliefert, die sich einen Reim machen sollen zum Beispiel darauf, daß ein bis dahin unbescholtener, fleißiger, integrer, angemessen unglücklicher und unglückseliger Mann eines Tages den eigenen Sohn in einem Amtszimmer des Finanzamts vor den Augen des (hierfür nur bedingt) zuständigen Beamten erschießt. Wie mit dem Mann weiterhin verfahren wird, erfahren wir ausnahmsweise nicht – immerhin dies: Der Staatsanwalt beantragte zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, und der Leser, soviel sei weiterhin verraten, empfindet diese Strafe nach Lektüre der Reportage zum Prozeß als zu hart. „Im Regal: Sling (Paul Schlesinger) „Der Mensch, der schießt““ weiterlesen

Im Regal: Ulrike Edschmid „Das Verschwinden des Philip S.“

Seit die Deutschen zu bemerken beginnen, daß es in ihrem Land einen echten (rechten) Terrorismus gibt, verdunsten die Umtriebe der frühen RAF und ihres Umfelds zusehends aus dem Bewußtsein. Angesichts der NSU-Morde und des nach wie vor nicht ansatzweise aufgeklärten Münchner Oktoberfestattentats ist etwa die Bewegung 2. Juni, bekannt geworden durch „Negerkuß-Banküberfälle“ und die einzige erfolgreiche Gefangenenbefreiung mittels Entführung, längst im Winkel der Putzigkeit verschwunden.

Dabei gäbe es da manches aufzuarbeiten, etwa die vom Schwarzen Loch zwischen Stockholm-Desaster und dem Beginn der RAF-Prozesse verschluckte Geschichte des Schweizer Filmkünstlers und Holger-Meins-Kommilitonen Werner „Philipp“ Sauber, der am 8. Mai 1975 auf einem Parkplatz in Köln bei einem Schußwechsel mit der Polizei hingerichtet wurde – „Im Regal: Ulrike Edschmid „Das Verschwinden des Philip S.““ weiterlesen

Notwendig verspätete Anmerkungen zu John Fante anläßlich einiger Neuauflagen

Fragt man mich nach dem „wichtigsten“ oder „größten“ Schriftsteller des 20. Jahrhunderts (oder meinetwegen: überhaupt), werde ich lange überlegen und wahrscheinlich keine Antwort geben. Aber allein daß es Vladimir Nabokov da mit John Fante (und wenig anderen) zu tun bekommt, sagt einiges.

Na gut, mag man meinen: Was soll man geben auf das Urteil von einem, der Thomas Mann schmäht und vier Fünftel des „Kanons“ der Gegenwartsliteratur verachtet, der die New York Dolls für eine der wichtigsten und größten Rock-’n’-Roll-Bands aller Zeiten hält und auch in anderer Hinsicht zu höchst unzuverlässigen Ansichten neigt? „Notwendig verspätete Anmerkungen zu John Fante anläßlich einiger Neuauflagen“ weiterlesen

Im Regal: Ulrich Greiner „Heimatlos – Bekenntnis eines Konservativen“

Ich bin, ich muß es gestehen, konservativ: Alles was gut, schön, wichtig und brauchbar ist, möchte ich mit solcher Vehemenz bewahren, daß mich das Gefasel von voranzutreibenden „Reformen“, „schmerzhaften Einschnitten“ und der Schädlichkeit jeglicher „Besitzstandswahrung“, das seit Jahren aus allen Kanälen dröhnt, schon als solches zur Raserei treiben kann. Auch die „Heimat“, die Ulrich Greiner im Titel beschwört, ist mir bis zur Irrationalität derart ans Herz gewachsen, daß ich (nur ein Beispiel!) den Abstieg des TSV 1860 in die bayerische Regionalliga als Jahrhundertsegen empfinde. Allerdings ist diese Heimat selbstverständlich nicht Deutschland, von dem ich weite Teile gar nicht kenne; sie läßt sich mit Landes- und anderen Grenzen überhaupt nicht bestimmen. Und auch die Dinge, die ich bewahrt sehen möchte, unterscheiden sich enorm vom „Im Regal: Ulrich Greiner „Heimatlos – Bekenntnis eines Konservativen““ weiterlesen

Im Regal: Werner Fuld „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“

Unter den vielen sinnlosen Betätigungen menschlicher Autoritäten ist das Verbieten von Schrift-, Ton- und Bildträgern vielleicht die sinnloseste. Wer erinnert sich nicht an den Reiz idiotischer Erotik, primitiver Krimibrutalität, grellbunter Comics, martialischer Militär-Science-fiction, den all diese (und andere) Sumpfblüten des Bücherregals einzig dem Umstand verdankten, daß die Eltern sie als Schund, Schmutz, als Quellen unausweichlicher Manipulation und Verblödung gebrandmarkt und die Lektüre, oft schon das bloße Herausziehen untersagt hatten? Die Frage, wie das Zeug überhaupt ins Haus gekommen war, stellte sich nicht, erforscht mußte es werden, und immer war das Ergebnis Ernüchterung: Von Spillane bis Perry Rhodan, von Hansrudi Waescher bis Henry Miller erwies sich fast alles als unlesbar, schlecht, mindestens langweilig, aber das änderte nichts am Reiz; der blieb und führte dazu, daß das Zeug später „Kult“ wurde, als zerfleddertes Original für ungeheure Summen gehandelt, in Plastikfolie „Im Regal: Werner Fuld „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute““ weiterlesen

Im Regal: Jürgen Teipel „Ich weiß nicht“

Es gibt ein paar typische Elemente, die einem das Lesen „moderner“ oder sagen wir: zeitgenössischer Literatur schon auf den ersten Seiten verleiden können, und das ist ganz unabhängig davon, ob der Autor behauptet, diese „Stilmittel“ absichtlich einzusetzen oder nicht: Ein Ich-Erzähler, der sich sofort, unumwunden und ohne Andeutung einer doppelbödigen Strategie als sprachlich restlos unbedarfter, phantasielos stammelnder Volltrottel zu erkennen gibt und dessen enervierende, mittlerweile durch Überbeanspruchung fürchterlich langweilige Angewohnheit, wirklich jeden winzigen Nebensatz durch einen Punkt abzutrennen, einem das Gefühl gibt, sich beim Lesen in ein körnerpickendes Wackelkopfhuhn zu verwandeln – das sind zwei solche Elemente, die man wohlwollend als „teipelsche“ bezeichnen könnte, weil der Autor dieses „Romans“ (der es netto auf höchstens 80 Seiten bringt) durch „Verschwende deine Jugend“ bekannt wurde, den 2001 stapelweise „Im Regal: Jürgen Teipel „Ich weiß nicht““ weiterlesen

Im Regal: Airen „Strobo“ & „I Am Airen Man“

 

In Martin Amis’ Roman „The Information“ hat ein Schriftsteller die skurrile Idee, die Geschichte der Literatur als eine „der fortschreitenden Erniedrigung“zu betrachten: Mit dem sozialen/moralischen Abstieg der Romanfiguren (von Göttern über gestürzte Könige und besiegte Helden bis hin zum „Abschaum“) würden auch deren Verrichtungen („Plots“) banaler und nichtiger; gleichzeitig schreite die Kosmologie unaufhaltsam fort, vertreibe den Menschen aus dem Zentrum der Welt und lasse alles immer größer erscheinen (von Homers Bronzehimmel bis hin zur Unendlichkeit multipler Universen). Nötig sei folglich eine Verkleinerung, hin zum „Universum des bloßen Auges“. „Im Regal: Airen „Strobo“ & „I Am Airen Man““ weiterlesen

Im Regal: Christian Kracht „New Wave. Ein Kompendium 1999-2006

Darf man einen Menschen, den man nicht kennt, mit dem man nie ein Wort gesprochen, von dem man nur ein paar Texte gelesen hat, die ganz bestimmt und hoffentlich nicht zu seinen besten zählen, – darf man so jemanden einfach als dumm bezeichnen? Ich tue das jetzt mal: Ich halte Christian Kracht für einen furchtbar dummen Menschen. Einen, der in der Welt herumflitzt wie ein verbogener Brummkreisel, aber nirgends etwas erfährt. Einen, der wahrscheinlich wahnsinnig viele coole Bücher gelesen (oder durchgeblättert) hat, die er gerne selber geschrieben hätte (was er deshalb in einigen Fällen auch versucht). Einen, der sich für die schönste, klügste, wichtigste und individuellste Individualperson an jedem beliebigen Ort und überall hält und sich dabei in eine Aura von Ennui-Melancholie zu hüllen sucht wie in einen mannsgroßen Luftballon. Einen, der schreibt, als putzte und feilte er (die Augenbrauen knapp unter dem Scheitel, die Mundwinkel knapp über dem „Im Regal: Christian Kracht „New Wave. Ein Kompendium 1999-2006“ weiterlesen

Vom Heroismus der Idiotie

Das „Zentrum für politische Schönheit“ dürfte es in den nächsten Monaten nicht leicht haben. Wenn die Künstlergruppe, die mit einigen spektakulären Aktionen tote Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen instrumentalisierte, um medial auf sich aufmerksam zu machen, künftig als reaktionäre Klamauktruppe gilt, verdankt sie dies ihrem Gründer und Boß Philipp Ruch und seinem als „politisches Manifest“ etikettierten Pamphlet Wenn nicht wir, wer dann?.

Einer der grundlegenden Denkfehler des Machwerks mit dem abgegriffenen Phrasentitel (Vorlage: Andreas Veiels Enßlin-Vesper-Baader-Film „Wer wenn nicht wir“) steht schon im Titel und in der Überschrift des Rückentextes: „Vom Heroismus der Idiotie“ weiterlesen

Im Regal: Hanna Lemke „Gesichertes“ (eine exemplarische Kritik der Institutsliteratur)

Man meint, jüngeren Lesern das schon erklären zu müssen: daß vor einem guten Jahrzehnt einmal eine „Literatur“ in Deutschland mehr aufpilzte als -blühte, die in „Instituten“ gelehrt wurde, nachdem sie Kulturhampelmänner wie Hellmuth Karasek zum „Sound einer Generation“ erhoben hatten, die aber kaum mehr als der verspätete Neuaufguß des „Sounds“ von Raymond Carver war, oder sagen wir: dessen, was sein Lektor Gordon Lish daraus zusammenmontiert hatte und was nun die „Lakonie“ zu einem fast ebenso häufig in der Gegend herumgeworfenen Modewort machte wie ein Jahrhundert zuvor die Hysterie. „Im Regal: Hanna Lemke „Gesichertes“ (eine exemplarische Kritik der Institutsliteratur)“ weiterlesen