In einer aufgeklärten Gesellschaft ist Vernunft individuell. Historische Schuld und Verantwortung hingegen liegen beim Kollektiv beziehungsweise (je nach Staats- und Gesellschaftsform) bei dessen Führern. Derzeit erleben wir, wie sich dieses Verhältnis radikal umkehrt: Historische Schuld/Verantwortung liegt bei jedem einzelnen, der Putin hassen, den Iran hassen und so weiter und alles in seiner Kraft Stehende tun muß, um den Endsieg der Dämokratie herbeizuführen. Von der Vernunft hingegen hat er die Finger zu lassen: Die haben die Führer des Kollektivs von Gottes Gnaden erhalten und werden ihm die zu ihrer Umsetzung nötigen Befehle schon erteilen. Befolgt er die nicht, macht er sich wiederum vor Volksgemeinschaft, Geschichte und Gott schuldig.
In einer älteren Form der mitteleuropäischen Staatsreligion mußte sich der Mensch zu Lebzeiten kasteien, um auf ein besseres Los im Jenseits hoffen zu dürfen. In den Bilanzen der neueren Form dieser Religion ist dieser Posten gestrichen: Nun soll sich der Mensch zu Lebzeiten kasteien, um ein „besseres Leben“ für Menschen zu ermöglichen, die noch lange nicht geboren sind und die derselben Religion zufolge am besten auch gar nicht geboren werden sollten. Hello Irrwitz, my old friend!
Ich habe bereits mehrmals darauf hingewiesen, daß der Klimawandel nicht das einzige Problem ist, das einem auf alle Ewigkeit stabilen neuen Reich im Weg steht: Die Plattentektonik etwa wird dafür sorgen, daß in wenigen Millionen Jahren ganze Landstriche – insbesondere an Küsten – nicht mehr bewohnbar, weil unter die Nachbarplatte geschrammt und zu Magma zerkocht sind, samt den darauf errichteten Microsoft-Serverfarmen, Windrädern, Tesla-Werken und „Smart-Homes“.
Das ist ungeheuerlich! Die Regierung muß sofort etwas tun! Dazu nämlich ist sie in einer strengen Auslegung des „Klimaurteils“ des Bundesverfassungsgerichts sogar verpflichtet.
Es bleibt aber nicht bei der Verschiebung der Erdplatten: Hinzu kommen in nächster Zukunft dräuende Eiszeiten, Wärmeperioden und letztlich wohl auch der Tod von Bill Gates, Klaus Schwab, Elon Musk und Ricarda Lang. All das ist unbedingt, unter allen Umständen und notfalls unter Hinnahme von „Wohlstandseinbußen“ zu verhindern!
Es wird noch schlimmer: Vorwitzige Forscher („Verschwörungserzähler“) behaupten, eines gar nicht so fernen Tages werde die Sonne explodieren – als Nova respektive Supernova (dann mit Topzuschlag) – und die Erde als ganze zu einem Gasbläschen zerpuffen. So etwas können nur AfD-Nazis ihren ungeborenen Kindeskindeskindeskindeskindeskindekindeskindeskindern zumuten, ohne mit der braunen Wimper zu zucken!
Hier kommt das Gegenargument: Die Sonnenexplosion ist nicht „menschengemacht“, ebensowenig wie die Plattentektonik. Wie bitte? Pure Querdenkerei! Und woher wissen wir das? Weil die den Querdenkereien zugrundeliegende Wissenschaft hoffnungslos veraltet ist! Eine simple Modellierung von Charité und Neil Ferguson wird schon in Bälde erweisen, daß es plattentektonisch nicht ohne Folgen bleiben kann, wenn so viele Menschenstopsel auf einem so kleinen und empfindlichen Planeten herumhüpfen. Kann ein Lockdown das Anwachsen von Himalaya und Schwäbischer Alb verhindern? Lesch, übernehmen Sie!
Falls sich das Sonnentemperaturziel (höchstens zwei Grad mehr) nicht erreichen läßt (auch nicht durch das Verbot rückkoppelnder und folglich sonnenklimaschädlicher Spiegelbrillen und eine diesbezügliche Denunziations-App der Fantastischen Vier), bleibt immer noch eine vom „Universe Economic Forum“ gesteuerte Abkoppelung der Erde von ihrem rechtsextremen Gestirn und die Suche nach einem neuen.
Frau Strackula-Hitlermann verlangt neuerdings, daß Menschen, die zu ihren Propagandareden kommen und dagegen aufbegehren, dies vorab von ihren Chefs genehmigen lassen: „Weiß Ihr Chef, was Sie hier machen?“ (dreimal wiederholt) bellt sie entsprechende Kandidaten zusammen. Ich vermute, selbst ein Guido Westerwelle (der vieles war, aber sicher kein Faschist und auch kein glühender Anhänger des Feudalismus) hätte ungefähr zehn Minuten gebraucht, um so jemanden aus der Partei zu schmeißen (im Konsens).
Im Schatten der politisch-geheimdienstlich-juristischen Verfolgung von Regimegegnern beziehungsweise -kritikern beziehungsweise harmlosen, aufrichtigen Menschen wie (bitte selbst zuordnen) Dettmar, Ballweg, Füllmich, Schiffmann, Hockerts, Brandenburg, Javid-Kistel, Pürner und so weiter und so fort bleibt weitgehend unbemerkt, daß der Furor der Gegnerhatz zwischendurch auch mal ganz andere trifft – von der möglicherweise sogar „anderen Seite“, nämlich den Tentakeln des Systems selbst (oder wenigstens dessen Fingernägeln, sozusagen), wohin sie auf schwer ergründbaren Irrwegen geraten sind. Das bekam unlängst der ehemalige „Grünen“-Stadtrat Bernd Schreyer zu spüren, als er wegen „Volksverhetzung“ vom Amtsgericht München zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde, und zwar zu Unrecht, wie schon ein peripherer Blick auf das Geschehen zeigt.
Passiert ist dies: Alarmiert oder vielmehr hysterisiert von der Demonstration gegen das geplante „Heizungsgesetz“ letzten Juni in Erding – oder wohl eher von dem Getöse, das Staats- und Propagandamedien veranstalteten, um das Ereignis und die Teilnehmer zu „nazifizieren“, und auf das ein entsprechendes Massengekräh in „sozialen Medien“ erfolgte –, warf sich Schreyer ins digitale Getummel. „Berechtigte Kritik an Einzelheiten“ habe ihn nicht aufgeregt, wohl aber „Falschmeldungen“ und „die Hetze“, in der ein „Vernichten und Ausmerzen der Grünen“ gefordert und „Bezüge zur jüdischen Finanzwirtschaft und zu einer angeblichen Weltherrschaft hergestellt“ worden seien.
Da meinte er dagegen halten zu müssen und „setzte“, wie man so sagt, „einen Tweet ab“, in dem er unter anderem schrieb: „Obwohl es nie ein Heizungsverbot gab, ist es gelungen[,] so gegen Grüne aufzuwiegeln, als seien [sic] sie d. ‚neuen Juden‘[,], die ‚ausgemerzt‘ werden müssen[,] um Deutschland wieder alles Glück und Wohlstand zu bringen.“
Das mag man für arg übertrieben halten, muß Bernd Schreyer aber zugestehen, daß es sich – als Mitgründer der bayerischen und der Münchner Grünen – eben ziemlich aufgeregt hat und daß einem da schon mal so einiges herausrutschen kann (ich weiß, wovon ich spreche). Man mag es auch für verblendet halten, die internationale „Finanzwirtschaft“ „jüdisch“ zu nennen und das real existierende Streben nach Weltherrschaft für „angeblich“ zu halten. Aber auch hier ist die Unschuldsvermutung erlaubt, daß solche Zusammenhänge von Schreyer nicht oder nur teilweise selbst hergestellt, sondern vielmehr beobachtet und in ihrer Bedrohlichkeit und Bedeutung überschätzt wurden.
Nicht behaupten darf man jedoch, Schreyer habe mit seiner meinetwegen paranoiden Äußerung „eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung gebilligt, geleugnet oder verharmlost.“ Ebenso abwegig wäre die Einschätzung, er habe „öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch gestört, daß er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt“ habe. Beides (die Zitate entstammen dem Paragraphen 130 StGB zur „Volksverhetzung“) wäre ziemlich absurder Blödsinn, wie auf den ersten Blick ersichtlich.
Noch absurder wird es, wenn man weiß, daß Schreyer zum Beispiel von 1980 bis 1982 als „ständiger Mitarbeiter“ der löblichen, aus damaliger Sicht gemäßigt linksradikalen „Münchner Zeitung von uns für uns“ nicht nur für „dezentrale Energiekonzepte“ (etwa Dieselmotoren in Mietshäusern) warb und gegen den Großflughafen im Erdinger Moos agitierte, Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Brokdorf dokumentierte und ganz allgemein gegen Krieg, Rüstung, atomaren Irrsinn, industriellen Wahn, profitable Umweltzerstörung, Mietwucher, Spekulantenterror und ganz allgemein die bösen Absichten nicht nur von CSU, CDU, SPD und FDP, sondern auch der damals noch sehr rudimentär organisierten „angeblichen“ Weltherrschaft anschrieb, sondern auch eine große Sensibilität für die Virulenz totalitären, rassistischen und faschistischen „Gedankenguts“ zeigte.
Als Reporter bei einer Demonstration zur „Dichtmachung“ des „Laimer Gifttunnels“ notierte er am 9. Juli 1981: „Einige Autofahrer gaben einfach Gas und fuhren mit ziemlicher Geschwindigkeit in die Demonstrantenmenge, die nur in letzter Sekunde auf die Seite springen konnten und Prellungen erlitten. Aufgehetzt wurden diese Autofahrer von Passanten und Autofahrern, die mit glühenden Augen dazu aufforderten, einfach darüberzufahren. Lange habe ich soviel faschistoide Sprüche nicht mehr gehört: ‚Vergasen, Arbeitslager, Aufhängen, an die Wand stellen, Abschaum, arbeitsscheue Verbrecher …!!!“
Das ist, wie ich vermute, nur eines von vielen Beispielen, das indes deutlich zeigt, daß Bernd Schreyer von übersensibel bis verrannt manches sein mag, ganz bestimmt aber weder ein Nazi noch ein Rechtsextremer noch ein Verharmloser des Nationalsozialismus in irgendeiner alten oder neuen Form, sondern eher das Gegenteil. Daß er möglicherweise nicht begriffen oder jedenfalls nicht verhindert hat, was aus der einst von ihm mit aufgebauten Partei geworden ist – weder eine Friedens- noch eine Umweltschutz- noch eine soziale, gar linke Partei, sondern das exakte Gegenteil, kann man ihm kaum ankreiden.
Daß er jetzt selber Opfer des neuen Totalitarismus und dessen willkürlichen Furors sowie zweifellos eines höchst blödsinnigen Irrtums (?) geworden ist, mag man tragisch finden. Die Häme und der Spott, mit denen einige Staats- und Propagandamedien nun auf ihn einklopfen, sind jedenfalls ein weiterer Grund, sich für diese entfesselten Hetzorgane zu schämen (und für die offensichtlich verwirrte Richterin und den ebenso offensichtlich vernagelten und hoffnungslos fanatisierten Staatsanwalt gleich dazu).
Selbiger Oberstaatsanwalt zeigte sich „überzeugt“, Schreyer habe „einen relativierenden Vergleich zwischen der Ermordung von sechs Millionen Juden und dem Heizungsgesetz vorgenommen“ und sei „völlig uneinsichtig“. Bitte diesen gesamten Satz zwei- oder dreimal lesen und versuchen, nicht vor Lachen unter den Tisch zu rutschen. Der Gelolepsie vorbeugend entgegenwirken mag die Frage, ob es einen Vergleich gibt, der nicht „relativierend“ (also vergleichend) wäre.
Die Richterin wiederum meinte, sie wisse, „daß für einen wie Schreyer die Sache ‚schlimm‘ sei. Aber wir müssen uns am Wortlaut orientieren.“ Deutlicher kann man die Perfidie der derzeitigen Justiz kaum ausdrücken: Eine „Volksverhetzung“ könne auch einer begehen, der auf dem „Boden des Grundgesetzes“ stehe „und in einer Äußerung über das Ziel hinausgeschossen ist“. Und zwar ohne in irgendeiner Weise den „öffentlichen Frieden“ zu stören (der seit 2020 sowieso nicht mehr existiert, sondern verboten ist).
Da kommt noch so einiges auf uns zu, fürchte ich und spüre beim Blättern in den leider nur achtzehn erschienenen Ausgaben der „Münchner Zeitung“ nostalgische Wehmut und ein starkes Gruseln angesichts all dessen, was seit 1982 bereits auf uns zugekommen ist und alle Träumereien von einer schöneren, besseren, friedlichen, solidarischen, gerechteren, offenen (und so weiter) Welt hinweggefegt hat.
(Salvatorische Klausel: Ich kenne Bernd Schreyer nicht persönlich. Indes war die Zentrale seiner „1. Münchner Initiative für dezentrale Energienutzung“ in der Rudi-Seibold-Straße beheimatet. Genau gegenüber wohnte meine Oma, dazwischen lag eine Wiese, auf der ich als Achtjähriger Flugzeuge in den fernen Himmel lupfte und mit meinem Onkel Fußball spielte. Dies nur zur Einordnung; wir sind uns, wie gesagt, nie wissentlich begegnet.)
Wenn Schreyer wirklich nicht begriffen haben sollte, was aus „seiner“ Partei geworden ist, was hat er dann in der Politik zu suchen?
Eine berechtigte Frage, die man aber wohl jedem (älteren) Mitglied jeder Partei stellen könnte. Man könnte vermuten, daß man so etwas um so weniger mitbekommt, je mehr man in „Spezialthemen“ steckt, daß außerdem ein ähnlicher Gewöhnungseffekt wie beim eigenen Spiegelbild auftritt („Ich sehe genauso aus wie vor dreißig Jahren!“). Und inzwischen ist er wohl auch raus.
Ach ja, der Gewöhnungseffekt. Das leuchtet ein. Dazu wohl noch ein Quentchen Nicht-wahr-haben-wollen, wie es auch in vielen Ehen halt so ist. Politiker sind ja auch nur Menschen. 🤷♂️
also, bei dem Bild von dem Haus in der Hedwigstrasse hats mich doch gerissen. Da war echt was los, da drin….. Vicky, Marissa, viele spanische oder kanarische Schönheiten lebten da, gekifft und gezecht…. Am Ende roch mal den finalen Buttersäureanschlag, der dieses schöne alte Haus unbewohnbar machte, bis zur Strassenbahn, die durch die Nymphenburger fuhr. Du gräbst lang vergessene Geschichten aus, lieber Michael, schön. `80 habe ich in sämtliche Kloschüsseln der Musikhochschule den Aufkleber mit dem Konterfei des Idi Alpin, FJS, Kanzlerkandidat, geklebt, was ein aufwendiger und etwas ekliger Akt war. Und damals auf eine Damentoilette zu gehen, das war noch kühn. Merci. Gruß aus der Taiga
Interessant, möglicherweise sind wir uns sogar mal begegnet. Zu der Zeit habe ich regelmäßig ein paar Leute aus der Szene als Handlanger schwarz beschäftigt, die mich dann auch mal in eines der Häuser eingeladen haben. Ob es das genannte Haus war, erinnere ich nicht mehr. Badezimmer, die man nicht abschließen konnte, verbarikadierbare Mauerdurchbrüche auf den Dachböden zu Nachbarhäusern, 3-Literflaschen Billigwein und Tüten so dick wie das Handgelenk eines Kleinkindes, an sowas erinnere ich mich. Auf Fragen, wer ich sei, kam die Antwort: „So’n Kapitalist, ist aber ganz in Ordnung.“ 😅 Jedenfalls konnte ich mir in der Zeit das Hotel sparen, alle waren sehr gastfreundlich. Eine tolle Zeit, wie mir jetzt wieder ins Gedächtnis kommt.
„Frundsberghof“, „Cafe Freiheit“, „Ruffini“, „Sarcletti“- da versoff ich das erste oder die ersten beiden Einfamilienhäuser, die jeder sonst erworben hätte anstatt in Kneipen rumzulungern. Gewohnt habe ich in der Nymphenburgerstraße, Ecke Winthir. Der Rockmusikkomponist Guntram Pauli wohnte auch in diesem Haus.
Gruß aus der Taiga
Beim besten Willen kann ich mich kaum erinnern, hab sogar die Namen der Leute vergessen, mit denen ich ein gutes Jahr zu tun hatte. Ist aber auch egal, vorbei ist vorbei. Gruß zurück aus Ungarn.