(Aus dem tiefen Archiv:) Frisch gepreßt #1: U2 „All That You Can’t Leave Behind“ (November 2000)

Im Herbst befällt manche Menschen die Katzenkrankheit. Man müßte so viel tun und machen, und manchmal denkt man sogar daran, aber vom Denken allein schreibt sich ja nicht einmal eine Kolumne, also sitzt man da, sieht aus dem Fenster oder in den Fernseher hinein und ignoriert die verzweifelten Zurufe aus dieser anderen Welt, wo immer jemand wissen will, wann und warum nicht.

Das heißt nicht, daß man nicht beschäftigt wäre. Man ist sogar sehr beschäftigt, zum Beispiel damit, auf den Akkord zu warten, diesen einen, der besonders weh tut. Den spielen U2. „(Aus dem tiefen Archiv:) Frisch gepreßt #1: U2 „All That You Can’t Leave Behind“ (November 2000)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #307: Bruce Springsteen „High Hopes“

Die Frage der Verehrlichkeit beziehungsweise Verwerflichkeit populärer Musik stellt sich kaum je irgendwo so dringlich und ambivalent wie bei dem 64jährigen Bruce Frederick Joseph Springsteen. Da hagelt es nur so die i/y-o-Wörter: Symptom, Ikone, historisch, Syndrom, Mythos … „Hero!“ brüllt der autofahrende Amerikaner dazu, steigt aufs Gas und wähnt sich im Stande sozialer Gerechtigkeit mittel Gitarrenakkord und Trommelknall (sein Nummernschild plärrt dazu den aus „Breaking Bad“ bekannten Slogan: „Live free or die!“) und ahnt nicht, daß er damit eine höchst sarkastische Beschreibung des Mannes, der ein Auto sein wollte, nachstellt, über die Tom Robinson schon 1977 nur mit Gänsehaut und Zunge in der Backe lachen konnte: „Furlined seats and lettered windscreen / Elbow on the window sill / Eight track blazing Brucie Springsteen / Bomber jacket, dressed to kill.“ „Frisch gepreßt #307: Bruce Springsteen „High Hopes““ weiterlesen

Belästigungen #426: Wenn (und wieso) das lüderliche Gesindel zur Nachtzeit lurpft …

Wichtigster Jahresend- oder -beginnvorsatz für den umsichtigen, auf das Leserwohl bedachten Kolumnisten: Nie mehr einen einzigen Lästerartikel über die deutsche Bahn! Das nämlich – das Abfassen von Lästerartikeln über die deutsche Bahn – ist ungefähr so originell und interessant, wie wenn der Pfaffe von der Kanzel den Deibel einen rechten Tunichtgut heißt.

Daß die deutsche Bahn ein Saftladen ist, dessen einziger Zweck darin besteht, milliardenteure Löcher unter die schwäbische Krume hineinzubohren, in die das beschauliche Stuttgart dereinst ebenso hineinsinken wird wie jetzt schon manch ein bäuerliches Anwesen im Umland, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Ebenso ist bekannt, mit welcher Vehemenz man dort Beschäftigungstherapie für Fahrplanphantasten betreibt, die durch die manische Erstellung immer noch schnellerer und lückenloserer „Fahrpläne“ – für die es Züge erst im Jahr 3000 und Bahnhöfe längst vorher längst nicht mehr geben wird – für ein Ausmaß an Ausfällen und Verspätungen sorgen, das die schlimmsten Befürchtungen aus den letzten Wochen des Ersten Weltkriegs übertrifft. „Belästigungen #426: Wenn (und wieso) das lüderliche Gesindel zur Nachtzeit lurpft …“ weiterlesen

Frisch gepreßt #306: Haley Bonar „Wntr Snds“

Die Erdbeer-Gang, so benannt zu Ehren der bedauernswerten römischen Legionäre, die einst im Auftrag des Druiden Miraculix entsandt wurden, um zur absoluten Jahresunzeit Erdbeeren für einen vermeintlichen Zaubertrank zu erstehen, zieht Zwischenbilanz: Und wie (fast) immer ist es die der Erdbeer-Gang angemessenste Aufgabe, in den weiten Breiten zwischen Ural und Atacamawüste hörenswerte Musik zu entdecken, die zwischen 16. und 21. Dezember erscheint. „Frisch gepreßt #306: Haley Bonar „Wntr Snds““ weiterlesen

Frisch gepreßt #305: Billie Joe & Norah „Foreverly“

Daß es einen „Weihnachtsmann“, der irgendwie aus dem Amerikanischen herkäme, nicht gibt, ist so gut wie gesichert. Historisch-etymologischer Forschung des Instituts für galoppierenden Starksinn an der Freien Universität Schwabing zufolge geht die Benennung auf eine fehlerhafte mündliche Überlieferung des Wortes „Iron Man“ zurück (III. Transärmelkanalische Lautverschiebung), und der Kerl, der ab dem Spätsommer, wenn die Lebkuchenindustrie Vollzug meldet und ihre Erzeugnisse in die Kohlehydratabgabestellen der Unterschichtbezirke karrt, nächtens durch die Gegend streift und kleine Kinder schreckt, indem er mit seiner Rute wedelt und „Ho! Ho! Ho!“ grölt (ohne den historisch verbürgten Zusatz „Tschi-minh!“, der höchstens noch zu Zeiten von Grippeepidemien erklingt), – dieser zwielichtige Bursche ist natürlich niemand anderer als Ozzy Osbourne. „Frisch gepreßt #305: Billie Joe & Norah „Foreverly““ weiterlesen

Frisch gepreßt #304: Jake Bugg „Shangri La“

Mitten im Leben sind wir von Zukunft umgeben – so lautete das klassische Motto der Popmusik; viele Jahre lang versetzte sie uns in Hoffnungen und Träume von besseren Welten, Zuständen, Gefühlen … bis unser Rucksack so überladen war mit bonbonbunten Irrealitäten, daß ein kollektives Aufseufzen um die Welt zu wehen schien, wenn schon wieder jemand „neue Wege“ ging und etwas vordem nicht Versuchtes versuchte: Es wurde ja immer schwerer, war ja so vieles schon da und ging nicht mehr weg. „Frisch gepreßt #304: Jake Bugg „Shangri La““ weiterlesen

Belästigungen #425: Was ein Gender ist und wie man es am besten diskriminiert

Ein Freund, der auf der Universität was geworden ist, rief an und teilte mit, ich dürfe ihn demnächst „Professorin“ nennen. Oho, dachte ich, neulich noch so verliebt, und jetzt eine Geschlechtsumwandlung? Muß eine heftige Affäre gewesen sein.

Er klärte mich auf: Keineswegs werde er zur Frau, höchstens im grammatischen Sinne und da auch nur gewissermaßen. Nämlich habe man einst, um Frauen nicht mehr zu diskriminieren, aus der „Frau Professor“ eine „Professorin“ gemacht, die dann aber immer noch diskriminiert worden sei, weshalb auch in der Mehrzahl aus den „Professoren“ die „ProfessorInnen“ geworden seien. Leider habe sich herausgestellt, daß damit die Diskriminierung nicht zu beseitigen sei, weil „Professor“ nun mal die Stammform und „Professorin“ nur abgeleitet sei. Und drum sollten nun alle unterschiedslos „Professorin“ heißen, was zwar in gewisser Weise die Männer diskriminiere. Das sei aber nicht so schlimm, weil die schließlich die Frauen jahrhundertelang diskriminiert hätten; da müßten sie jetzt schon mal ein bißchen Gegendiskriminierung hinnehmen. „Belästigungen #425: Was ein Gender ist und wie man es am besten diskriminiert“ weiterlesen