Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen

Daß der menschliche Körper Öffnungen hat, ist an sich eine segensreiche Fügung, das muß man nicht extra betonen: es wäre ein Elend, wenn eine ganze Biergartenbesatzung hungertriefend und durstzerknittert vor Schenke und Auslage stünde und die Schweinshaxen nicht mal riechen könnte, geschweige denn hinunterspülen, weil sich die Evolution den Jux gemacht hätte, Nase, Mund und Restkörper als in sich geschlossenes System zu konzipieren.

Indes will es gelernt sein, mit der Semipermeabilität des eigenen Echtwelt-Avatars umzugehen. Das klassische Beispiel für sozusagen intuitive Souveränität wäre die legendäre Zeitungsmeldung, derzufolge ein blinder Inder (der vielleicht ein Chinese oder Alabamer war, aus poetischen Gründen aber ein Inder sein sollte) sich einst in den Kopf schoß, um seiner elenden Existenz ein Ende mit Hoffnung auf Wiedergeburt als Pandabär oder Milliardär zu bereiten. Leider oder zum Glück führte der Schuß nicht zum Exitus, sondern quasi eine hirnchirurgische Operation durch: Nach kurzer Bewußtlosigkeit erwachte der vormals blinde Suizidant, konnte plötzlich sehen und wurde vollends irrsinnig angesichts einer Welt, die seine schlimmsten Vorstellungen exponentiell übertraf. „Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen“ weiterlesen

Beim Schreiben eines Romans (10)

 
„Du hast sie doch gesehen? Wie weit war sie weg?“
„Ein paar Meter.“
„Okay, du hast gespielt.“
„Wie: gespielt?“
„Männer.“
„Du hast nichts gesehen, weil du so damit beschäftigt warst, ihr vorzuspielen, daß du sie nicht siehst. Wenn du sie gesehen, also: richtig angeschaut hättest, hätte sie bemerkt, daß du sie bemerkt hast und siehst. Dann hätte sie dir nicht geglaubt, daß dich dein ‚neues Leben‘ so erfüllt, daß du sie gar nicht mehr erkennst.“
„Männer, Männer, Männer.“
„Und jetzt meinst du, sie wird eifersüchtig, weil dir dein ‚neues Leben‘ so viel mehr bedeutet als sie.“
„Ich weiß nicht.“
„Du weißt heute aber nicht viel.“

Frisch gepreßt #293: Bullfrog (s/t)

Manche Sachen verschwinden im Strudel der Zeiten so vollständig, daß, wenn sie plötzlich wieder auftauchen, man sich verblüfft fragt, wo sie die ganzen 35 Jahre waren. Wie diese Band, diese phantastische Band, die wir damals im Theatron … Nein, da holen wir jetzt weiter aus.

Was das für ein Sommer war, ab Mai: dreißig Grad, Geschichtsstunde über den Vietnamkrieg, der gerade ein Jahr her ist; Diskussionen über Atomkraftwerke, fremde Planeten, rätselhafte Mädchen und die Fußball-EM – ganz Giesing hallt nachts von den entsetzten Schreien über Hoeneß’ verschossenen Elfmeter; nach den Pfingstferien hitzefrei bis Ende Juli, jeden Tag. 99 Pfennig für einen Liter Eis im verlassenen Schulhof, ein Bier in der schwülen Dämmerung, leichter Schwindel beim Fußballspielen, wie schwebend; lachen bis die Sonne untergeht, fast Mitternacht, plötzlich Stille zum Flüstern, paar Pfützen um den Wasserhahn im Pfarrgarten, mit gelben Rändern vom Blütenstaub; oder ist das Wüstensand, wie die Bildzeitung mit rotem Kopf meldet? „Frisch gepreßt #293: Bullfrog (s/t)“ weiterlesen

Periphere Notate (5): Kontennui

Das neue Leben, das A. begonnen hatte, begann sich nach drei Wochen wie das alte anzufühlen. Erstaunt überprüfte A. seine Kontoauszüge, stellte fest, daß tatsächlich auch seine Daueraufträge weiterliefen, und beschloß, das Gefühl daran festzumachen. So, dachte er, blieb immerhin etwas, wenn auch wenig.

Belästigungen #411: Man könnte das eine Borderline-Kolumne nennen

Eine Freundin, der ich neulich einen großen Berg der hier veröffentlichten Kolumnen übergab, damit sie sie vor der Neuauflage als Sammelbuch auf Relevanz und Zumutbarkeit prüfe, meinte hinterher, ich sei ja ein ganz schöner Choleriker, wenn ich mich immer so aufrege, und so kenne sie mich gar nicht.

Das, meinte ich, mich höchstens milde aufregend, könne überhaupt nicht sein, schließlich werde der Choleriker im allgemeinen als willensstark und entschlossen beschrieben – vgl. etwa einen durchschnittlichen BWL-Börsennazi –, was auf mich nur in den seltensten Fällen halbwegs zutreffe. Dann, sagte sie nach einigem Wälzen im inneren Lexikon der Küchenpsychologie, handle es sich wohl um hyperaktive Melancholie mit einem Zug ins Depressive; andererseits kenne sie mich auch als notorisch exzessiven Sanguiniker an der Grenze zum pathologisch-hysterischem Übermut mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und mein Phlegma sei durch den Zustand meines Schreibtischs und den mangelnden Schnitt meiner Rosenstöcke und Obstbäume ausreichend belegt. „Belästigungen #411: Man könnte das eine Borderline-Kolumne nennen“ weiterlesen

Beim Schreiben eines Romans (9)

Während er die Badewanne vollaufen ließ, läutete es an der Tür, und im selben Moment wußte er, daß er genau das erwartet hatte.

„Du läufst aus dem Ruder“, sagte das Mädchen. Ihr Blick wirkte wachsam, als rechnete sie mit einem plötzlichen Ausbruch unkontrollierter Aggression.

„Schau nicht so, ich bin nicht krank. Nur verwirrt.“

„Das eine kommt manchmal vom anderen.“

„Oder umgekehrt“, sagte Einfreund und trat einen Schritt zur Seite, wodurch ihn der Türrahmen verbarg, „okay, Binse.“

„Gemütlicher Abend im Bademantel?“ sagte das Mädchen. „Hast du einen zweiten?“ „Beim Schreiben eines Romans (9)“ weiterlesen