Belästigungen 23/2014: Gemein: Nur noch ranzige Promis über 40 auf der Anzeigetafel (und null Streetfood-Kultur)!

Es ist halt so, daß man Zeit braucht. Zum Beispiel wenn man wo hinkommt und feststellen (oder erspüren) möchte, wie es da ist und was es da gibt und so weiter. Wenn einer in eine Stadt kommt, braucht er dafür unter Umständen sehr lange, weil eine Stadt etwas recht Großes ist, mit so vielen Ecken, Winkeln, Zipfeln, Ausläufern, Buchten, Stellen, Plätzen, Orten und Winzigkeiten, daß ein Leben wahrscheinlich gar nicht ausreicht, um sie alle zumindest einmal gesehen zu haben.

Wahrscheinlich macht das Städte so faszinierend und so anregend. In einem kleinen Ort – vor allem wenn er architektonisch und in seiner Gesamtanlage dem deutschen Ideal „Schönheit brauchen wir nicht! Dafür haben wir ein Museum!“ folgt – stößt man schnell an die Grenzen von Interesse und Neugier (solange man die Schlafzimmer und Keller der Nachbarn nicht mit einbezieht), und wenn ein menschliches Gehirn an die Grenzen von Interesse und Neugier stößt, stumpft es ab und wird, wenn es lange und gründlich abstumpft, am Ende ein Nazi oder ein Harzer Käse ohne Kümmel. „Belästigungen 23/2014: Gemein: Nur noch ranzige Promis über 40 auf der Anzeigetafel (und null Streetfood-Kultur)!“ weiterlesen

Frisch gepreßt #322: Bear Hands „Distraction“

Am ersten Ferientag nach der dritten Grundschulklasse lagen wir im Schyrenbad und kannten weder Zeit noch Raum; es duftete nach warmen Chlorwasser, das am Beckenrand in Pfützen verdampfte, in die man sich manchmal legte, wenn man zu lange im Wasser gewesen war und nun mit himmelhellblauen Lippen sofortige Erwärmung suchte; es duftete nach feuchtem Gras, nach Schaumwaffeln, Pommes frites, Waldmeistereis und Americana-Comic-Kaugummi. „Frisch gepreßt #322: Bear Hands „Distraction““ weiterlesen

Belästigungen 22/2014: Ich! bin! alt! und! du! nicht! (eine Tirade)

Neulich war ich zu einem Poetry-Slam geladen. Früher durfte man dort so ziemlich alles, was oft recht spannend war. Seit Julia Engelmann (googeln: auf eigene Gefahr) gilt Regel Nummer eins: Du bist jung. Und du mußt davon schwärmen, wie geil es ist, jung zu sein.

Wer jung ist, hat Chancen, Optionen, Möglichkeiten, Aussichten, eine Zukunft! Aber keine Gegenwart. Die besteht aus Lernen, Aufsagen, Terminen, Jobs, Vorstellungsgesprächen, Praktika, sich endlos den Kopf zermartern, was für Chancen, Optionen, Möglichkeiten man nutzen soll und wie das geht.

Das ist mein Glück: Da, wo ich aufgewachsen bin, hat es keine Chancen und keine Zukunft gegeben. Da hieß es: jetzt Schule, später Arbeit, Rente, dann aus. Aber es gab eine Gegenwart: Fußballspielen, Musik, rumhängen, Leute ärgern, Sachen kaputtmachen, Sex haben, zum Baden fahren, Bücher lesen, spazieren gehen, in der Sonne liegen, nachdenken. Ich habe nie verstanden, wozu ich eine Zukunft brauche, wenn ich eine solche Gegenwart habe. Ich wollte, daß das immer so weitergeht, ohne Zukunft. „Belästigungen 22/2014: Ich! bin! alt! und! du! nicht! (eine Tirade)“ weiterlesen

Frisch gepreßt #321: Neil Diamond „All-Time Greatest Hits“

Für die Generationen, denen ich angehöre, war Neil Diamond schon ein Witz, als wir noch gar nicht richtig wußten, wie man lacht. Ich meine: Wer irgendwann mal, warum auch immer, versehentlich „Song Sung Blue“ hört, dem haut es automatisch den Vögel aus dem Häuschen (insbesondere in der unfaßbar anti-selbstironischen und dabei vollkommen souveränen Version auf dem Livealbum „Hot August Night“). „Everybody knows one / Every garden grows one“ – ho! ho! „Frisch gepreßt #321: Neil Diamond „All-Time Greatest Hits““ weiterlesen

Frisch gepreßt #320: Morrissey „World Peace Is None Of Your Business“

Manchmal möchte man meinen, es sei alles gesagt. Schlußsteine und Abspänne haben die schöne Eigenschaft, daß nach ihrem Auftreten und Erscheinen der Meinungsführer die Feder spitzen und Gesamtbilanz ziehen kann: Was war’s denn nun, in weltgeschichtlichem Kontextzusammenhang? Und was war’s wert?

Bei Morrissey wünscht sich das so mancher lange schon, weil der Nachruf zu Lebenszeiten in der Schublade liegt und nur noch etwas aufgehübscht, mit ein paar aktuellen Nachwörtchen berüscht und der aktuell gültigen Rechtschreibung angepaßt werden muß. My dear, ist das etwa kein Lebenswerk: eine der wichtigsten Bands aller Zeiten, neun Soloalben, von denen (vielleicht mit Ausnahme von Nummer zwei und drei) ein jedes besser war/ist als das vorhergehende, eine doppeldaumendicke Autobiographie, die bei Penguin Classics erschienen ist – und aber verdächtig doppelt und doppelt verdächtig endet: Mit den Worten „and it was dark, and I looked the other way“ schließt der Text; den knappen Danksagungen indes ist das Motto beigefügt: „Whatever is sung is the case.“ „Frisch gepreßt #320: Morrissey „World Peace Is None Of Your Business““ weiterlesen

Belästigungen 21/2014: Vom Dämmern zwischen Urzidil, Schnepfenthal und Zitterspinne

Sowieso ist dies keine leichte Zeit: der Herbst, besonders wenn er so angeschlichen kommt wie dieser, jeden Tag und jeden Tag aufs neue verkleidet als späte Halbschwester des seit Juli spurlos vermißten Sommers, frivol zum Fenster hereinblinzelt, so daß man sich jeden Tag und jeden Tag aufs neue draußen findet, Fuß in der müden Isar, Kopf im taufeuchten Gras, der Blick im milchigen Sonnenhimmel versunken. Wie soll da etwas vorwärtsgehen, wenn die zwei Drittel des Lebens, die man aus guten Gründen vergessen hat, wie Schusterpilze, Fichtenreizker und Pfifferlinge herausploppen aus der Wiese der Vergangenheit und säuselnd-verlockend flüstern von Dingen, die eventuell nie waren, jedenfalls nicht so, bis das gesamte Bewußtsein und Gemüt mit einem nostalgischen Pfannkuchen überzogen ist? „Belästigungen 21/2014: Vom Dämmern zwischen Urzidil, Schnepfenthal und Zitterspinne“ weiterlesen

Belästigungen 20/2014: Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie hätten diese Kolumne (und sich selbst) selbst ausgedruckt (mit Kümmel)!

Im modernen Wahnkarneval um IT-, Marketing- und andere unwürdige Plemperljobs ist es wohl unvermeidlich, daß manch ehrenwerter Beruf längst nicht mehr die Wertschätzung erfährt, die er verdient. Zum Beispiel der Kümmelbauer: Tagein, tagaus bestellt er sein Kümmelfeld, erntet das edle Würzkorn, trocknet und reinigt, sortiert und poliert es, läßt es vom Kümmellieferanten in die große Stadt karren, auf daß der Bäcker etwas Gutes daraus mache.

Leider ist der Bäcker heute kein Bäcker mehr, sondern Fließbandminijobber bei einem (wörtlich übersetzt) „Rückenladen“-Konzern, hat möglicherweise sogar „Sporteventmarketing“, ähem, „studiert“, dann aber nichts zu eventmarketen gefunden, weil der gesamte Sport in Europa und der Welt bereits geradezu surrt und brummt vor Marketing und Events, und steht nun also in einer Blechfabrik vor einem Sack Kümmel, mit dem er wenig anzufangen weiß. „Belästigungen 20/2014: Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie hätten diese Kolumne (und sich selbst) selbst ausgedruckt (mit Kümmel)!“ weiterlesen

Frisch gepreßt #319: Ed Sheeran „X“

Dem Autor dieser Zeilen ist eine gewisse Monomanie zu eigen, die gelegentliches Einschreiten erforderlich macht. Zum Beispiel wenn ein neues Album von einer seiner bevorzugten Brachial-Radau-Romantik-Proleten-Combos erscheint (in diesem Falle: die zweifellos großartige, aber nicht jedermann und Mami und Papi zumutbare Band Howler): dann bringt er es fertig, Wochen und Monate, ja einen ganzen Sommer lang nichts anderes mehr zu hören und aufzulegen, und zwar in einer derart dringlichen Vehemenz und missionarischen Lautstärke, dass irgendwann die Nachbarn das Überfallkommando alarmieren und er selbst mit flatternden Augenlidern und zerfransten Ohren nicht mehr weiß, wer und wo er ist und warum. „Frisch gepreßt #319: Ed Sheeran „X““ weiterlesen

Frisch gepreßt 318: Chrissie Hynde „Stockholm“

Popmusikmänner haben, falls sie nicht früh genug sterben, um zu „Ikonen“ zu werden, zwei Möglichkeiten, ihr späteres Berufsleben zuzubringen: Entweder sie erreichen rechtzeitig den „Olymp“ und können sich die folgenden Jahrzehnte darauf beschränken, ab und zu mal ein Konzert anzukündigen und abzuspulen oder (vgl. Prince) bei Unlust auch nicht; die zahlenden Massen interessiert das ebenso wenig wie die Schreiber, die bei jedem solchen „Lebenszeichen“ die alte Bullshitkiste unter dem Tisch hervorziehen und die Ikonizität der Ikone ikonisieren. „Frisch gepreßt 318: Chrissie Hynde „Stockholm““ weiterlesen

Belästigungen 19/2014: Hände hoch! Jacken weg! Hier kommt die „Shariah Police“-Police!

Ich hege keine spezielle Sympathie für Menschen, die irgendeine Religion zum Prinzip ihrer Lebensgestaltung machen, weil dabei im besten Falle eine zwanghafte Selbstkasteiung samt neurotischem Triebstau und missionarischen Bekehrungspredigten sowie im schlimmsten Fall ein Kreuzzug mit Millionen Toten herauskommt. Abgesehen davon kann man mir erzählen, was man will – ich glaube den Schmarrn einfach nicht, und wenn ihn jemand anderer gerne glauben mag, dann soll er das in seinem Privatbereich nach Herzenslust tun, aber nicht von mir verlangen, daß ich irgendwas davon mehr als respektiere.

Andererseits haben diese Leute manchmal schon recht lustige Ideen. Zum Beispiel die „fünf Männekes“ (Selbstbeschreibung), die neulich in orangeroten Jäckchen mit der Aufschrift „Shariah Police“ durch Wuppertal spazierten und vor Diskotheken und Spielhallen Jugendliche, die ihnen dem optischen Eindruck nach „muslimisch“ erschienen (ein hübsches Thema für eine Rassismusdiskussion, aber dieses Faß bleibt heute mal geschlossen), dazu ermahnten, sich gefälligst eine gottgefällige Lebensweise zuzulegen, anstatt sich Trunk-, Spiel- und sonstigen westlich-degenerierten Süchten hinzugeben. „Belästigungen 19/2014: Hände hoch! Jacken weg! Hier kommt die „Shariah Police“-Police!“ weiterlesen

Belästigungen 18/2014: Vom Hitler, von Putin, von Hysterie und Raserei und einem möglichen Mittel dagegen

Daß der Hitler nicht der Hellste war, zeigen unter anderem seine Begründungen für die deutschen Überfälle auf andere Länder: Hätte er beispielsweise darauf hingewiesen, daß Polen 1939 von einem homophoben Despoten regiert wurde, der separatistische Rebellen in einem Nachbarland (der Tschechei) unterstützte und einen Teil davon sogar völkerrechtswidrig annektiert hatte, während er selbst fürsorglich bemüht war, dieses Nachbarland enger an den Westen zu binden, und es in der Führung seiner Partei und anderer Organisationen von Schwulen nur so wimmelte, – wer weiß, wer weiß. Statt dessen faselte der deutsche Führer wirres Zeug von „Arrondierung“ und „Ernährung“ und ließ SS-Leute in Maskerade einen deutschen Radiosender überfallen, um in holprigem Polnisch angebliche Kriegserklärungen zu brabbeln. „Belästigungen 18/2014: Vom Hitler, von Putin, von Hysterie und Raserei und einem möglichen Mittel dagegen“ weiterlesen

Belästigungen 17/2014: Zu spät! Zu spät! Zu spät! (eine Perlenkette vorherbstlicher Abschweifungen)

Menschen sind immer zu spät dran. Kaum stürmt Mitte August der alljährliche Vorherbst bzw. Viertelwinter, den jeder seit den ersten Sommerferien seines Leben kennt, mit gewohnt überraschender Vehemenz daher, hat der Mensch auch schon die Liste mit den ganzen Seen und Flüssen, in denen er heuer unbedingt mal baden mag, fertiggestellt. Blubb, denkt er sich, hm, wird schon wieder schöner.

Kaum hat sich der Mensch dann daran gewöhnt, daß nun wohl eher die Saison der Radltouren angebrochen ist, und sein altes Klappergestell endlich doch mal zum Richten gebracht, fängt es zu schneien an, und da fällt ihm ein, daß er seit dem ersten Frühlingsblinzeln jeden zweiten Tag gedacht hat: Heuer bin ich schlau und trage jeden zweiten Tag (also morgen) so viel herumliegendes Brennholz ins Haus, daß ich im Herbst nichts bestellen muß. „Belästigungen 17/2014: Zu spät! Zu spät! Zu spät! (eine Perlenkette vorherbstlicher Abschweifungen)“ weiterlesen

Belästigungen 16/2014: Von den Freuden des Kefirs, den die Muße küßt

Es gibt Zeiten, da bricht die Faulheit mit einer solchen Vehemenz über einen herein, daß es regelrecht beängstigend sein könnte (wenn man nicht viel zu faul wäre, um sich zu ängstigen). Da schafft sie es, den Menschen zu lähmen und in seinen Sessel hineinzulegen wie einen Liter Kefir, den man ohne größeren Aufwand nicht mehr aus den Polstern herauskriegt. Um solche Wirkungsmacht zu entfalten, bedient sich die Faulheit perfider Strategien und fieser Werkzeuge in der realen Außenwelt.

Zum Beispiel: hat man an einem beliebigen Tag das angeborene Programm an Prokrastinationsbemühungen (umständliches Kaffeekochen, sporadisches Geschirrspülen, ergebnisloses Aus-dem-Fenster-Starren, langwierige Verabschiedung der Übernachtungsgästin, zweckloses Herumzappen zwischen identischen Radiosendern, Herunterleiern tausender Witzbild- und Sinnsprucheinträge auf Facebook, Löschen einer knappen Million Spammails mit dem Betreff „Get slim fast!“ usw. usf.) einen ganzen Vormittag lang absolviert und sieht sich nun von diversen Abgabeterminen genötigt, doch mal eine einigermaßen aufrechte innere Haltung einzunehmen, um Buchstaben zu Wörtern und womöglich einem kompletten, druckbaren Text zusammenzukleben. „Belästigungen 16/2014: Von den Freuden des Kefirs, den die Muße küßt“ weiterlesen

Belästigungen 15/2014: Randbemerkungen zum größten Skandal der Welt

Ich habe heute meinen alten Kater beerdigt. Es war ein langes, langsames Sterben, das er hinter sich bringen mußte; und während ich das schreibe, wird mir wieder einmal klar, daß Sprache für gewisse Dinge in den Randbereichen der Welt nicht geeignet ist. Denn selbstverständlich hat er nichts hinter sich gebracht, weil er nicht mehr ist und deshalb auch nichts hinter sich haben kann. Eher hat etwas ihn hinter sich gebracht, aber auch dafür müßte er noch sein. Es ist gleich.

Es mag pietätlos wirken, aber während man am Sterbebett eines alten Katers sitzt und nichts tun kann außer warten, gehen einem mancherlei Dinge durch den Kopf, und da hat man auch mal wieder Zeit, die Zeitungen durchzublättern, die man sonst achtlos in den Müll wirft, weil einem das Gebrumsel und Gebrabbel der neoliberalen Journalistendarsteller den Nerv tötet und die gute Laune zersetzt. „Belästigungen 15/2014: Randbemerkungen zum größten Skandal der Welt“ weiterlesen

Belästigungen 14/2014: Com in poco de Hahno mit de Sprudeltanco! (Jipii! Jipii!)

Neulich war an dieser Stelle vom Wasser die Rede, was ein schönes Thema ist, auch für Leserbriefschreiber, die nun wettern (!), ich hätte mit meinen trotzigen Prangerungen wider die Regenlosigkeit als eine Art „Mind over Matter“-Medium psychokinetisch dafür gesorgt, daß es nun fast nur noch regnet.

Was sich die Leute vorstellen! Ich weise darauf hin, daß mein durchaus Geistesverwandter Donald Duck dereinst zwar krude verschmückt in der Prärie herumgehüpft ist und mit dem Choral „Jipii, jipii! Com in poco de locho mit de wassertanco!“ für einen regelrecht flußsprengenden Guß gesorgt hat. Indes ist einschränkend hinzuzufügen, daß dahinter eine durchaus typische Melange aus technischem Wunderklimbim und esoterischem Humbug steckte (und zwar mag es vorkommen, daß ich, wenn ich mich unbeobachtet wähne, meine Wiese mit Nackttänzen bespiele und dabei durchaus seltsame Verse skandiere, aber die meteorolgische Wirkung solchen Tuns hält sich in engen Grenzen). „Belästigungen 14/2014: Com in poco de Hahno mit de Sprudeltanco! (Jipii! Jipii!)“ weiterlesen