Ich habe die Hälfte meines Lebens in Wirtshäusern verbracht. Wenn man von jemandem sagt, er habe die Hälfte seines Lebens in Wirtshäusern verbracht, schwingt ein despektierlicher Unterton mit: Der geregelten Arbeit und einem anständigen Familienleben war der wohl eher abhold, meint man damit implizit.
Darin mag ein wahrer Kern stecken, je nachdem was man unter „geregelt“, „anständig“ und „abhold“ versteht. Worauf ich hinaus will, ist aber etwas anderes: nämlich daß es heute kaum noch möglich ist, die Hälfte eines menschlichen Lebens im Wirtshaus zu verbringen, und daß das Gründe und Ursachen hat, die möglicherweise eine ganze Menge mit einer umfassenden Regelung, Steuerung und Kontrolle des Lebens zu tun haben, die weit über Arbeit und Familie hinausgeht. „Belästigungen 8/2024: Kneipenlos kriegstüchtig – ein Abgesang auf Wirtshaus, Schwemme und Spelunke“ weiterlesen


Ich weiß schon: Schwabing gibt es nicht. Leider bin ich an den Ort, den es nicht gibt, gerade erst aus dem etwas weiter nördlichermüncherischen Exil zurückgekehrt, weswegen meine Bibliothek noch ein der alphabetischen oder sonst einer Ordnung völlig entrücktes, zimmerdeckenkratzendes Gebirge ist; so muß ich den Versuch unterlassen, Zeugen zum Zitieren heranzuziehen, weil dieses Heran- zugleich ein Herausziehen bedingte, welches unausweichlich zu einer Buchrutschkatastrophe nicht zu ahnenden Ausmaßes führen würde. Dann gäbe es nicht nur Schwabing nicht, sondern möglicherweise auch mich nicht mehr, womit auch nichts bewiesen und wir keinen Schritt weiter wären.
Zu Hause war mein Unfall Thema aller Gespräche und Gerüchte. Von einem Lastwagen überfahren zu werden, war noch keinem gelungen, außerdem durfte ich noch zwei Wochen daheim bleiben. Weil meine Mutter vormittags arbeitete, saß ich dann mit meinem Vater – der Spätschicht hatte – auf dem Spielplatz vor dem neuen Haus, wo er jetzt wohnte.
Man könne so gut wie gar nichts mehr essen, weil man sonst sterbe, hat mir vor längerer Zeit jemand gesagt, als mal wieder ein durch den Lebensmittelmassenhandel oder einen gezielten Eingriff zwecks Panikmache verbreiteter Bazillus oder Virus oder irgend so ein Mikroviech Menschen hinraffte. Rein statistisch betrachtet leuchtet das ein: Tatsächlich sind so gut wie alle Menschen, die in den letzten, sagen wir: fünf Millionen Jahren etwas gegessen haben, in erdgeschichtlichen Maßstäben ziemlich bald darauf gestorben – und zwar völlig unabhängig davon, womit der jeweilige Todgeweihte seinen Verdauungstrakt füllte. Das, möchte man vermuten, ist eben die gemeine Hinterhältigkeit des Lebens und der Natur: Man müht sich redlich, nichts falsch zu machen, und eines Tages ist es doch vorbei