Belästigungen 20/2014: Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie hätten diese Kolumne (und sich selbst) selbst ausgedruckt (mit Kümmel)!

Im modernen Wahnkarneval um IT-, Marketing- und andere unwürdige Plemperljobs ist es wohl unvermeidlich, daß manch ehrenwerter Beruf längst nicht mehr die Wertschätzung erfährt, die er verdient. Zum Beispiel der Kümmelbauer: Tagein, tagaus bestellt er sein Kümmelfeld, erntet das edle Würzkorn, trocknet und reinigt, sortiert und poliert es, läßt es vom Kümmellieferanten in die große Stadt karren, auf daß der Bäcker etwas Gutes daraus mache.

Leider ist der Bäcker heute kein Bäcker mehr, sondern Fließbandminijobber bei einem (wörtlich übersetzt) „Rückenladen“-Konzern, hat möglicherweise sogar „Sporteventmarketing“, ähem, „studiert“, dann aber nichts zu eventmarketen gefunden, weil der gesamte Sport in Europa und der Welt bereits geradezu surrt und brummt vor Marketing und Events, und steht nun also in einer Blechfabrik vor einem Sack Kümmel, mit dem er wenig anzufangen weiß. Man erklärt ihm, es handle sich um Würze, also haut er es zusammen mit achtzehntausend Kilo Salz auf seine Teiglinge drauf, verkauft die dann als „Bierstangerl“ o. ä. und muß zum Glück nicht zuschauen, wie achtzehntausend verärgerte Kunden im Biergarten herumsitzen und reiben und schaben wie die Irren und das ganze Areal in einen Wüstensturm von Körnchen verwandeln, weil – egal ob man Kümmel mag oder nicht – die auf einem „Bierstangerl“ festzementierte Dosis Salz annähernd tödlich und jedenfalls ungenießbar ist und man das Schlaganfallgift aber nicht runterkriegt, ohne den Kümmel mit abzuschaben.

Arme Seelen wie ich, die Brot ohne Kümmel (und Koriander) nicht als Nahrungsmittel, sondern als kompostierbares und somit immerhin als Dünger verwertbares Äquivalent zu Dämmschaum und Styropor betrachten, sitzen derweil hungernd und hilflos betrunken herum, weil der Versuch, jedes einzelne ekle Salzkorn zu entfernen, den Kümmel aber auf dem Teigling zu belassen, Stunden dauert und man dabei mehr Kalorien verbraucht, als man sich mit dem Weißmehlmüll jemals zuführen könnte, weshalb man drei Maß Bier hinunterstürzt, um überhaupt weiter rupfen, zupfen, knispeln, reiben und irgendwann mit geplatztem Kragen doch noch schaben und das endlich nackte Ding auf den Kompost werfen zu können.

Und der Kümmelbauer? Der kümmelt fröhlich weiter, nicht ahnend, was mit den edlen Früchten seiner naturverbundenen Schwerstarbeit am anderen Ende der Verwertungskette geschieht. Ein Mindestmaß an Logik kriegt man in diesen Circus des Irrsinns nur hinein, wenn man davon ausgeht, daß der Kümmelbauer sein Feld mit übriggebliebenen Teiglingen düngt, allerdings wird die Sache davon nur noch irrsinniger. Und zwar spätestens dann, wenn der Weizenbauer ins Spiel kommt.

Aber wahrscheinlich wird der Zinnober mit den Berufen sowieso überschätzt. Vielleicht wäre es vernünftiger, derartigen Kram generell den Eventmarketerern zu überlassen, die dann ihre Kümmelfelder mit Salz düngen, Brennesseln ernten und sich den Kümmel (den ihre Lieferanten vernünftigerweise direkt in die Biergärten kippen) einfach ausdrucken.

Hier stutzt der trendvergessene Kulturpessimist: Kümmel ausdrucken? Da war der Kulturpessimist wohl mal wieder zu trendvergessen und hat nicht aufgepaßt, als der „Soziologe“, der „Ökonom“, der „Publizist“ und der „Politikberater“ gesprochen haben, am besten noch der „Theoretiker der Zugangsgesellschaft“ dazu, der all das in sich vereint. Der solche trägt den Namen Jeremy Rifkin, hat „über zwanzig Bücher“ ver-, na ja, -faßt und ist vor ein paar Jahren mit der geilen These durch die Fernsehsender gezogen, in Europa werde die Kultur immer die Wirtschaft „überwiegen“ (oder so). Ho ho, haben wir damals gedacht, wer hat dem denn ins Hirn gekümmelt!

Jahre und Bücher später tingelt Herr Rifkin wieder daher und hat neue Ideen: „In ein paar Jahren wird jeder mit seiner eigenen Energie seine eigenen 3-D-Drucker-Produkte herausbringen. Für die Energie haben wir einen Plan entwickelt, der auf fünf Säulen beruht. Erstens braucht man Einspeisetarife für erneuerbare Energien, das habt ihr in Deutschland gut gemacht. Dann wandelt man seine Häuser mit kleinen erneuerbaren Energien in Minikraftwerke um. Wir machen das übrigens überall auf der Welt und schreiben nicht nur Bücher darüber.“

Wow, denken wir, offenbar besteht Herr Rifkin oberhalb der Halskrause mittlerweile nur noch aus Salz, Kümmel und Weizenmehl – ist ja auch genug davon da. Aber da hören wir ihm lieber noch ein paar Sätze weiter zu: „Kürzlich ist in Chicago das erste Auto ausgedruckt worden, nur mechanische Komponenten wie Motor oder (sic!) Batterie mußten nachträglich eingebaut werden.“ Nur! Und ob das jetzt ein Motor oder eine Batterie ist, was man da „nachträglich“ (wir vermuten: nach der etwas enttäuschenden Probefahrt) einbaut, ist eigentlich wurst, weil: „In China haben sie neulich zehn Häuser in vierundzwanzig Stunden ausgedruckt.“

Und spätestens da schweigen wir dann insgesamt, drucken uns noch ein Bier aus und notfalls die Kneipe und den Tresen dazu und finden es höchstens als komplett vernagelte und eingenähte Kulturpessimisten ein bißchen fragwürdig, was da als neue Welt auf uns zukommt. Weil der ganze Irrsinn ja auch einen großen Vorteil hat: einen Kümmelbauern kann man sich ausdrucken, notfalls zehn chinesische in vierundzwanzig Stunden, notnotfalls eine ganze Arbeiterklasse können wir uns ausdrucken!

Hingegen ein Eventmarketing, welches auch immer: Wie druckt man das aus? Wahrscheinlich aus purem Salz.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN. Die Folgen 1 bis 400 sind in vier Bänden als Buch erhältlich.

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