Belästigungen 19/2014: Hände hoch! Jacken weg! Hier kommt die „Shariah Police“-Police!

Ich hege keine spezielle Sympathie für Menschen, die irgendeine Religion zum Prinzip ihrer Lebensgestaltung machen, weil dabei im besten Falle eine zwanghafte Selbstkasteiung samt neurotischem Triebstau und missionarischen Bekehrungspredigten sowie im schlimmsten Fall ein Kreuzzug mit Millionen Toten herauskommt. Abgesehen davon kann man mir erzählen, was man will – ich glaube den Schmarrn einfach nicht, und wenn ihn jemand anderer gerne glauben mag, dann soll er das in seinem Privatbereich nach Herzenslust tun, aber nicht von mir verlangen, daß ich irgendwas davon mehr als respektiere.

Andererseits haben diese Leute manchmal schon recht lustige Ideen. Zum Beispiel die „fünf Männekes“ (Selbstbeschreibung), die neulich in orangeroten Jäckchen mit der Aufschrift „Shariah Police“ durch Wuppertal spazierten und vor Diskotheken und Spielhallen Jugendliche, die ihnen dem optischen Eindruck nach „muslimisch“ erschienen (ein hübsches Thema für eine Rassismusdiskussion, aber dieses Faß bleibt heute mal geschlossen), dazu ermahnten, sich gefälligst eine gottgefällige Lebensweise zuzulegen, anstatt sich Trunk-, Spiel- und sonstigen westlich-degenerierten Süchten hinzugeben.

Da sollte man eigentlich tosenden Applaus erwarten, insbesondere aus dem Lager der sogenannt christlichen Moralapostel, die ansonsten kaum je müde werden, derlei Ausschweifungen als Grund und Wurzel allen Übels anzuprangern. Aber nein, in diesem Fall handelte es sich nun mal um „Salafisten“, also Angehörige einer Art islamischer CSU, deren Bestreben wahlweise Weltherrschaft oder Weltuntergang sein soll und deren Wuppertaler Wortführer früher mal Feuerwehrmann war, bis sein gottgefällig wuchernder Kinnbart nicht mehr in eine Atemmaske hineinpaßte.

Und deshalb sind Deutschlands Ordnungsfanatiker von dem harmlosen Jux der „Shariah Police“ nicht etwa milde amüsiert angetan, sondern stürzten sich umgehend in einen medialen Amoklauf. „Vergleichbare Vorfälle hat es bisher nicht gegeben“, tönte ein Polizist, der offenbar noch nie von den diversen „Bürgerwehren“, Nazibanden und Privatarmeen gehört hat, die nachts im fernen deutschen Osten gerne mal um einiges gründlicher aufräumen und es nicht immer beim bloßen „Klatschen“ fremdartig scheinender Nichtarier belassen.

Die echten Polizisten, die die „Shariah Police“ bei ihrem schändlichen Tun ertappten, erstatteten Anzeige wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (welches das kollektive Tragen „uniformähnlicher Kleidung“ untersagt, was für Oktoberfestbesucher auch eine recht interessante Information sein könnte). Der Bundesjustizminister tobte, es handle sich um einen „Anschlag auf unser freies Lebensmodell“, und „eine illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden“, was in mir den vagen Wunsch weckte, dieses „freie Lebensmodell“ mal ein bißchen eingehender zu diskutieren und dabei vielleicht auch zu erfahren, welche Urteile die „Paralleljustiz“ der fünf Männekes gefällt hat.

Volker Kauder wiederum forderte umgehend ein Verbot der „vermeintlichen Tugendwächter“ (sagte allerdings nicht dazu, wie das gehen soll). Und der Innenminister war ebenfalls früh genug wach, um in die „Bildzeitung“ hineinzuröhren: „Niemand darf sich anmaßen, den guten Namen der deutschen Polizei zu mißbrauchen!“ Daß die deutsche Polizei neuerdings den guten Namen „Police“ trägt, war mir bislang nicht bekannt. Aber immerhin verstehen wir nun möglicherweise, weshalb die „Paralleljustiz“ der Nazimörder Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe so lange unbehelligt „Lebensmodelle“ vernichten durfte: weil sie schlau genug waren, sich nicht „Nationalsozialistische Untergrund-Police“ zu nennen.

Und dann kam noch der NRW-Innenminister daher, ließ die orangeroten Westen „sicherstellen“, um die ungeheure Bedrohung zu bannen, die von derlei Textilien ausgeht, und dazu verlauten, es sei „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wenn sich jemand Polizeihoheiten anmaßt“. Wachdienste wie die notorischen „Schwarzen Sheriffs“ oder der „Ordnungsdienst“ in Fußballstadien, den der Herr Minister so gerne lobt, dürften so etwas nicht unbedingt mit Freuden hören.

Es ist aber auch ein simples Mißverständnis: Es ist nicht und war noch nie Aufgabe (und schon gar nicht „Hoheit“) der Polizei, Menschen auf den rechten Weg zu führen und irgendwelche sündigen Umtriebe zu verhindern. Sie ist noch nicht mal dazu da, (zum Beispiel) einem Betrunkenen davon abzuhalten, mit dem Radl heimzufahren. Sondern sie muß den Betrunkenen dabei erwischen, in eine Klinik verschaffen, ihm Blut abzapfen lassen und damit den Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung beweisen. Ginge es um „Sicherheit und Ordnung“, wäre es der Polizei nicht nur erlaubt, sondern sie wäre sogar verpflichtet, den offensichtlich sich selbst und andere gefährdenden Betrunkenen danach wieder heimzufahren.

Das darf sie aber nicht. Weil das Zeit kostet, in der sich neue Ordnungswidrigkeiten ahnden und Einnahmen generieren lassen, mit denen der Staat Schulen, Museen und Straßen bauen lassen und Polizisten bezahlen kann, ohne dafür die Millionäre zur Steuerkasse bitten zu müssen. Und deshalb ist die salafistische „Shariah Police“ tatsächlich eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“, und zwar eine größere als Nazibanden und Bürgerwehren: weil ihr Wirken eventuell das Aufkommen an Geldstrafen verringern könnte. Weil, anders gesagt, sich strafbar macht, wer Ordnungswidrigkeiten verhindert.

Ja, die Welt ist manchmal wirr. Daß erst ein paar salafistische Männekes daherkommen müssen, um ein paar simple Zusammenhänge zu verdeutlichen, ist Teil dieser Wirrnis. Und drum manchmal schon ganz hilfreich.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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