B. ist ein zartes Mädchen. „Pflänzchen“ sagen manche zu ihr. Sie mag mehlige Pastellfarben, samtige Stoffe, perlendes Sonnenlicht auf der Wasserschale am Fenster, zarte Wolken am Morgenhimmel, wenn sie fast lautlos vor sich hin summend die eosinrot aufatmenden, menschenleeren Straßen nach Hause flaniert, zu ihrem Kämmerchen unter dem Dach in einem kleinen Haus am Stadtrand. „Frisch gepreßt #333: Belle & Sebastian „Girls In Peacetime Want To Dance““ weiterlesen
Frisch gepreßt #332: Madonna „Rebel Heart“
Ein „Leak“ ist für den Seemann unerfreulich. Wenn ein solches am Schiffsrumpf auftritt, plätschert nämlich das Meer, das den Nachen bis dahin so freundlich getragen hat, frecherweise in diesen hinein, bis buchstäblich die Luft raus ist und das kühle Grab am Grund nicht mehr warten muß.
In der Musikindustrie ist ein Leak sozusagen das Gegenteil und doch das gleiche: Da sprudeln sie hinaus, die Contents, mit denen man den Sparbüchsen der Fans Millionen zu entlocken hoffte, und nicht selten auch sorgt ein solches Leak dafür, daß schon lange vor einem erhofften Comeback alle Welt weiß: Bei dem ist nun wirklich die Luft raus. „Frisch gepreßt #332: Madonna „Rebel Heart““ weiterlesen
Im Regal: Mark Vonnegut „Eden Express – Die Geschichte meines Wahnsinns“
Im Bücherschrank meiner Gartenhütte steht ein weitgehend vergessener Klassiker: John Seymours „Großes Buch vom Leben auf dem Lande – ein Handbuch für Realisten und Träumer“, von dem sich hierzulande eine Generation mittelschichtiger Nazikinder anregen ließ, Landkommunen zu gründen und abseits der kapitalistisch-konsumistischen Tretmühle ein erfülltes Leben samt Selbstversorgung von der eigenen Scholle zu suchen. Letztlich gediehen indes zumeist nur das Haupthaar und diverse Neurosen und Konflikte, und so verlegten sich vermeintliche Realisten wie Träumer darauf, lieber „grüne“ Parteien zu gründen, sich mittels idiotischer Sprachschöpfungen wie „grünes Wachstum“ und „erneuerbare Energien“ mit der ehedem verhaßten Tretmühle zu versöhnen und ihren reibungslosen Weiterlauf selbst zu organisieren. „Im Regal: Mark Vonnegut „Eden Express – Die Geschichte meines Wahnsinns““ weiterlesen
Belästigungen 03/2015: Was Hänschen nicht lernt, glaubt Hans dann erst recht nicht (und umgekehrt)
Es ist in diesen Tagen so viel von Religion die Rede, daß man nicht umhin kommt, bisweilen darüber zu sinnieren, ganz automatisch, weil das Thema sozusagen von jedem Glockenturm schallt. Ich kann mich dem als Mensch mit Augen und Ohren und einem Gedächtnis kaum entziehen, und da ist mir zum Beispiel eingefallen, daß wir einst einen sehr liebenswerten, leider auch ziemlich cholerischen und bisweilen slapstickmäßig handgreiflichen Religionslehrer hatten, und weil mir der nette Mensch wieder eingefallen ist, habe ich darüber sinniert, was wir bei ihm eigentlich so gelernt haben.
Zum Beispiel hat er uns beigebracht, daß und warum die erwähnten Glockentürme sonntags um zwölf zum „Engel des Herrn“ läuten (ich weiß es nicht mehr) und daß eine Harnröhrenoperation (der er sich damals unterziehen mußte) enorm schmerzhaft und wünschensunwert ist. „Belästigungen 03/2015: Was Hänschen nicht lernt, glaubt Hans dann erst recht nicht (und umgekehrt)“ weiterlesen
Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #1: Howler „World of Joy“ (2014)
Das Problem mit dem Rock ’n’ Roll besteht darin, daß er so leicht zu imitieren ist, weil die Zutaten so simpel sind: lauter Rhythmus, ein paar noch lautere Melodie- und Harmonieinstrumente, Stimme (die keinerlei fachlich zu bewertende Qualität haben muß) und eine unklare Attitüde von Zorn, Trotz, Verweigerung und Sehnsucht, die sich jeder Ergründung und Definition entzieht. „Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #1: Howler „World of Joy“ (2014)“ weiterlesen
Im Regal: Jonathan Coe „Liebesgrüße aus Brüssel“
Es ist zweifellos eines der seltsamsten Gebäude, die auf dieser Welt herumstehen: das Atomium in Brüssel, zur ersten Nachkriegsweltausstellung 1958 errichtet als alles überragendes Symbol für die alles überragende Bedeutung der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“, die als ideologischer Überbau und Popanz für die totale Technisierung irdischen Lebens herhalten mußte.
Aus heutiger Sicht bietet diese krause Veranstaltung das halkyonische Bild einer putzigen Idylle im „Kalten“ Krieg während der sogenannten „Tauwetterperiode“. Mit dem Zweiten Weltkrieg im Rücken und einer suizidal anmutenden Begeisterung für atomare Vernichtung (aus Motiven, die sich heute weder erklären noch nachvollziehen lassen) als Dauergrusel im Hinterkopf mag es verständlich wirken, daß man die wirre, lebensgefährliche Gegenwart und den mörderischen Abgrund der jüngeren Vergangenheit lieber ausblendete und sich euphorisch dem rückhaltlosen Zukunftswahn ergab, der heute noch als Echo aus jedem Politikergequassel herausschallt. Den Wettkampf der Massentötungstechnologien zum Mühen um das Wohl der Menschheit umzudeuten, war freilich reiner Irrwitz, aber zumindest psychologisch möglicherweise erklärbar. „Im Regal: Jonathan Coe „Liebesgrüße aus Brüssel““ weiterlesen
Frisch gepreßt #331: Robbie Williams „Under The Radar Vol. 1“
Es soll ja sogar vorkommen, daß Songs nach einem Zuhause schreien. Weil bei Robbie Williams bekanntermaßen alles vorkommen kann, was irgendwie absurd und ein bisserl deppert, gerade deswegen aber so hinreißend komisch ist. Jetzt haben also 14 Songs nach einem Zuhause geschrien, und Robbie hat ihnen eines gegeben, ist schließlich bald Weihnachten, da kriegt man ein weiches Herz, wenn man nicht sowieso eines hat, was in diesem Fall kaum umstreitbar ist. „Frisch gepreßt #331: Robbie Williams „Under The Radar Vol. 1““ weiterlesen
Im Regal: Gabriele Goettle „Haupt- und Nebenwirkungen. Zur Katastrophe des Gesundheits- und Sozialsystems“
Das Sozialsystem (nicht nur, aber tatsächlich ganz besonders) unseres Landes ist ein Tummelplatz für Idioten: nützliche Idioten wie Politiker, Ärzte und Funktionäre, die in ihrer kollektiven Verblödung den Befehlen und Verlockungen einer wahnsinnig gewordenen Lobbymafia verfallen, und zynische Idioten, die angesichts der unfaßbaren, mörderischen Zustände und Vorgänge die Arme verschränken – ja nun! So ist er eben, der Kapitalismus, gelt? – und mit arrogantem Balkongrinsen auf die theoretische Bibliothek verweisen, der das alles doch seit Jahrzehnten, Jahrhunderten zu entnehmen sei; q. e. d. Damit solle man sich halt mal beschäftigen, dann werde man das schon kapieren, und ändern könne man das nur, wenn man grundsätzlich alles ändere.
Es geht im Sozial- und Gesundheitssystem aber nicht darum, irgend etwas herzuleiten, abzuleiten, zu durchdringen und dozieren zu können; sondern es geht wenigstens vordringlich darum, in frustrierender Sisyphos-Ameisenarbeit den politisch gewollten oder zumindest in Kauf genommenen Beschiß und (so übertrieben das klingen mag) Massenmord zu bremsen, der seit den „Reformen“ der Schröder/Fischer-Bande ein Ausmaß angenommen hat, das jedem, der davon in Einzelheiten erfährt, die Haare zu Berge stehen läßt. „Im Regal: Gabriele Goettle „Haupt- und Nebenwirkungen. Zur Katastrophe des Gesundheits- und Sozialsystems““ weiterlesen
Frisch gepreßt #330: She & Him „Classics“
Dies ist ein Notfall. Seit Wochen sitzt der Sailer in seinem Kämmerlein, dröhnt sich mit den weltvernichterischen Hymnen der österreichischen Band Wanda die Hirnrinde weg und wird immer grauhäutiger. Das kann nicht so weitergehen! Wir brauchen dringend Remedur!
„Hm, da ist guter Rat teuer. Zeigt er sich insgesamt zugänglich?“ „Frisch gepreßt #330: She & Him „Classics““ weiterlesen
Im Regal: Raffael Chirbes „Am Ufer“ (2014)
Wenn es ein Symbol der sogenannten „Krise“ gibt, die in Südeuropa wie ein sozialer Tornado wütet und ja vielleicht – wenn man den Menschen und somit auch den von ihm entfesselten kapitalistischen Prozeß von Wachstum und Vernichtung zur Natur rechnet – tatsächlich die „Naturkatastrophe“ ist, als die sie beschämte Apologeten erscheinen lassen möchten, dann sind das die Betonskelette ungeborener Häuser, die seit Jahrzehnten in zunehmender Dichte die Küsten des Mittelmeers säumen. Auch auf dem Titel dieses Buchs ist ein solches sinnloses Monstrum zu sehen, hingestellt in der Hoffnung auf Geld und unfertig stehengelassen, nachdem das Geld dorthin verschafft war, wo es hingehört.
Spanien, wir wissen es, ist ein Hauptlabor der „Krise“, wo fast niemand mehr arbeitet und die wenigsten noch etwas haben (die dafür um so mehr), wo man klagt und leidet, protestiert und mit immer brutaleren Mitteln weiterhin Geld zu Geld umverteilt. „Im Regal: Raffael Chirbes „Am Ufer“ (2014)“ weiterlesen
Frisch gepreßt #329: Bryan Ferry „Avonmore“
Contenance, die vornehm blasse Cousine, ist das distanzierteste Mitglied der Großfamilie Elegance, die schon insgesamt nicht übermäßig sociable ist und das smoothe, reclusive Countryside-Leben allemal dem nervösen Treiben in den irdischen Metropolen der Mittelmäßigkeit und Betriebsamkeit vorzieht. Von der Contenance erzählt man sich beispielsweise folgende Anekdote: „Frisch gepreßt #329: Bryan Ferry „Avonmore““ weiterlesen
Frisch gepreßt #328: Led Zeppelin „Houses Of The Holy (Remastered Deluxe Edition)“
1973 war ein merkwürdiges Jahr, eine grenzwertig pubertäre Mischung aus Exzeß und Psychose, aus deliriös betrunkenem Sex auf dem Hochseil und dem tiefsten Abgrund verkaterter Heuldepression. Sogar Slade, die Knallfroschabteilung der gerade noch flammenden, flirrenden und flitternden Glamrockszene, schrieben damals Balladen! Zu schweigen von Roxy, Bowie, Cockney Rebel – allerorten epochale Trauer, aufgepumpt mit Weltschmerzpathos und Nebelschwaden von Kokain oder vielmehr deren Nachwehen. „Frisch gepreßt #328: Led Zeppelin „Houses Of The Holy (Remastered Deluxe Edition)““ weiterlesen
Belästigungen 02/2015: Ein paar ironiefreie Bemerkungen zu Charlie Hebdo, „Pegida“, „Bagida“, „Mügida“ und einigem anderen
Am 22. Juli 2011 erschoß ein Mann in Norwegen 77 Menschen. Am 7. Januar 2015 erschossen drei Männer in Paris 17 Menschen.
Der norwegische Mörder gab an, er habe sein Land gegen den Islam und einen sogenannten „Kulturmarxismus“ verteidigen wollen. Im Urteil spielte diese idiotische Begründung keine Rolle, auch in der Berichterstattung behauptete meines Wissens niemand, es habe sich um „christlichen“, „antiislamischen“ oder „antimarxistischen“ Terrorismus gehandelt. Die Pariser Mörder sollen vor ihrer Tat „Allahu akbar!“ gerufen haben. So gut wie keine Meldung zu dem Anschlag kommt ohne den Begriff „islamistischer Terror“ aus.
Es ist viel davon die Rede, es sei dabei um Karikaturen gegangen. Es müsse, so heißt es, auch weiterhin möglich sein, Witze zu machen, ohne erschossen zu werden. Dies ist zweifellos richtig. Es ging bzw. geht aber in beiden Fällen weder um Karikaturen noch um Witze noch um Meinungsfreiheit, und es geht auch nicht um den Islam. „Belästigungen 02/2015: Ein paar ironiefreie Bemerkungen zu Charlie Hebdo, „Pegida“, „Bagida“, „Mügida“ und einigem anderen“ weiterlesen
Frisch gepreßt #327: Thurston Moore „The Best Day“
Im späten Oktober und frühen November kommt die Welt langsam zum Erliegen, und in den Lücken und Rissen der fransig werdenden Entwicklung tauchen alte Gesichter auf, was nicht immer unbedingt erfreulich ist. Wer mag und entsprechend gestimmt ist, kann den ganzen Winter in Reminiszenzen baden – neue Alben von Prince, Lenny Kravitz, Farin Urlaub, Bob Seger, Pink Floyd, AC/DC, Holly Johnson bieten hinreichend Material zur Fortsetzung oder Wiederaufnahme verwehter Jugendlichkeiten diverser Art als nicht immer lustige Farce, und selbst Billy Idol ist als gebleichter Barbie-Ken aus dem Formaldehydkessel erstanden, um noch mal so zu tun, als wäre er Billy Idol. „Frisch gepreßt #327: Thurston Moore „The Best Day““ weiterlesen
Belästigungen 01/2015: Aufbruch 2015 – Mit dem „sexiest man alive“ in den deutschen Wald
Neulich brachte ich auf dem Berliner Hauptbahnhof die achtundfünfzig Minuten Zeit des Wartens auf meinen Zug nach Augsburg damit zu, mich verdächtig zu machen, indem ich im ungefähren Kreis durch die Hallenetagen flanierte, ohne die vollkommen uninteressanten Schaufenster und Fettbapp-Ausgabestellen eines Blickes zu würdigen. Da teilte mir ungefragt und unvermittelt ein Spalier von Leuchttafeln im Vierminutentakt mit, ein Chris Hemsworth sei zum „sexiest man alive 2014“ gewählt (!) worden.
Ich habe noch nie etwas von einem Chris Hemsworth gehört, der laut ergänzender Information „Dreifach-Papa und Ehemann“ ist, was ihn aber sicherlich noch nicht zum „sexiest man alive“ qualifiziert. Dreifachpapas und Ehemänner gibt es schließlich mehrere, möchte man meinen, und besonders sexy (also als Partner zur Durchführung eines Geschlechtsverkehrs wünschenswert) sind die wenigsten davon. Es muß, denke ich, wohl eher was Berufliches sein, aber was hat Chris Hemsworth wohl für einen Beruf? Und wieso habe ich übrigens keine Wahlbenachrichtigung erhalten? „Belästigungen 01/2015: Aufbruch 2015 – Mit dem „sexiest man alive“ in den deutschen Wald“ weiterlesen