Im Regal: Mark Vonnegut „Eden Express – Die Geschichte meines Wahnsinns“

Im Bücherschrank meiner Gartenhütte steht ein weitgehend vergessener Klassiker: John Seymours „Großes Buch vom Leben auf dem Lande – ein Handbuch für Realisten und Träumer“, von dem sich hierzulande eine Generation mittelschichtiger Nazikinder anregen ließ, Landkommunen zu gründen und abseits der kapitalistisch-konsumistischen Tretmühle ein erfülltes Leben samt Selbstversorgung von der eigenen Scholle zu suchen. Letztlich gediehen indes zumeist nur das Haupthaar und diverse Neurosen und Konflikte, und so verlegten sich vermeintliche Realisten wie Träumer darauf, lieber „grüne“ Parteien zu gründen, sich mittels idiotischer Sprachschöpfungen wie „grünes Wachstum“ und „erneuerbare Energien“ mit der ehedem verhaßten Tretmühle zu versöhnen und ihren reibungslosen Weiterlauf selbst zu organisieren.

Mark, der Sohn des 1969 durch den Roman „Slaughterhouse Five“ berühmt gewordenen Schriftstellers Kurt Vonnegut, ist ein typischer Vertreter der entsprechenden US-amerikanischen Bewegung, die jedoch trotz freimütigem Drogenkonsum und gleichfalls überbordender Naivität der deutschen einiges an Realismus voraushatte: Nach dem Schulabschluß (ebenfalls 1969) studierte er zunächst Theologie, entzog sich durch eine „frappierende Schizophrenienummer“ dem Vietnamkrieg, arbeitete kurzzeitig schauspielerisch ebenso überzeugend als Polizeichef einer Klinik und litt zunehmend am Zustand des Menschen in der modernen Zivilisationsmaschine.

Und so beschließt er im Juni 1970 gemeinsam mit seiner Freundin Virginia, in der kanadischen Provinz British Columbia Land zu kaufen und eine Selbstversorgerkommune zu gründen, was zum Erstaunen von Leser und Autor fast traumhaft gut geht und aber nicht lange gutgeht, weil ein Meskalintrip etwas in ihm aufreißt, was nicht mehr zuwachsen will und sich zum Einfallstor einer pfundigen Schizophrenie (die man auch anders bezeichnen kann) weitet. Davon handelt sein Buch im wesentlichen: von den fast vier Jahre dauernden Versuchen, der Krankheit (die diverse Ärzte als hoffnungslos und unheilbar, Mitkommunarden hingegen zunächst als legitime Reaktion auf eine unerträgliche Gesellschaft diagnostizieren) Herr zu werden und sie zu überwinden. Es ist ein bis an die Grenze der Furcht, selbst vom Wahn gepackt zu werden, anrührendes und fesselndes Buch, das nebenbei viel über die Träume und Hoffnungen einer insgesamt ziemlich irren, in ihrer maßlosen Unbedarftheit jedoch auch bezaubernden Generation erzählt und das man jedem Heutigen, dem solche Träume nicht einmal mehr träumbar sind, ans Herz legen sollte – allerdings besser nicht in der schludrigen, bis in die grammatischen Wurzeln hinein kariösen Übersetzung, sondern, wenn möglich, im Original.

geschrieben Ende Juni 2014 für KONKRET

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