Aufgrund von Gründen beschäftige ich mich derzeit intensiv mit Kosmologie. Beim gedanklichen Ergründen tieferer Strukturen des eigenartigen Universums, das uns umgibt und dessen Gegenwart möglicherweise zugleich ewige Vergangenheit und gegenwärtige Ewigkeit ist, klingen hin und wieder am entferntesten, der Vernunft in Richtung Wüste entfallenden Rand des Bewußtseins Musikfetzen auf. Immer dann, wenn die Weltformel oder ihre Denkbarkeit in den Sinn gerät, singt Ian McCullough mit der alles umflorenden Pelzstimme eines gestürzten Gottes: „What are you going to do with your life?“ „Frisch gepreßt #317: Echo & The Bunnymen „Meteorites““ weiterlesen
Frisch gepreßt #316: Oasis „Definitely Maybe (Deluxe Edition)“
Eine Seifenblase ist etwas sehr Schönes. Sie schimmert und leuchtet in schwimmenden, zerfließenden, silbrigen Farben, und je genauer man hinsieht, desto mehr glitzernde, bunte Details entdeckt man. Wenn die Sonne sich darin spiegelt, strahlt die Blase in zeitvergessenem Glanz, und der ganze Himmel leuchtet aus ihrer unendlichen Rundung. Der ganze Himmel. Vor beinahe zwanzig Jahren waren Oasis zwei Jahre lang eine Seifenblase; schon ihr Name ließ daran denken, zumal in einer Zeit, als Rockbands mit Vorliebe Gruntruck, Brainslaughter oder Scattergun hießen. „Frisch gepreßt #316: Oasis „Definitely Maybe (Deluxe Edition)““ weiterlesen
Frisch gepreßt #315: Damon Albarn „Everyday Robots“
Neulich haben wir beraten, wieso das neue Album von Jan Delay so schlecht und das von Damon Albarn so gut ist. Die Begegnung war reiner Zufall; ebenso gut hätte es Lily Allen und Matthias Reim treffen können (na gut, den eher nicht, aber lediglich aus ideellen Gründen). Punkt eins, die Wahl der Feinde: Delay promotet sein 80er-Rockgeschmonze mit einer Heino-Nazi-Affäre, die bei aller Lächerlichkeit angesichts der unvermeidlichen Doppelporträts und Montagen vor allem darauf verweist, wie ähnlich sich die beiden sind. Albarn verlor, lang ist’s her, die „Schlacht“ um Platz eins gegen Oasis, verwandelte die momentane Niederlage in eine Serie von Triumphen auf den unerwartetsten Schauplätzen und hat seitdem schlichtweg keine Gegner mehr, weil er sich ohne Besitzansprüche alles einverleibte, was hip und cool war, von Afrofunk (mit Lilys Papa Tony Allen) über generationenumspannende Virtualität (Gorillaz) bis zum Inbegriff des Rock ’n’ Roll (mit Paul Simonon von The Clash). Halbgare Blur-Reunionen konnten ihm ebenso wenig anhaben wie paparazziträchtige Sufftorkeleien am hellichten Tag. „Frisch gepreßt #315: Damon Albarn „Everyday Robots““ weiterlesen
Frisch gepreßt #314: Leon Russell „Life Journey“
Als der Gott des Bluesrock einen Felsen suchte, auf dem er seine Kirche errichten konnte, fand er Claude „Leon“ Russell Bridges und suchte nicht mehr weiter. Die Kirche steht bis heute an der 3rd Street in Tulsa, Oklahoma, trägt den Namen Church Recording Studios, und dass die konfessionelle Zuordnung zur Sekte der Heiligen, Apostel und Jünger des Bluesrock Leon Russells irdisches Schaffen bei weitem nicht vollständig er- oder gar umfasst, zeigt die Liste der Musiker, die dort mit Russell ihre eigenen und immer wieder dessen Songs aufnahmen, mit ihm tourten und ihn von anderswo herbeiriefen, auf dass er sie segne, heile oder rette. „Frisch gepreßt #314: Leon Russell „Life Journey““ weiterlesen
Frisch gepreßt #313: Lucius „Wildewoman“
Wohin er auch sich entwickelt, der Mensch, stets und stetig bleibt er der Vergangenheit verhaftet, verklebt und verwoben, weshalb sein tiefsitzender Drang nach Neuem, nach Weiterbildung, Ausformung und Ablegerablegung wohl nur ein Ausgleichsbemühen ist, weil tief in ihm die Sehnsucht nach ersten Malen und Augenblicken brennt. „Frisch gepreßt #313: Lucius „Wildewoman““ weiterlesen
Frisch gepreßt #312: Foster The People „Supermodel“
Musik für bewegte Landschaften ist ein hypermodernes, immakulat-utopisches Konzept – man darf es aber nicht falsch verstehen: Das neue Album von Kylie Minogue paßt da sonst auch hinein, weil es sich anhört wie ein Motor, der mit Sonnenblumensaft läuft, und weil es (wie viele Platten der letzten Jahre) ausdrücklich für Autobeschallungsanlagen produziert ist und sich dort, zwischen Blech, Glas, Polster und Elektronik, am besten anhört, am allerbesten bei hundertfünfzig auf einer vollständig leeren Autobahn zwischen synthetischen Wäldern und im 3-D-Drucker erstellten Kunststoffburgen. „Into The Blue“, „Million Miles Away“ … need we say more? „Frisch gepreßt #312: Foster The People „Supermodel““ weiterlesen
Frisch gepreßt #311: Neneh Cherry „Blank Project“
Der Jargon, in dem heutzutage über Popmusik verhandelt wird, ist wie ein ziemlich schlechter Witz, den sich tausend Leute gegenseitig erzählen, und zwar in einer Sprache, die keiner von ihnen beherrscht und von der die meisten höchstens ein paar Wörter ungefähr kennen. Darüber sollte man sich nicht beklagen, denn manchmal ist das Ergebnis recht erheiternd. Was Verben wie frickeln und schrammeln sowie die automatisch mit dem Salzstreuer im Text verteilten Adjektive von atmosphärisch bis deep, fett bis satt, nuanciert, affektiert, fein, klein, spröde, rund, kantig usw. usf. bedeuten, wird nie ein Mensch erklären oder auch nur herausfinden können, aber ein Schmunzeln mag man sich auch nicht verkneifen, wenn wieder mal ein gealterter Wollmützennerd mit päpstlichen Pathos litaneit, es werde auf einem „Werk“ dies und das und diese und jene angebliche Stilrichtung (von denen mangels Beschreibungsfähigkeit wöchentlich mindestens zehn postuliert werden müssen) nicht etwa gemischt, sondern verschmolzen, neuerdings geblendet und dabei doch stets zuverlässig versöhnt, ohne indes – das ist enorm wichtig, weil es ausnahmslos gilt – ins Irgendwiehafte oder -artige „abzudriften“. „Frisch gepreßt #311: Neneh Cherry „Blank Project““ weiterlesen
Frisch gepreßt #310: Morrissey „Your Arsenal“ (Definitive Master)
Call me Unbeholfenheit: Der Junge ist von Anfang an verdorben. Wird kaum überleben, sagen die Ärzte, tut es aber doch. Aufgewachsen im grauen Staubdreck von Manchester, frühe Sechziger, ein Einzelgänger, viel zu intelligent, dazu völlig unbegabt zu Uneindeutigkeit, Unehrlichkeit, Un … unzugänglich, unzulänglich. Papa begleitet Steven aufs T.Rex-Konzert, das sein Leben prägt: Da, Bühne, will, muß er hinauf und der Welt zeigen, wie sie ist, was er ist, daß das Leben mehr ist als das, was man im grauen Staubdreck von Manchester für eine Existenz hält. „Frisch gepreßt #310: Morrissey „Your Arsenal“ (Definitive Master)“ weiterlesen
Frisch gepreßt #309: Nina Persson „Animal Heart“
Wie, wann und warum aus temporärer Verknallung Liebe wird, ist eine komplizierte Frage. Wahrscheinlich irgendwas mit Gewohnheit, die neben Langeweile, Neugier und Dummheit eine der wichtigsten Motivationsquellen unseres gesamten Handelns, Denkens und Fühlens ist. Man gewöhnt sich an fast alles, vom eigenen krummen Zehennagel bis zum nächtlichen Piepsgeräusch eines anderen Menschen, den ein Zufall (noch so ein Faktor, s. o.) an den Strand der Lebensinsel geschwemmt hat: Irgendwann verwächst das Fremde mit dem Eigenen und wird eins. „Frisch gepreßt #309: Nina Persson „Animal Heart““ weiterlesen
Frisch gepreßt #308: Lacrosse „Are You Thinking Of Me Every Minute Of Every Day“
Das Schlimmste am Winter ist seine Länge: Er dauert und dauert, kommt zurück, wenn er weg scheint, dauert und dauert wieder und will nicht mehr weggehen. Das ist aber auch das Schöne am Winter: wenn die Hoffnung auf den Frühling immer wieder wie ein hellblauer Schleier in die Seele weht, greifbar scheint, mit einem milden, melancholischen Lächeln vergeht, sobald man ihn fassen möchte. In diesen Momenten pulsiert die Seele, schwillt das Herz, und eigentlich kann man davon kaum genug bekommen – wie schnöde dagegen der „echte“ Frühling, wenn er dann brettlbreit in den Schlammpfützen der Schneeschmelze sitzt. „Frisch gepreßt #308: Lacrosse „Are You Thinking Of Me Every Minute Of Every Day““ weiterlesen
(Aus dem tiefen Archiv:) Frisch gepreßt #1: U2 „All That You Can’t Leave Behind“ (November 2000)
Im Herbst befällt manche Menschen die Katzenkrankheit. Man müßte so viel tun und machen, und manchmal denkt man sogar daran, aber vom Denken allein schreibt sich ja nicht einmal eine Kolumne, also sitzt man da, sieht aus dem Fenster oder in den Fernseher hinein und ignoriert die verzweifelten Zurufe aus dieser anderen Welt, wo immer jemand wissen will, wann und warum nicht.
Das heißt nicht, daß man nicht beschäftigt wäre. Man ist sogar sehr beschäftigt, zum Beispiel damit, auf den Akkord zu warten, diesen einen, der besonders weh tut. Den spielen U2. „(Aus dem tiefen Archiv:) Frisch gepreßt #1: U2 „All That You Can’t Leave Behind“ (November 2000)“ weiterlesen
Frisch gepreßt #306: Haley Bonar „Wntr Snds“
Die Erdbeer-Gang, so benannt zu Ehren der bedauernswerten römischen Legionäre, die einst im Auftrag des Druiden Miraculix entsandt wurden, um zur absoluten Jahresunzeit Erdbeeren für einen vermeintlichen Zaubertrank zu erstehen, zieht Zwischenbilanz: Und wie (fast) immer ist es die der Erdbeer-Gang angemessenste Aufgabe, in den weiten Breiten zwischen Ural und Atacamawüste hörenswerte Musik zu entdecken, die zwischen 16. und 21. Dezember erscheint. „Frisch gepreßt #306: Haley Bonar „Wntr Snds““ weiterlesen
Frisch gepreßt #305: Billie Joe & Norah „Foreverly“
Daß es einen „Weihnachtsmann“, der irgendwie aus dem Amerikanischen herkäme, nicht gibt, ist so gut wie gesichert. Historisch-etymologischer Forschung des Instituts für galoppierenden Starksinn an der Freien Universität Schwabing zufolge geht die Benennung auf eine fehlerhafte mündliche Überlieferung des Wortes „Iron Man“ zurück (III. Transärmelkanalische Lautverschiebung), und der Kerl, der ab dem Spätsommer, wenn die Lebkuchenindustrie Vollzug meldet und ihre Erzeugnisse in die Kohlehydratabgabestellen der Unterschichtbezirke karrt, nächtens durch die Gegend streift und kleine Kinder schreckt, indem er mit seiner Rute wedelt und „Ho! Ho! Ho!“ grölt (ohne den historisch verbürgten Zusatz „Tschi-minh!“, der höchstens noch zu Zeiten von Grippeepidemien erklingt), – dieser zwielichtige Bursche ist natürlich niemand anderer als Ozzy Osbourne. „Frisch gepreßt #305: Billie Joe & Norah „Foreverly““ weiterlesen
Frisch gepreßt #304: Jake Bugg „Shangri La“
Mitten im Leben sind wir von Zukunft umgeben – so lautete das klassische Motto der Popmusik; viele Jahre lang versetzte sie uns in Hoffnungen und Träume von besseren Welten, Zuständen, Gefühlen … bis unser Rucksack so überladen war mit bonbonbunten Irrealitäten, daß ein kollektives Aufseufzen um die Welt zu wehen schien, wenn schon wieder jemand „neue Wege“ ging und etwas vordem nicht Versuchtes versuchte: Es wurde ja immer schwerer, war ja so vieles schon da und ging nicht mehr weg. „Frisch gepreßt #304: Jake Bugg „Shangri La““ weiterlesen
Frisch gepreßt #181: Bauhaus „Go Away White“
Es gab einmal eine Zeit, da war Dracula nicht die ausgelutschte Blutlutschgestalt, als die er durch tausende langweilige Viertelgruselfilme und Kitschromane stiefelt, angebliche Jungfrauen erbleichen und sich selbst endlich einen Holzscheit ins Brustgehäuse hämmern läßt, immer mit irgendwelchen angeblichen erotischen Symbolen und Metaphern als Hintergrundtapete. Nein, da war Dracula ein Lebensmodell für tausende Großstadt-Jungmenschen, die sich in Kellerclubs versammelten, mit weißgepuderten Gesichtern, schwarzen Vogelnestern auf der Birne und in lange Third-Hand-Mäntel gehüllt eigentümliche tanzähnliche Bewegungen durchführten und ansonsten in Denkmalpose am Tresen standen, Bier tranken und per Zehn-Minuten-nach-dem-Suizid-Gesichtsausdruck ausdrückten, was für ein Untergang alles war.