Frisch gepreßt #315: Damon Albarn „Everyday Robots“

Neulich haben wir beraten, wieso das neue Album von Jan Delay so schlecht und das von Damon Albarn so gut ist. Die Begegnung war reiner Zufall; ebenso gut hätte es Lily Allen und Matthias Reim treffen können (na gut, den eher nicht, aber lediglich aus ideellen Gründen). Punkt eins, die Wahl der Feinde: Delay promotet sein 80er-Rockgeschmonze mit einer Heino-Nazi-Affäre, die bei aller Lächerlichkeit angesichts der unvermeidlichen Doppelporträts und Montagen vor allem darauf verweist, wie ähnlich sich die beiden sind. Albarn verlor, lang ist’s her, die „Schlacht“ um Platz eins gegen Oasis, verwandelte die momentane Niederlage in eine Serie von Triumphen auf den unerwartetsten Schauplätzen und hat seitdem schlichtweg keine Gegner mehr, weil er sich ohne Besitzansprüche alles einverleibte, was hip und cool war, von Afrofunk (mit Lilys Papa Tony Allen) über generationenumspannende Virtualität (Gorillaz) bis zum Inbegriff des Rock ’n’ Roll (mit Paul Simonon von The Clash). Halbgare Blur-Reunionen konnten ihm ebenso wenig anhaben wie paparazziträchtige Sufftorkeleien am hellichten Tag.

Punkt zwei, der Kontext: Beide Künstler sind aus Szenen erwachsene Identifikationsfiguren, im Laufe der Jahre irgendwie „klassisch“, zumindest unverkennbar und konsensfähig geworden. Delay aber reagiert darauf mit ziemlich hilflosen Griffen ins „amtliche“ Deutschpoprepertoire zwischen Grönemeyer und Scorpions, läßt beim Zitieren alles aus, was kantig, cool oder wenigstens „kultig“ sein könnte, verzichtet auf Ironie und endet in einem Berg von käsigem Zeug, das nicht mal Autofahrer wachhält. Albarn hingegen hat zwölf Songs geschrieben, denen man anhört, daß sie möglicherweise spätnachts bei Kerzenschein auf einer Akustikgitarre entstanden sind, sie äußerst behutsam instrumentiert (E-Piano, Baß, etwas Beat, ein paar Geräuschschleifen, wenig mehr), und obwohl jeder einzelne davon auf eines seiner letzten vier oder sieben Alben gepaßt hätte, obwohl jeder davon so vertraut klingt, als hätte man ihn seit zwanzig Jahren immer wieder gehört, sind alle vollkommen neu (mit Ausnahme von „Heavy Seas Of Love“, dessen Strophe sich – möglicherweise unabsichtlich – an „Daydream Believer“ von den Monkees anlehnt, einen Song und eine Band, die für Damon Albarns musikalisches Leben eventuell eine wesentlich fundamentalere Rolle gespielt haben und spielen, als man glaubt).

Zudem ist „Everyday Robots“ keine Spielzeugkiste, kein Sammelsurium von Klimbim, sondern als ganzes Album ein Werk von staunenswerter, hypnotischer Schönheit, Demut, Gelassenheit, Abgeklärtheit, melancholischer Ruhe und Weisheit, dessen Qualität sich auf zweierlei Weise zeigt: Den Fachmann verblüfft, wie das Komplizierteste kinderleicht und das Simpelste höchst elaboriert wirkt; noch das kleinste Detail steht ohne jede Not der Rechtfertigung, ohne auch nur augenzwinkerndes „Wow!“ genau an der Stelle, wo es stehen muß. Das nennt man Genie.

Den Laien (wenn es einen solchen bei Popmusik geben kann) wiederum fasziniert, fesselt, macht süchtig: die Fülle der Eindrücke, die diese Platte vermittelt, und die Art, wie sie wach und aufmerksam macht für den Moment ihres Erlebens – wer das Glück hat, sie in einer Situation zufälliger (oder von der Musik induzierter) Zärtlichkeit das erste Mal zu hören, ist mit einer Erinnerung gesegnet, die ihn durchs Leben tragen kann. Das nennt man Kunst. Hinzu kommen Texte, die dies und das erzählen mögen; es gerinnt dem reifen Albarn (den ich einst als jugendliche Koksnase in einem Amsterdamer Hotelzimmer herumhüpfen sah und das dennoch damals schon ahnte oder hoffte) zu purer Poesie.

Und damit endet jeder Vergleich, weil er beiderseits unfair wäre: Diese Verschmelzung von Genie, Poesie und Kunst, von Makellosigkeit und Bescheidenheit nennt man Vollendung, und alles, was dazu darüber hinaus zu sagen sein könnte, taugt höchstens für romantisch beseelte Tagebucheinträge und Liebesbriefe.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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