Frisch gepreßt #317: Echo & The Bunnymen „Meteorites“

Aufgrund von Gründen beschäftige ich mich derzeit intensiv mit Kosmologie. Beim gedanklichen Ergründen tieferer Strukturen des eigenartigen Universums, das uns umgibt und dessen Gegenwart möglicherweise zugleich ewige Vergangenheit und gegenwärtige Ewigkeit ist, klingen hin und wieder am entferntesten, der Vernunft in Richtung Wüste entfallenden Rand des Bewußtseins Musikfetzen auf. Immer dann, wenn die Weltformel oder ihre Denkbarkeit in den Sinn gerät, singt Ian McCullough mit der alles umflorenden Pelzstimme eines gestürzten Gottes: „What are you going to do with your life?“

Das so betitelte, vor fünfzehn Jahren erschienene und damals heftig umstrittene Album hat sich als eine Art kosmologische Konstante erwiesen: Zu gewissen Zeiten bildet es mit „Us & Us Only“ von den Charlatans ein Zweigestirn, das sozusagen doppelsolitär hineinstrahlt und -leuchtet in den endlos dunklen Raum des Lebens, ihn füllt mit Sinn, Farbe, Gefühl und der euphorischen Melancholie (eben) gegenwärtiger Ewigkeit. Nichts, nicht einmal die schönsten Morrissey-Alben (also alle seit 1994), kommt ihm gleich an Erhabenheit, und wem heute immer noch ein „Kitsch“-Vorwurf durch die Lippen rutscht, der möge sich weiter ergötzen im Laufrad der Vergänglichkeiten.

Danach kam manches, aber „danach“ ist im Lichte der Relativitäten ein unsicherer Begriff; niemand kann sagen, ob nicht alles schon immer und für immer da und „schon“ und „für“ und „da“ sowieso Hilfsbegriffe sind. Daß „Meteorites“ fünfzehn Jahre nach „What Are You Going To Do With Your Life?“ erscheint, könnte also Illusion sein, ebenso wie das radioaktiv zersetzte Aufscheinen der Melodie von „When It All Blows Over“ in „Grapes Upon The Vine“ samt geisterhafter Wiederkehr der Streicher – ist vielleicht das Jetzt der Keim des Früher und letztlich alles eins?

Der Titel „Meteorites“ beschreibt in diesem Sinne gut, was hier passiert: Überreste von Supernovae, Planetenkollisionen und elliptischen Annäherungen an schwarze Löcher treiben durch den Raum, durch dunkle Materie und dunkle Kraft, getragen von Gravitationswellen, fangen Photonen auf, glitzern und pulsieren, reflektieren und verglimmen. Und wenn all diese kosmisch-kosmoiden Anspielungen sich als blühender Unsinn erweisen, bleibt doch nüchtern festzustellen: Irdisch ist nichts an diesem Album, von mancher Textzeile und ein paar „körperlichen“ (an Spät-80er-Rave erinnernden) Grooves etwa in „Market Towns“ abgesehen. Gegenwärtig auch nicht, alles strebt, schwebt, entgleitet in den weiten Himmel und ein fernes Jenseits, das mißgünstige Kritiker als endlosen Hallraum empfinden könnten.

Bill Drummond, der Echo & The Bunnymen als Manager und Mentor mitgegründet hat, schrieb 1997, knapp zwanzig Jahre nach dem bescheidenen Urknall in einem Liverpooler Schlafzimmer oder Hinterhof oder Bierstüberl, die unübersetzbaren Zeilen: „It’s as if The Bunnymen were going for some ultimate but indefinable glory. A glory beyond all glories, where the gates are flung open and all you can see is this golden light shining down on you, bathing you, cleaning all the grime and shit from the dark corners of your soul.“

Daran hat sich nichts geändert. Wie sollte es, wo doch die Gegenwart des Universums, das uns umgibt, möglicherweise zugleich ewige Vergangenheit und gegenwärtige Ewigkeit ist?

Drummond übrigens erklärte den Ursprung der Band und dessen Lokalisierung einst in einem Interview mit einer interstellaren „ley line“ – einer jener „Heiligen Linien“, die Megalithen, prähistorische Kultstätten, mystische Wasseradern und frühheidnische Kirchen verbinden, nur in diesem Fall eben aus den Tiefen des Weltraums gezogen und nur drei Punkte auf dem Planeten Terra berührend: Island, Neuguinea und die Mathew Street in Liverpool. Die weitere Geschichte, die mit Carl Gustav Jung, Pink Floyd, weißen Flecken auf der Erdkarte, Etymologie und Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ zu tun hat, sparen wir uns hier aus Platzgründen. Und weil sie natürlich Unfug ist.

Natürlich. So wie alles Unfug ist in der Kosmologie. Und jeder Unfug reine Wahrheit in einem Universum, in dem alles, was sein könnte, ist. Und die tiefste Frage lautet immer noch: „What are you going to do with your life?“

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Kommentar verfassen