Frisch gepreßt #312: Foster The People „Supermodel“

Musik für bewegte Landschaften ist ein hypermodernes, immakulat-utopisches Konzept – man darf es aber nicht falsch verstehen: Das neue Album von Kylie Minogue paßt da sonst auch hinein, weil es sich anhört wie ein Motor, der mit Sonnenblumensaft läuft, und weil es (wie viele Platten der letzten Jahre) ausdrücklich für Autobeschallungsanlagen produziert ist und sich dort, zwischen Blech, Glas, Polster und Elektronik, am besten anhört, am allerbesten bei hundertfünfzig auf einer vollständig leeren Autobahn zwischen synthetischen Wäldern und im 3-D-Drucker erstellten Kunststoffburgen. „Into The Blue“, „Million Miles Away“ … need we say more?

Die ansonsten makellose Synthetik stören aber Elemente alter Kulturtechniken: die mit Autotune infantilisierte Stimme der alterslosen Kunstkörperdiva, die reflexartigen Soul- und R-&-B-Muster, die ihre vollautomatisierten Musiker nicht ablegen können, weil man sie nicht mit Genie und Zukunftsvitaminen, sondern nur mit Strom und Marktanalysen aus den späten 90ern gefüttert hat. Da hilft die dreifache Betonung von „sexy“ wenig – Sex geht im Luftzeitalter anders.

Also steigen wir um aufs Fahrrad, das uns geräuschlos durch noch viel leerere, der Gegenwart vollkommen enthobene Landschaften trägt, die wie Tableaus der zeitlos vergeblichen Unvergänglichkeit sich uns kokett entgegendrehen und wieder davonschwingen: Wir waren immer da, scheinen sie zu sagen, ihr habt uns nur nie bemerkt in eurer Betriebsamkeit. Und dazu lassen wir uns durchfluten von einer Musik, die ebenfalls weder Zeit noch Ort kennt, ohne Wurzel schwebend die Atmosphäre von tausend Jahren durchflirrt, die Seele der Welt entreißt und sie ins Universum fließen läßt. Könnte sein, daß wir in einem astralgrünen Sonnenuntergang auf dem Uranus erwachen; auch dort wird sie uns wärmen wie ein Gewebe aus Traumfasern.

„Ask Yourself“: „Is this the life you’ve been waiting for?“ Viele Menschen, unendlich viele Menschen wähnen, ihr Leben mit Warten zu verbringen, und tun und können doch genau das nicht und nie: warten. Sich auf einem verlassenen, vergessenen Platz auf eine Stufe setzen, die Augen schließen und die Sonne durch sich hindurchscheinen lassen, bis irgendwas passiert oder auch nicht. Zeit braucht keine Ereignisse, um zu sein.

„Feels like a Coming of Age“, singt da einer, dem man auf den ersten Blick nicht zutrauen möchte, daß er sich solche Gedanken und Spinnereien je gemacht hat: Mark Foster wirkt äußerlich im schnieken Anzüglein ebenso wie Cubbie Fink und Mark Pontius dermaßen karrierebrav und Ami-Mami-tauglich – die maßlosen Drogeneskapaden seiner Teeniejahre sieht man ihm so wenig an wie man hört, daß er mal Reklamejingles geschrieben hat, weil er von seinem Kellnerjob nicht leben konnte. Aber wer weiß.

Zudem wollte er nach dem gefeierten Debüt seiner Band diesmal ein Album mit „mehr Eiern“ abliefern, hat The Clash, die Kinks, David Bowie und Volksmusik aus Westafrika gehört (und – beiderseits hörbar – die Local Natives, bei gemeinsamen Konzerten), nennt seine Texte, deren Hauptthemen der böse Kapitalismus, Konsumideologie, Verwertungsgewalt, Selbstausbeutung und -dressur sind („Foster The People“ heißt übersetzt: „Unterstützt das Volk“, und es lohnt sich, die Coverbeschriftung zu lesen), „wütend“.

Aber keine Sorge: Die Musik auf diesem Album ist in erster Linie schön. Vielleicht zu schön, um ganz ohne Anker auszukommen; immer wieder sucht man Anhaltspunkte, findet aber nur Dinge, die nicht sind, was sie sind: War das nicht gerade irgendwie eine Disconummer? Irgendwie wohl doch nicht. Vor allem ist die Musik von Foster The People mal wieder ein seltener Fall von „totaler“ Musik: ein alles umfassender Kosmos, in den nichts von außen dringt. Da ist nicht nur kein Einfluß greifbar, da atmet auch niemand, zählt keiner ein, fällt nichts um, surrt, schnarrt, knackt nichts, bleibt die Außenwelt der Störgeräusche so vollständig ausgeschlossen, daß man beim Hören meinen könnte, sie sei ein animierter Film – bewegte Landschaften aus dem Computer als optische Begleitung zum wahren Leben.

In dem man dann ruhig über den Kapitalismus nachdenken kann, ebenso wie über Kylie Minogue. Man sollte nur nicht vergessen: Beides sind Phänomene, die der angeblichen Außenwelt entstammen, jener seltsamen Sphäre, in der es nichts gibt.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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