Frisch gepreßt #304: Jake Bugg „Shangri La“

Mitten im Leben sind wir von Zukunft umgeben – so lautete das klassische Motto der Popmusik; viele Jahre lang versetzte sie uns in Hoffnungen und Träume von besseren Welten, Zuständen, Gefühlen … bis unser Rucksack so überladen war mit bonbonbunten Irrealitäten, daß ein kollektives Aufseufzen um die Welt zu wehen schien, wenn schon wieder jemand „neue Wege“ ging und etwas vordem nicht Versuchtes versuchte: Es wurde ja immer schwerer, war ja so vieles schon da und ging nicht mehr weg.

Aber wenn’s zu viel und zu laut wird, das Neue, dann ist es irgendwann nur noch ein Rauschen, das man ausblenden kann. Schwupps – ist die Welt wieder leer, frisch und unschuldig und eine andere geworden, die sich langsam füllt mit Schönheit, die Kulturunken wiedererkennen und krittelig bemängeln mögen. Aber ja, freilich war alles schon mal da, na und? Gäbe es nicht Ton- und Datenträger, wär’s uns wurst, und umgekehrt hätte die Ausgrabung einer CD mit frühmittelalterlichen Beatkapellenaufnahmen die Beatles auch nicht schlechter gemacht. Der irrwitzige Anspruch, man dürfe nichts tun, was jemand irgendwann schon mal so ähnlich getan hat, ist die elende Obsession der neidvoll Grimmigen, die alles verpaßt haben und es deswegen niemandem gönnen. Man stelle sich vor, im Reich von Sex und Liebe würden ähnliche Ansprüche gestellt. Pah!

Und so sitzen die frohgemut Vergeßlichen im Winter 2013 in virtuell verrauchten Beizen, schmökern in Penguin Classics und schwelgen schimmernden Auges in sanftem Swing und klassischen Kellerclub-Pop, während die Grimmigen den Finger heben und es skandalös finden, daß bei Penguin Classics erstmals ein lebender Autor erschienen ist (Morrisseys „Autobiography“), Robbie Williams in Frank Sinatras Sessel fläzt und Jake Bugg klingt wie eine Mischung aus Lonnie Donegan, George Harrison (Modell 1965), Elvis Costello (1977) und den Arctic Monkeys von 2005, die sich ja auch schon anhörten wie Dings und Dongs und pi pa po.

Ja ja, schon gut. Na und? Morrisseys Buch ist mindestens so klassisch und bedeutend wie alles von F. Scott Fitzgerald (bitte nicht schlagen!), Robbies zweites Swingalbum keinen Deut schlechter als „In The Wee Small Hours“ (bitte nicht treten), und als Jake Bugg zur Welt kam, wurstelte George Harrison gerade irgendwie mit Jeff Lynne herum, und zwar an uraltem Kram. Hätte er damals oder je zuvor oder danach ein Album wie Jakes zweites gemacht, hätte ihn die Welt als größten aller Beatles gefeiert und zum Ehren-Ewig-Neunzehnjährigen ernannt. Und das Argument, Jake finde alles schon vor, was George mühsam erst erfinden habe müssen? Wohlfeiles Papperlapp; fragen Sie Lonnie Donegan.

O ja, dieses Album ist ein Klassiker oder wird einer sein. Ob ruppig schnell, verhallt beschaulich oder einsam-verloren wie ein Novembersonntagnachmittag in einem Londoner Hinterhof 1963 – jeder der zwölf Songs auf „Shangri La“ ist ein Idealbild, eine perfekte Vorlage für Klischees. Tausende werden daraus lernen und ihre eigenen zwölf Songs hinterherschmeißen, und wenn zehn davon auch nur halb so gut und ewig sind, dann dürft ihr gerne prangern, ihr Grimmigen. Falls ihr aber in Versuchung geraten solltet, das hier – das Original! – in denselben Topf zu werfen, dann hört euch einfach mal „A Song For Love“ an, vergeßt das Jahr, das auf dem Kalender (dem heutigen und dem damaligen) steht und sagt mir, wann und wie die Beatles (oder sonst wer) das jemals besser (oder auch nur so schön) gemacht haben sollen. Na?

Fein, dann sind wir uns ja einig und können noch ein paar Kleinigkeiten verraten, die euren Anspielungshunger stillen (oder wecken) werden: Das Album hat Rick Rubin produziert, ein paar Gitarren spielt Matt Sweeney (ja, der von Bonnie „Prince“ Billy), den Baß Jason Lader (ja, der von The Mars Volta), und am Schlagzeug sitzt tatsächlich Elvis Costellos Mann Pete Thomas. Was Neil Diamond, The Longpigs, R.E.M., Snow Patrol, Belle & Sebastian mit Jake Bugg zu tun haben, findet ihr aber gefälligst selbst raus. Oh, und vergeßt nicht, eure Zukunft mitzunehmen, wenn ihr geht!

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint seit 2001 alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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