(periphere Notate): Der letzte „Wumms“

Putin ist schuld! Dieses im neuen deutschen Reich zentrale, in allen Lebensbereichen anwendbare Mantra ist erstaunlicherweise auch in Rußland weit verbreitet – nicht nur bei der Opposition (die nichts mit dem fremdgesteuerten Häuflein eines ehemaligen MI6-Agenten zu tun hat, sondern hauptsächlich aus Kommunisten besteht). Sondern auch bei Wladimir Putin selbst, der unlängst seine eigene Naivität einräumen mußte: In halbblindem Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Deutschen und Franzosen habe er viel zu lange an deren Einsatz für die Abkommen von Minsk geglaubt. Hätte Rußland die „ukrainische Angelegenheit“ bereits nach dem US-amerikanischen gesteuerten Naziputsch 2014 energischer angepackt, wäre der Welt möglicherweise ein Krieg erspart geblieben; zumindest wäre er längst beendet. Das findet übrigens auch Ronald Reagans ehemaliger Finanzminister Paul Craig Roberts, der ansonsten selten in den Ruch geriet (und gerät), ein Russenversteher zu sein.

Selbst die Deutschen, die sich nach vier Jahren Aufhetzung gar nicht mehr einkriegen können vor schäumender Kriegslust, Haß und Opfertüchtigkeit, wären damals im Falle eines (rein rechtlich sowieso gar nicht möglichen) NATO-Befehls zum Angriff ziemlich übertölpelt gen Osten losgestolpert. Heute plärren sie nach Atombomben und wollen ganz Europa in eine leblose Wüste verwandeln, bloß um „es“ dem Russen zu zeigen. Was sie dem zeigen wollen? Möglicherweise daß er den zweiten Weltkrieg gar nicht wirklich gewonnen hat, weil er ja sogar zu feige war, deutsche Städte zu bombardieren, und sich 1990 vom Herrenwestmenschen derart blöd übers Ohr hauen ließ, daß die Welt 2001 noch lachte.

Diesen Vertrag zu kündigen – was rein rechtlich jederzeit möglich wäre, weil ihn die Deutschen in so ziemlich jeder Hinsicht gebrochen haben – wäre übrigens in diesem Sinne die nächste „typisch russische“ Idee: Die Garantien für ostdeutsche Bauern, ihr ehemaliges Junkerland behalten zu dürfen, wären dann ebenso futsch wie jedes Pfand gegen die Vertragsbrecher. Ganz abgesehen davon, daß eine erneute Besatzung der (in diesem Falle tatsächlich nicht mehr ehemaligen) DDR nötig wäre. Was Rußland derzeit an Soldaten übrig hat, würde aber gerade mal reichen, um Schrobenhausen und die Fabrik zu besetzen, in der die „Taurus“-Marschflugkörper hergestellt werden. Und diese Soldaten müßten erst mal durch die Ukraine, Tschechien beziehungsweise Polen oder irgendein anderes Land in der Gegend hindurchmarschieren.

Etwas konkreter: Derzeit verfügt die russische Föderation über etwa 1,3 Millionen Soldaten. Für den Sturm auf Berlin waren 1945 elf Millionen nötig. Fragen Sie mal Herrn Kiesewetter, was das für seine idiotischen Prognosen bedeutet, der Russe wolle nach der Ukraine gleich ganz Resteuropa „erobern“.

Was die Deutschen angeht, ist die Lage aber vielleicht doch nicht ganz so düster: Unablässigem Propagandagetrommel seit mindestens 2014 zum Trotz ist immer noch nur eine kleine Minderheit bereit, „ihr Land mit der Waffe zu verteidigen“ (das heißt: erst mal noch mal nach Stalingrad zu marschieren, das immerhin nicht mehr so heißt). Am wenigstens Lust auf den patriotischen Mord samt Heldentod haben erstaunlicherweise die Anhänger der derzeit noch radikalsten Kriegspartei, der „Grünen“. Irgendwas scheint da nicht ganz so zu verlaufen wie vorgesehen. Ahnen konnte man das, seit der aktuelle Deutschenführer sein Amt mit dem Vorsatz antrat, binnen weniger Tage dreißig Millionen Spritzen in deutsche Oberarme zu stechen, und schon mit diesem irrwitzigen Vorsatz kläglich scheiterte.

Andererseits muß man sich schon fragen, weshalb ein Mensch, der nicht gegen den Russen kämpfend fürs Vaterland fallen möchte, ausgerechnet den „Grünen“ anhängt, für die ansonsten längst nichts mehr in Frage kommt oder eine Rolle spielt als eben dies.

Ab 5. März 1945 mußten sich alle Jungen der Schulklassen 6 bis 8, die nicht in Kinderland-Verschickungslagern waren, zu einer Kriegseinsatz-Einweisung melden.

Am 6. März 1945 wurde Köln von US-Truppen besetzt.

Am 12. März fand im Münchner Rathaus eine Dezernentenbesprechung unter Leitung von Oberbürgermeister Fiehler statt. Themen waren unter anderem Probleme mit der Müllabfuhr und die Schaffung eines zweiten Treppenaufgangs im Rathaus. Festgestellt wurde weiterhin, daß es kaum Lebensmittel und Holz, keine Kohlen, kein Glas und keine Kinderschuhe mehr gab. Tags darauf erklärte Gauleiter Giesler bei einer Tagung der Führerschaft des Traditionsgaues München, der Führer sei der einzige Mann, der den Endsieg verbürge.

Am 4. März 2024 erklärte der Münchner Oberbürgermeister Reiter nach einer Tagung im Rathaus: „Deutlich wurde, daß es in unserer Stadt einen sehr breiten Konsens gegen Andersdenkende und für die Volksgemeinschaft gibt. Dieser Konsens wird getragen von ganz unterschiedlichen Bereichen: der Zivilgesellschaft, Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften, den großen Unternehmen, den Kultureinrichtungen und der Wissenschaft.
Große Anerkennung wurde für das beeindruckende Engagement der Münchner Stadtgesellschaft zum Ausdruck gebracht, die in den vergangenen Wochen immer wieder deutliche öffentliche Zeichen gegen Andersdenkende und für die Volksgemeinschaft gesetzt hat (…) Deutlich wurde auch, daß es nicht die eine Maßnahme gegen das aufkommende Andersdenken gibt. Im Dialog war man sich einig, daß es ein sehr vielfältiges Repertoire an Instrumenten auf allen Ebenen braucht, um Andersdenkende abzuwehren und die Volksgemeinschaft zu stärken. Wir haben uns hier auf eine gemeinsame Erklärung unter dem Titel ‚München für die Volksgemeinschaft und gegen Andersdenkende‘ verständigt. Diese Erklärung stellt auch eine Selbstverpflichtung dar, den Kampf gegen Andersdenkende aktiv und an allen Orten und in allen Institutionen in München zu führen.“

Das stimmt nicht ganz. Ich habe zwei Wörter ausgetauscht, um den vertuschten Geist besser sichtbar zu machen.

Ich versuche mich zu erinnern, wann es erlaubt und langsam „salonfähig“ wurde, daß Soldaten in Uniform auf deutschen Straßen herumlaufen, in Bahnen und sogar Kneipen herumsitzen. Ich lese die Vermutung, dies sei erst im Zuge der Jagd auf RAF-Mitglieder in den siebziger Jahren verboten worden, bin mir da aber nicht so sicher, weil ich mich auch aus meiner früheren Kindheit an keinen einzigen uniformierten Soldaten erinnere, außer von Photos (aus dem unterbrochenen Krieg).

Es dauerte dann offenbar viele Jahre, bis der Gewöhnungseffekt sich so weit in das Empfinden normaler Menschen hineingefressen hatte, daß sie sogar Uniformen im Bundestag, in der Bundes- und anderen Pressekonferenzen und bei zivilen Kulturveranstaltungen hinnahmen, ohne wenigstens innerlich zu protestieren.

Es ist wohl nur noch sehr schwer feststellbar, ob dies mit Absicht geschah, mit der Intention, in der aus der totalen Zerstörung durch Krieg hervorgegangenen BRD mit ihrem grundgesetzlich verankerten Kriegsverbot den technisch erzeugten Massentod als Idee der Praxis wieder einzuführen. Jedenfalls ist es geschehen. Die Empörung, die jegliche Andeutung einer Normalität des Krieges – dieses wesenden, eitergallig stinkenden Geschmiers aus Eisen, Blut und Scheiße – in meiner Kindheit und frühen Jugend hervorrief, ist einer koexistenziellen Hinnahme gewichen, aus der heute wie einst Giftpilze der johlenden Begeisterung hervorploppen, gedüngt von der grimmigen Menschen- und Lebensverachtung einer Politkaste, die wahrscheinlich gar nicht mehr bewußt daran denkt, sondern längst verinnerlicht hat, daß sie möglicherweise weitgehend unversehrt nach dem Schlachten übrig bleibt.

Inzwischen ist das gesamte Land, das gesamte Denken der Bevölkerung so restlos durchdrungen vom Militarismus, daß man sich nicht mehr fragt, wie „das“ „damals“ „geschehen“ konnte: Es geschieht einfach, wenn man es läßt und nicht rechtzeitig einschreitet. Ab einem gewissen Punkt – oder sagen wir: jenseits einer gewissen Phase – ist das Einschreiten nicht mehr möglich, weil man sich in einer winzigen Minderheit findet, während die Mehrheit gar nicht mehr begreifen kann, was daran widerwärtig sein soll, wenn Menschen, die ihr Geld mit dem Üben und Ausführen von Tötungen und Zerstörung verdienen, in voller Arbeitsmontur in der Öffentlichkeit herumlaufen – auch vor Kindern und vor Menschen, die sich aus eigenem Erleben erinnern können, was passiert, wenn man dieser Berufsgruppe erlaubt, ihrer Neigung selbsteskalierend freien Lauf zu lassen.

Man fragt sich nicht mehr, wie „das“ „geschehen“ konnte; man wundert sich vielmehr, wieso es nicht längst wieder geschehen ist, und begreift, daß es seit viel längerer Zeit wieder geschieht, als man für gewöhnlich meint. Immerhin – siehe obigen Hinweis zu den erfreulich niedrigen Quoten der Bereitschaft, sich fürs Vaterland totschießen zu lassen – ist möglicherweise noch nicht alles verloren.

Wir kriegen das schon hin. Wenn die Propaganda nur noch so halbscharig zieht, ist das ein deutliches Zeichen, daß der Laden insgesamt nur noch auf drei Rädern fährt. Schon in der nächsten Kurve macht es vielleicht „wumms“, zum letzten Mal. Und dann: kommt der Sommer.


5 Antworten auf „(periphere Notate): Der letzte „Wumms““

  1. Weiß nicht, ob man das RUS „hätten/wären wir nicht besser vor Jahren usw.“ SelbstKritik Lamento wiederum so hoch hängen soll.
    Wie zum TEUFEL hätte „Ruszland“ (Verzeihung: Pootin !) das im Frühjahr 2014 aus dem Stand „besser“ regeln können ?
    Eine Besetzung des riesigen Nachbarlandes, ugf. so groß wie Frankreich ! – aus dem Stand – mit seiner sagen wir aber maximal 400.000 Mann Landstreitkraft, also aus den Kasernen raus ?
    Einnahme Kiews ?
    Besetzung bis wo ? woher die Apparatschiks, Kollaboratoren, Verwalter usw. usw. pp. nehmen ?
    „Der Welt“ wäre ein Krieg erspart geblieben, wenn ein halbwegs normales Verhältnis ohne Spaltpilz zw. UA und RUS vorgelegen hätte. Gähn ! Aber Wahr !
    Spaltfaktoren und Wunde Stellen waren aber mehr als genug vorhanden u. wurden vom Westen infam ausgenutzt (und nein, die demokratischen Bevölkerungen der NATO Länder äußerten keinen Sehnsuchts Schrei: „UA in die NATO“ „Und EU“ – war aber auch gar nicht nötig. Gell !)
    Ruszland steckte in einem meisterhaften Coup die Krim ein (& das warf schon genug Schwierigkeiten auf, vgl. Abdrehung des Wassers durch UA) & handelte sich mit dem Donbasz eine schwärende Wunde ein (unter verheuchelter eigener Beteiligung von russ. Militär ab 2014). Übrigens, die da von einem potentiellen russ. „Spaziergang“ gegen ein nicht vorhandenes UA Militär 2014 fabuliern, wären auch an den Rückschlag im Raume Sslawjansk zu erinnern.
    Gefilterte Berichterstattung, Black HOle Prop Bullshit und Half Fakenews allerorten, hüben & drüben.
    Jahrelang wurde „uns“ vermittelt, da im Donbass würde halt hin- und hergeschossen, wo es schon damals hätte klar sein können, dass es von Beginn hauptsächlich eine vom Westen gebackte TerrorBeschießung der abtrünnigen Bevölkerung z. B. von Donezk war (wer an die Raketen Vorfälle im Gebiet Byelgorod 2023/24 denkt – müsste was merken: Auch gegen Fraun & Kinder. Rrussen sindsie alle daher egal !)
    Die (ein „gutes Recht“ der UA seiende RückEroberung von Donbasz & Krim, so wäre die Antwort gwesn, würde man gefragt haben) wurde schon mit Dekreten folgendem UA Aufmarsch und verstärktem Donbas shelling Terror usw. seit 2021 enger ins Auge gefaßt, daher auch der 1. russ. Aufmarsch Frühjahr 2021, der dann nochmal zurückgenommen wurde. Nur die Berliner Zeitung berichtete sachlich und informierend darüber sonst Funkstille. (die im Vergleich seltsame Funktion genau dieses Organs ist etwas rätselhaft, vgl. auch hier
    https://www.imi-online.de/2024/03/06/taurus-postfaktische-debattenkultur/
    Jedenfalls, als sich der „RussenAufmarsch“ (vgl. BILD, WELT Nachrichtensender et tutti qu.) ab Nov./Dez. 2021 erneut abzeichnete, um dem UA von NATO gebackten Schlag zu begegnen & auch der im Westen verschwiegenen abgleugnten u. ins Lächerliche gezogenen Straf Terror Beschießung Raum Donezk nach Jahren mal entgegenzutreten, konnte man sicher sein, – im Falle man war informiert, – zu 80-90 Proz., diesmal weicht der Russ nicht mehr zurück.
    Die Monate Dez.21-Feb.22 waren Warten auf das Unvermeidliche, und nur Desinformierte bzw. bewußt Lügende konnten Überrraschung heucheln.
    Und das ganze zum Anlass einer Euphorisch Bejahten Militaristischen Zeitenwende nehmen.
    An Sailer und Andere: Riesen Wehrpflichtarmeen, Aufmärsche, und Massenbeteiligung ist nicht mehr die Frage. Auch keine Uniformträger in der Öffentlichkeit als Aergernis.
    Wir haben es mit einer fortgeschrittenen zivilisatorischen Verrottung v. a. auch des jüngeren nachwachsenden homo sapiens zu thun, der, verleitet durch www, Computerspiele geförderte Degenerierung und entsprech. Medienkonsum die Realität gar nicht mehr wahrnimmt u. alles für eine Art größeres KillerSpiel hält bei der nur „Elemente“ auszuschalten sind (vgl. die quälenden yt Einspieler mit Killspielen, die als aufheiternd gedachten Einspieler über UA Erfolge z. B. von BILD Seite – oder auch die von einer Art Rockmusik angeheizten Kill Clips mit Original Menschenmord von Russ. soz. Medien Seite und anderen privaten Beiträgern).

    & alle russ. Speculation auf einen rel. kurzen, militärisch vgl. weise (vgl. US shock & awe Unternehmen) Erziehungsfeldzug natürlich Schall & Rauch und fürn Arsch.
    Verhandlungslösung ? An Dreck !
    Der hysterisch-halbbeglückte West Aufschrey im Westen („russ. Bedrohung faktualisiert – alles ist Bedroht vom Nordkap bis Faro über Sizilien bis Hintertürkei, schön wie einst mit den Commie Rrussen)
    …hätte dem Russen klar sein müssen, hätte er die sagenhaft teuflisch intelligente und durchtriebene Intelligence wirklich, die ihm immer zugeschrieben wird.

  2. *P. S. zur ins Lächerliche gezogenen Beschießung (damit ist gemeint die ABleugnung. Blindfleck. Es gibt z. B. einen deutschen wiki Artikel über ein gewisses Denkmal im Donbass für die entspr. Opfer. Eine einzige Mockery !

    1. ich stelle mir gerade eine riesige Statue vor, aus Bronze, so groß wie die Statue in Stalin-/Wolgograd. Diese Statue verherrlicht die Ricarda Lang. So in sozialistischem Realismus, edel in die Ferne blickend. Dahin, wo Demokratie und Toleranz goldene Blüte erfahren. Für diese Statue müssen sämtliche Kirchenglocken der ganzen Welt eingeschmolzen werden. Das reicht grad bis zu den dicken Waden..
      alle Kanonenverschlüsse auch einschmelzen, und so weiter. Als Heldin der letzten Tage. Wenn die Statue fertig ist, könnte sie einem Atomkrieg widerstehen. Besser als Du und ich. Duck and cover. Gruß aus der Taiga

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