Im Regal: Jürgen Teipel „Ich weiß nicht“

Es gibt ein paar typische Elemente, die einem das Lesen „moderner“ oder sagen wir: zeitgenössischer Literatur schon auf den ersten Seiten verleiden können, und das ist ganz unabhängig davon, ob der Autor behauptet, diese „Stilmittel“ absichtlich einzusetzen oder nicht: Ein Ich-Erzähler, der sich sofort, unumwunden und ohne Andeutung einer doppelbödigen Strategie als sprachlich restlos unbedarfter, phantasielos stammelnder Volltrottel zu erkennen gibt und dessen enervierende, mittlerweile durch Überbeanspruchung fürchterlich langweilige Angewohnheit, wirklich jeden winzigen Nebensatz durch einen Punkt abzutrennen, einem das Gefühl gibt, sich beim Lesen in ein körnerpickendes Wackelkopfhuhn zu verwandeln – das sind zwei solche Elemente, die man wohlwollend als „teipelsche“ bezeichnen könnte, weil der Autor dieses „Romans“ (der es netto auf höchstens 80 Seiten bringt) durch „Verschwende deine Jugend“ bekannt wurde, den 2001 stapelweise verkauften „Doku-Roman“ über ein paar Darsteller der Neuen deutschen Welle, und auch dieses Buch so klingt, als hätte er ein Treseninterview direkt vom Diktiergerät abgetippt – allerdings ein recht lustloses, bei dem der Befragte sich in jedem dritten Satz mit einem „eben“ oder „jedenfalls“ aufraffen muß, alten Quark noch mal aufzurühren, und sich nicht die geringste Mühe macht, mehr als vage anzudeuten, um was es überhaupt geht.

Das kann sich der Leser erst nach und nach ungefähr zusammenreimen: Ein paar Leute fahren zu einem Technofestival in Mexico City, legen da auf und machen so rum, und immer ist alles irgendwie „nett“ und „schön“ und „interessant“ – man sollte meinen, so was lese sich wenigstens während einer S-Bahnfahrt locker herunter, aber das vereitelt die sprachliche und gedankliche Armut des Textes, die einen nach jedem Kapitel verzweifelt zu einem Gegenmittel (einem wirklichen Schriftsteller, der erzählen will und Nebensätze bilden kann) greifen läßt, um nicht infolge literarischen Unterzuckers ins Koma zu fallen.

Kehrt man dann zu den drei eigenschaftslosen Pappkameraden und ihrem belanglosen Gewese und esoterisch angezuckerten Gerede zurück, stellt man fest, daß man praktisch alles Gelesene vergessen hat, und irgendwann stört einen das aber auch nicht mehr, empfände man ein Zurückblättern als Zeitverschwendung. Also: möglichst schnell durch bis zum immerhin schlüssigen Finale („Kommt runter!“) und ab ins Altpapier mit dem Ding, woraufhin man eingedenk der traditionellen „Heiligkeit“ von Büchern in Gedanken einen flammenden Appell an Deutschlands Verleger formuliert, sich doch endlich auf ihren Beruf zu besinnen und zumindest den Anspruch zu haben, nicht potentiell verkäuflichen Mist (entstanden, so ist zu vermuten, als auf den zugkräftigen Namen ausgerichtete Auftragsarbeit mit Abgabetermin, aber ohne jegliches Lektorat und ähnliches), sondern richtige Literatur zu veröffentlichen, um lesewilligen Menschen den Umgang mit neuem Druckzeug nicht restlos zu verleiden.

Denn wenn es das ist, was als „junge Literatur“ verkauft wird, versteht man auch die angeblich so virulente Lesemüdigkeit der nachwachsenden Generationen: Unterhaltsamer, bunter, lebendiger als das ist noch das billigste Online-Game.

geschrieben Ende Juli 2010 für KONKRET

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