Seit die Deutschen zu bemerken beginnen, daß es in ihrem Land einen echten (rechten) Terrorismus gibt, verdunsten die Umtriebe der frühen RAF und ihres Umfelds zusehends aus dem Bewußtsein. Angesichts der NSU-Morde und des nach wie vor nicht ansatzweise aufgeklärten Münchner Oktoberfestattentats ist etwa die Bewegung 2. Juni, bekannt geworden durch „Negerkuß-Banküberfälle“ und die einzige erfolgreiche Gefangenenbefreiung mittels Entführung, längst im Winkel der Putzigkeit verschwunden.
Dabei gäbe es da manches aufzuarbeiten, etwa die vom Schwarzen Loch zwischen Stockholm-Desaster und dem Beginn der RAF-Prozesse verschluckte Geschichte des Schweizer Filmkünstlers und Holger-Meins-Kommilitonen Werner „Philipp“ Sauber, der am 8. Mai 1975 auf einem Parkplatz in Köln bei einem Schußwechsel mit der Polizei hingerichtet wurde – da wäre zweierlei zu erzählen: zum einen der beispielhaft skandalöse Prozeß gegen die 2.-Juni-Leute Roland Otto und Karl-Heinz Roth, die allen Manipulationen zum Trotz freigesprochen werden mußten, um den Preis, daß Sauber bis heute als Mörder gilt; zum anderen dieser Mensch selbst, der ganz und gar kein „anarchistischer Gewalttäter“ war, sein weitgehend vergebliches politisches Mühen, sein Leben, Denken, Fühlen, Wollen.
Was an Biographischem über Sauber (der in der einschlägigen 2.-Juni-Literatur von Baumann bis Reinders/Fritzsch so gut wie nicht vorkommt) bekannt ist, findet sich in zwei Artikeln (im Internet verfügbar) und einem höchst lesenswerten Taschenbuch zum Prozeß; darin auch die Anekdote vom Kind mit der abgetrennten Fingerspitze, die in Ulrike Edschmids Buch wiederholt wird und einen großen Löffel bitteren Kitsch hineinrührt in den Roman, der ansonsten recht ratlos um Sauber herumkreist und ihn nicht zu fassen kriegt.
Dabei hat Edschmid Sauber nicht nur gekannt, sondern mit ihm gelebt, politisch gearbeitet, saß schuldlos in Isolationshaft und hat ihn auch geliebt, mit ihm ihren Sohn aus einer früheren Beziehung großgezogen und ihm ihr Buch „Frau mit Waffe“ (über Astrid Proll und Katharina de Fries) gewidmet. Leider kann sie sich nicht entscheiden zwischen dem Schmirgeln an persönlichen Befindlichkeiten und einer wirklichen Annäherung an die Person, um die es (vorgeblich) geht – so werden etwa Namen auch dort vermieden, wo sie förmlich aus den Zeilen schreien, was unangemessen mystifizierend wirkt.
Die Unentschlossenheit oder Vorsicht der Autorin führt dazu, daß das Buch über weite Strecken am Leser vorbeirauscht, der gerne mehr über Philipp S. erführe, aber lediglich vermuten muß, daß Edschmid ihn gar nicht recht gekannt und vor lauter Selbstverschlossenheit wenig von seinem Leben mitgekriegt hat – das Abrutschen in schwammig-elegische Sprachklischees und Feuilleton-Bullshit ist dann nur logisch: „Er ist unterwegs, streckt seine Fühler aus zur anderen Seite, zu den Grenzgängern zwischen Gesetz und Gesetzlosigkeit. Für manche von ihnen gibt es kein Zurück mehr“ usw.
Da juckt es den Leser zum Blättern, durchflutet ihn leicht zornige Gleichgültigkeit und Enttäuschung, die die letzten paar Seiten, wo Edschmids Empörung spürbar wird und die Erzählung plötzlich Leben gewinnt, nicht ganz vertreiben können.
geschrieben im Februar 2013 für KONKRET