Im Regal: Airen „Strobo“ & „I Am Airen Man“

 

In Martin Amis’ Roman „The Information“ hat ein Schriftsteller die skurrile Idee, die Geschichte der Literatur als eine „der fortschreitenden Erniedrigung“zu betrachten: Mit dem sozialen/moralischen Abstieg der Romanfiguren (von Göttern über gestürzte Könige und besiegte Helden bis hin zum „Abschaum“) würden auch deren Verrichtungen („Plots“) banaler und nichtiger; gleichzeitig schreite die Kosmologie unaufhaltsam fort, vertreibe den Menschen aus dem Zentrum der Welt und lasse alles immer größer erscheinen (von Homers Bronzehimmel bis hin zur Unendlichkeit multipler Universen). Nötig sei folglich eine Verkleinerung, hin zum „Universum des bloßen Auges“.

Auf diesem Weg könnte uns die Blogliteratur ein Stück vorangebracht haben, allerdings führt sie auch hinein ins Universum, nein: den Sumpf des bloßen Plapperns, exemplarisch vorführbar an ihrem per Plagiatsskandal zum solchen gewordenen derzeitigen Hauptprotagonisten Airen: Dessen Erstling „Strobo“ besteht aus titelgemäßen Momentaufnahmen aus der Berliner Party-, Sex- und Selbstvernichtungsszene; es kommt garantiert nichts vor, was der Erzähler nicht (in unterschiedlichen Stadien der Betäubung) erlebt hat, und alles ist erzählt wie in einem Tagebuch, das man nur für sich schreibt – diese Unmittelbarkeit macht den Reiz des Textes aus, aber auch seine schwere Zugänglichkeit, weil Personen und Vorgänge in keiner Weise erklärt oder analysiert werden; sie tauchen einfach auf und sind wieder weg.

Was passiert, kennt man aus den einschlägigen Vorlagen und -gängern von Bukowski bis Christiane F.: Airen haut sich Birne und Körper voll, geht tanzen, schwurbeln und ficken, findet das Leben anflugweise scheiße und schwärmt zwischendurch in unfreiwillig komischer Reklamemanier von den Vorzügen des Techno. Ein Roman kann das nicht werden, weil alles immer gleich bleibt und in öder Dauerwiederholung auch schnell ermüdet, aber es fallen ein paar hübsche Episoden ab, in denen fast was von dem Witz aufblitzt, der etwa Thomas Kapielskis Suffodysseen so brillant macht. Leider fehlt es Airen an Ahnung von und Begabung zur Literatur, so daß die guten Momente nur zufällig gelingen und die dicke Suppe unironischer Angeberposen und -prosa („Ja, das flasht mich retro.“) alles ertränkt.

Aber „Strobo“, 2009 erstmals erschienen, ist skandalbedingt ein Erfolg, drum mußte nachgelegt werden. In „I Am Airen Man“ (dessen saudummer Titel zumindest bewirkt, daß Black Sabbaths „Iron Man“-Riff während der Lektüre im Kopf für rhythmische Unterhaltung sorgt) rödelt der Erzählerautor weiter in seiner Bedröhnungstretmühle herum, diesmal in Mexiko (wohin offenbar – vgl. Jürgen Teipel – die gesamte Technoelite fliehen mußte, um nicht in Duisburg zu landen). Leider waren beim Zweitling nicht fünf Jahre Zeit, sondern nur eines, um ein Büchlein zusammenzutippen, dem es daher an den zufälligen Höhepunkten des Vorgängers weitestgehend mangelt. So sind die knapp zwei Stunden, die man damit verbringt, letztlich ebenso verschwendete Zeit wie die, von der erzählt wird.

geschrieben Anfang August 2010 für Konkret

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