Im Regal: Wencke Mühleisen „Du lebst ja auch für deine Überzeugung. (Mein Vater, Otto Muehl und die Verwandtschaft extremer Ideologien)“

Kein uninteressanter Ansatz: Eine junge Frau aus Norwegen mit slowenisch-österreichischem Vater bricht mit 23 in den Süden auf, um in Paris irgendwas mit Kunst und so zu machen, landet statt dessen 1976 in Otto Muehls AAO-Kommune im Burgenland und bleibt dort bis 1985. Ein Brief ihres Vaters von 1984, damals unbemerkt und 2006 wiedergefunden, macht ihr klar, daß dieser nicht nur ein eiserner, unverbesserlicher Rassist und Nazi war, sondern auch eine gewisse Verwandtschaft der Lebenseinstellungen unterstellte, schließlich lebe ja auch sie „für deine Überzeugung gegen den Strom“.

Man stutzt bei der Behauptung, die Autorin habe einen derart haarsträubenden Brief 22 Jahre lang „vergessen“, aber gut. Nun macht sie sich auf die Reise durch Europa, um die Geschichte des Vaters und der Familie zu erkunden und herauszufinden, ob es tatsächlich eine „Verwandtschaft der extremen Ideologien“ gibt. In ihrem Buch erzählt sie episodisch in drei Strängen von der erforschten Biographie des Vaters, ihrem Leben in der Kommune und dem, was ihr während der Suche so passiert.

Oder nein. Was sie tatsächlich erzählt, sind Alltagsbanalitäten, was sie ißt und trinkt (und wieder erbricht), wohin sie fährt und als nächstes fahren möchte und was ihr so durch den Kopf geht: ein kaum geordneter, schon gar nicht verdichteter Schwall von Befindlichkeitsquark, Nabelguckerei, banalem Gestammel, peinlich unbeholfenen Versuchen in „literarischer“ Sprache, ein Urwald von Stilblüten und dutzende, ja hunderte Fragen an den Leser, die dieser nicht beantworten kann und die wohl eine Art „Nachdenklichkeit“ signalisieren sollen, von „War meine Liebe nach seinem Brief von 1984 endgültig angeknackst?“ (sic!) bis „Was ist eigentlich Scham?“

Der Vater des weiteren interessiert sie selbst bald nicht mehr, und auch aus dem Leben der Muehl-Kommune erinnert sich Mühleisen nur an ein paar Bruchstücke eigener Befindlichkeiten. Der Rest wird nicht erzählt, sondern mühselig abstrahiert endlos umschrieben, unterfüttert mit etwas Lexikonwissen und ein paar angedeuteten Anekdoten. Erkennbar, sichtbar, nachvollziehbar wird so gut wie nichts, zumal die Fähigkeit der Autorin zu Beobachtung, Erinnerung, Auffassung, Erkenntnis (wir haben es geahnt) kaum über den eigenen Fingernagelrand hinausreicht und derart rudimentär ausgebildet ist, daß sie eine Verwandtschaft irgendwelcher Ideologien schon deshalb nicht mal erkennen könnte, wenn man sie ihr unter die Nase riebe, weil sie gar nicht begreift, was überhaupt eine Ideologie ist oder sein könnte.

Es gibt viele schlechte Bücher und darunter wenige, für die man sich beim Lesen schämt. Hier ist eines davon. Immerhin: wer sich durchkämpft, hat ein paar nebensächliche Kleinigkeiten über Otto Muehl erfahren und fühlt sich vielleicht auch nicht schlechter als sich Wencke Mühleisen offenbar generell und immer fühlt.

geschrieben im Januar und Februar 2020 für KONKRET; siehe hierzu auch dies

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