Im Regal: Milán Füst „Die Geschichte meiner Frau“

Einen Schriftsteller als exzentrisch zu bezeichnen, riecht pleonastisch; schließlich ist das (zeitraubende und in den meisten Fällen kaum existenzerhaltende) Vollschreiben dicker Papierberge per se nicht ganz normal, zumal wenn die Sonne scheint, Bibliotheken unter Hekatomben von Ungelesenem ächzen und im Fernsehen die Million zu gewinnen ist. Letzteres blieb Milán Füst erspart; der ungarische Dichter starb 1967 in, wie man glauben möchte, etwas zivilisierteren Zeiten, trotzte jedoch sein Hauptwerk einer Epoche ab, in der solcherlei Beschäftigung erst recht exzentrisch, wenn nicht mordsgefährlich war: Sieben Jahre lang schrieb er auf, um und neu, manche Szenen eigenem Jammer zufolge „sechshundertmal“, bis er 1941 endlich fertig war mit „diesem einen popeligen Werk“ und zum Diktat schreiten konnte; nein, fertig noch lange nicht, aber immerhin glaubte er, einen passenden Namen für die Hauptperson gefunden zu haben. Den er, logisch, später wieder änderte.

Daß Füst – bis dahin und weiterhin als Schriftsteller so weitgehend erfolglos, daß man ihm die Genialität des Nichtanderskönnens vor der Lektüre zugestehen darf – auch von enervierender Egozentrik war, ist biographisch belegt; anderen Menschen begegnete er mit Ungeduld, Mißgunst, manchmal ätzender Bosheit. „Ich bedauere natürlich sehr, daß sie krank waren“, schrieb er an die deutsche Übersetzerin seines Romans, „allerdings gebe ich zu, nicht genug, weil ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin, ich bin nämlich noch kränker.“ Da mag man grinsen und einen Humoristen ahnen, der nicht im geringsten einer war, dessen eigentümlicher, mit seiner stur durchgesetzten persönlichen Orthographie und Interpunktion nicht annähernd zu erklärender Erzählton indes von einem so blendenden Witz ist, daß man viele Sätze mehrmals liest, genüßlich, ohne genau sagen zu können, was daran eigentlich so schön ist.

Auch Füsts Duktus ist nicht leicht zu durchschauen, zumal sein holländischer Kapitän Störr, der die schöne Französin Lizzy heiratet, um fortan ein Leben rasender Eifersucht und willkürlich rächender Affären zu führen, ein derartiger Antipathieträger ist, daß jeder moderne Lektor abraten müßte, eine solche Figur als Erzähler voranzuschicken, die, als sie bei einem Raubüberfall dem Räuber das Genick bricht und er tot daliegt, feststellt: „Auch da fühlte ich nichts besonderes, und das betrübt mich noch heute.“

Das (auch) ist das Faszinierende an diesem Roman: Man weiß nicht, ob man lachen darf oder sich empören soll, ob Mitleid mit diesem fürchterlichen, gequälten, keiner Erkenntnis zugänglichen Mann, der sein Leben mit gnadenlos vernagelter Vehemenz zerstört, zulässig oder nicht doch Ekel angemessener ist. Am Ende hat man sich entschieden, nach diesem unglaublichen Buch, das Füsts einziger Roman blieb, weil ein schönerer, weiserer, auch zynischerer über das Leben und die Liebe, über Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Dummheit, Vergeblichkeit und Elend, Einsamkeit, Irrtum, Trauer und was sonst noch dazugehört, kaum zu denken ist – und wer nach den letzten Sätzen keine Gänsehaut hat, sollte einen Arzt aufsuchen und prüfen lassen, ob er nicht vielleicht schon tot ist.

Auch der Nobelpreis übrigens blieb Milán Füst erspart; er starb kurz nach der Nominierung. Daß sich der Eichborn-Verlag nicht die Mühe machte, den Roman neu übersetzen zu lassen, statt dessen ein paar Satzfehler hineingestreut und ihn unangemessen preziös in violetten Platikplüsch verpackt hat, sei nur am Rande erwähnt; einem Meisterwerk wie diesem kann derlei nicht viel anhaben.

(geschrieben im Januar 2008 für KONKRET)

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