Belästigungen 02/2020: Faschismus ist keine Meinung (eine Meinung aber schon)!

Neulich bin ich in eine Demonstration hineingeraten. Da zogen überwiegend junge Menschen, flankiert von Polizisten, im strahlenden Sonnenschein eine Straße in der Maxvorstadt entlang, beschallten die Nachbarschaft mit ohrenbetäubenden Animationsgeräuschen (die Unterschiede zwischen Musik und Alarm verschwimmen unter diesen Umständen) und zeigten teilweise recht hübsch gemachte Spruchbänder und Schilder mit überwiegend englischsprachigen Aussagen: „We are the change!“ stand da beispielsweise. Dieser Meinung kann man durchaus sein.

Es war sicher nicht symbolisch gemeint, daß dem fröhlichen Zug ein riesiger Lastwagen voranfuhr, der früher mal der Feuerwehr gehört hat und wahrscheinlich wegen seines übermäßigen Ausstoßes stinkender Giftgase außer Dienst gestellt wurde. Irgendwie muß man die Anlage, die das rhythmische Getöse verströmte, schließlich transportieren!

Beim Betrachten des Aufzugs – den ich grundsätzlich recht sympathisch fand, weil eine Straße immer schöner ist, wenn dort Menschen spazieren und dadurch den röhrenden Krieg der Autos für einige Zeit unterbinden – fiel mir ein altes Plakat ein, das mal zu Wahlkampfzwecken diente und von dem aus unerfindlichen Gründen ein Exemplar im Münchner Norden stehengeblieben ist. Auf dem stand und steht: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“

In dieser zweifellos richtigen Binsenweisheit kristallisiert sich ein Mißverständnis, dessen Folgen die Welt in den letzten Jahren beuteln wie eine verschleppte Dauergrippe. Faschismus nämlich ist (unter anderem) die Ausübung unangemessener Gewalt auf Menschen zwecks Erlangung und Sicherung von Macht. Das ist zweifellos ein Verbrechen.

In dem Satz steckt aber noch eine Binsenweisheit, die man leicht übersieht und offenbar auch vergißt: Eine Meinung ist kein Verbrechen. Eine Meinung ist des weiteren (im zweiten logischen Schritt) auch kein Faschismus. Selbst die Meinung, Faschismus sei eine wünschenswerte Weise der Organisation einer Gesellschaft, mag bescheuert sein, ein Verbrechen ist sie jedoch nicht. Folglich ist auch der Faschist (als ein vom Faschismus Überzeugter) so lange kein Verbrecher, bis er ein Verbrechen begeht, also zum Beispiel Gewalt ausübt.

Nun gibt es unterschiedliche Formen der Gewalt. Der eine betrachtet eine Watschn als zulässigen Diskussionsbeitrag am Biertisch, wenn ein anderer mal wieder besonders blöd daherredet. Für einen Richter ist sie im Zweifelsfall Gewalt. Für andere (zum Beispiel für mich) ist die dauerhafte Penetration mit ärgerlichen, bedrohlichen, verwirrenden und hetzerischen Botschaften eine Form der Gewalt und eventuell viel schlimmer als eine situationsbedingt angebrachte Ohrfeige.

Da geraten wir aber in Konflikt mit Medienkonzernen, Reklameherstellern und Wahlkampfparteien, die es für ihr gutes Recht halten, uns überall und immer mit manipulativem Unsinn, dummen Parolen und ideologischem Ballast vollzumüllen, damit wir so denken (und dann handeln), wie wir sollen. Unter Umständen geraten wir sogar in Konflikt mit dem Demonstrationsrecht, aber nur dann, wenn man etwa einem lärmenden Naziaufmarsch partout nicht ausweichen kann.

Das unterscheidet Meinung und Gewalt: Bei der einen muß man erst mal hin- und zuhören, sonst ist sie so bedeutungslos wie eine Schneeflocke, die in einen Schornstein hineinschneit und unbemerkt verdampft. Der anderen kommt man nicht aus. Das hat sie mit dem Faschismus gemeinsam: Beide durchdringen das gesamte öffentliche und private Leben; sie sind sozusagen totalitär. So wie der Autoverkehr, der Terror der Medien, der Kapitalismus, der noch die kleinste Regung und den winzigsten Gedanken des modernen Menschen vollständig besetzt, bestimmt und steuert. Sich dagegen und gegen die Verursacher zu wehren, ist absolut legitim und nötig.

Meinen hingegen kann und darf man generell ruhig und ungestraft alles mögliche. Man kann meinen, Adolf Hitler sei ein ganz passabler Aquarellmaler gewesen. Man kann meinen, es sei eine lustige Idee, die Schule zu schwänzen, hinter einem alten Feuerwehrlastwagen her zu spazieren und zu meinen, man sei der Wandel. Man kann meinen, der ganze Circus um die „Klimarettung“ sei ein Schmarrn. Man kann meinen, wenn die USA einen Vertrag mit dem Iran brechen und dessen Obergeneral während einer Vermittlungsmission mit einem Terroranschlag per Raketenbombe ermorden, müsse man deswegen den Iran unter Druck setzen und „verwarnen“ (SZ). Man kann meinen, Protestkundgebungen im Iran seien viel wichtiger als Protestkundgebungen in Frankreich, Chile, Barcelona oder der Maxvorstadt. Wer mag, kann sich solche Meinungen anhören, darüber diskutieren oder sie einfach ignorieren. Erst wenn man sie anderen Menschen so penetrant aufdrängt, daß die einfach zuhören müssen, und dafür sorgt, daß Leute mit abweichender Meinung als Irre, Halbkriminelle, Verschwörungstheoretiker oder sonst was abgestempelt und beschimpft werden, – erst dann wird daraus Gewalt. Und wenn man die Bevölkerung des Irans mit Sanktionen in Hunger und Elend und zu noch mehr Protesten treibt, ist das eventuell sogar ein Verbrechen. Bombardiert man sie dann noch, um ihre Regierung zu stürzen, fällt das „eventuell“ weg.

Das alles ist übrigens auch bloß eine Meinung. Die ist hiermit gesagt, und das war’s auch schon. Wir können gern darüber reden, ebenso gern aber über etwas ganz anderes.

2 Antworten auf „Belästigungen 02/2020: Faschismus ist keine Meinung (eine Meinung aber schon)!“

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