Belästigungen 21/2017: Wo ein Und hingehört und wo ein Oder und wieso dann erst mal alles kleiner werden muß

Auf einem der Plakate, die zur Teilnahme an der unlängst absolvierten Wahlfarce aufforderten (erstaunlich erfolgreich übrigens, wenn man bedenkt, wie sinn- und zwecklos es für das Wahlvieh ist, sich für eine der identischen Verwaltungsorganisationen der Marktdiktatur zu entscheiden – aber das lassen wir mangels Anlaß heute mal, vorerst), – auf einem dieser Plakate, die nun, lange Wochen später, immer noch in Fetzen, Teilen und Trümmerschrott und hier und da (in unbewohnbaren Zonen unserer grundsätzlich trotz Gentrifizierungskrieg, Eventgebimse und Verkehrsterror immer noch recht schönen Stadt, etwa an den tödlichsten Abschnitten des Mittleren Rings) sogar intakt herumstehen und das Panorama (noch mehr) verunzieren …

Uff, wie komme ich aus diesem Gedankenfluß-Schachtelsatz hinaus? Gar nicht. Also noch mal neu: Auf einem dieser Plakate stand zu lesen, zwischen Wirtschaft und Umwelt gehöre „kein Oder“.

Da möchte man glatt eine grüne Partei gründen, um endlich klarzustellen und zu -machen, daß nirgendwo so dringend ein Oder hineingehört wie zwischen diese beiden Begriffe. Und zwar ein mächtiges, dringendes und drängendes Oder, breit und reißend wie der Oderfluß, der jeden Winter über Ufer und Dämme schwemmt und diversen Politikerdarstellern eine günstige Gelegenheit verschafft, sich als Weltenretter und Großorganisatoren zu inszenieren … Puh, der nächste Schachtelsatz! Jedenfalls tritt besagter Oderfluß gerade deshalb über seine Ufer, weil zwischen Wirtschaft und Umwelt niemand ein Oder hineinrammt, sondern immer nur ein Und, das nichts anderes bedeutet als „statt“.

Leider hat eine solche („grüne“) Partei schon mal jemand gegründet, um eben das – die Entfernung oder mindestens Fernhaltung aus der Umwelt und jedenfalls strengste Disziplinierung der Wirtschaft – zu erreichen. Und es ist so gründlich danebengegangen wie jeder andere Versuch, der alternativlosen Marktdiktatur eine „Alternative“ entgegenzusetzen, die in einer vernünftigen Welt keine Alternative sein dürfte, sondern zwingende Notwendigkeit sein müßte. Das alternativste, was die Marktdiktatur gerade noch zuläßt, ist eine linke Partei, die verspricht, die schlimmsten Folgen von deren Raubzügen ein bisserl abzumildern, wenn man es ihr erlaubt. Man erlaubt es ihr aber selbstverständlich nicht, wäre ja noch schöner.

Auf einem anderen Plakat stand (und steht, am Mittleren Ring), die AfD halte, was die CSU verspricht. Das ist wahrscheinlich richtig. Die CSU hält aber auch, was die CSU verspricht; ebenso tut das die CDU, die SPD, und es tun die Grünen. Die FDP sowieso, weil sie den Schmarrn schließlich einst in den 80er Jahren mit ihrem „Lambsdorff-Papier“ als gesamtgesellschaftliche Ideologie und Staatsreligion durchgesetzt hat: Wirtschaft, so lautet seitdem der Konsens, ist gleich Wachstum; es sei und werde deshalb Wachstum ist gleich Wirtschaft statt Umwelt.

Weil nun mal Herbst ist, wenn Wahlen sind, spricht das die Menschen offenbar an. Da stehen sie unter melancholisch ihr Laub herabweinenden Baumgerippen, bemitleiden gerupfte Vogelinvaliden und abgemagerte Eichkätzchen, die zwischen SUVs herumhumpeln und ein paar verstreute gebrannte Wiesnmandeln zusammenkratzen, blinzeln sehnend ins wolkengrau gefilterte Sonnenlicht, das an stetig schrumpfenden Tagen immer früher hinter den Wolkenkratzern am westlichen Stadtrand verdämmert, und wünschen sich herbei: ein Wachstum!

Weil es dann wieder schön wird! Weil dann im Dezember nicht nur der Oderfluß schwillt, sondern auch die Industrie brummt, die Sonne grellt und der Mensch bei fünfundzwanzig Grad zwar nicht im Biergarten sitzt, sondern am Leiharbeitsplatz, aber immerhin sich vorstellen kann, daß er dort jetzt sitzen könnte, anstatt nach getaner Wachstumsankurbelung durch Nieselregen und Nebelschleier zum ÖPNV-Modul zu hetzen, um rechtzeitig vor dem Fernseher zu sitzen, wenn die Pizza heiß ist und die Talkshow beginnt, in der ihm erklärt wird, wieso zwischen Wirtschaft und Umwelt kein Oder gehört, sondern ein schallendes UND, das STATT heißt.

Dabei ist Schrumpfen doch so was Schönes. Fragen Sie mal Ihre Hartz-4-Nachbarin, die zwischen zwei Sechsstundensessions auf dem Sofa mit Pralinenschachtel und Chipstüte immer mal die grellbunte Selbstertüchtigungsuniform anlegt und zehn Minuten lang ächzend und puffend das Erdreich im Englischen Garten verdichtet, um am Sanktnimmerleinstag auszuschauen wie die Promi-Zumsel auf dem Illustriertentitel an der Supermarktkasse, die grad mal wieder drei Zentner runtergespeckt hat. Oder fragen Sie die Katalanen, die Schotten, Wallonen, diverse Indianerstämme, Franken, Schwaben und vernünftige Altbayern, die genug haben von unaufhaltsam anschwellenden Großstaatenverbünden, in denen die nominelle Demokratie nur noch darin besteht, daß sie massenweise irgendwelche identischen Massenparteien ankreuzeln dürfen, die versprechen, das zu halten, was andere identische Massenparteien versprechen („Bayern stark für Deutschland“ oder andere hohlsinnige Schwachköpfigkeiten).

Wenn wir aus der unlängst absolvierten Wahlfarce und dem Herbst (und ein paar anderen Gegebenheiten) etwas lernen können, dann das: Klein ist gut, groß ist Mist. Masse, Macht und Manipulation sind blöd; Zwiegespräch, Ruhe und ein überschaubarer Horizont sind, ähem, die Vorstufe zum Paradies, und Schachtelsätze lassen wir weg. Und wenn uns dann noch mal jemand ein Protzplakat mit „Wirtschaft“ und „Umwelt“ vors Fenster stellt, dann schicken wir ihn an die Oder, zum Sandsäckeschichten. Weil dahinten nämlich schon der Dezember naht.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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