Belästigungen 15/2015: Haltet ein, ihr Gerechten! Blumen und Liebe für Wolfgang Schäuble!

Ich werde durchschnittlich zwei- bis viermal pro Woche von Wespen gestochen, die die fauligen Restkirschen unter meinem Baum zusammenlutschen und auf die ich mangels Augen an den Zehen zwangsläufig trete. Das ist (für mich) nicht weiter tragisch: Wespenstiche regen den Kreislauf an, eine Blutvergiftung ist angesichts der ausschließlichen Ernährung der Hautflüglerrabauken von Steinfrüchten kaum zu befürchten, und weitere Folgen wie Schwellungen und tagelanges Jucken lassen sich mit einer kurzen Wärmebehandlung verhindern.

Wahrscheinlich aber enthalten die vergorenen Kirschen doch einiges an Alkohol, der die Viecher übermütig macht, ihre Rachsucht anstachelt (!) und sie nach Vergeltung dürsten läßt. Gestern nämlich habe ich einen ihrer wieder mal ziemlich unkoordiniert in Bodennähe herumtorkelnden Kameraden höchstens (wenn überhaupt) leicht touchiert. Woraufhin er (oder sie) seinen Stachel noch vehementer als üblich in meinen Fuß rammte, und zwar – wie zum trotzigen Beweis meiner Unschuld – in dessen obere Seite. Ungefähr so: „Da hast du’s, elende Menschensau! Wir stechen dich auch wenn du gar nichts getan hast! Weil wir es können, hä hä!“

Ich wiederum war zwar völlig nüchtern, aber nun erwachte angesichts der schmerzhaften Demütigung meine Rachsucht. Zum Glück weiß ich, wo die Bande haust (in einem Erdloch neben dem Mirabellenbaum). Also füllte ich eine Gießkanne mit kaltem Brunnenwasser und überflutete den unterirdischen Wohnsilo mit dem hämischen Kommentar: „Da habt ihr’s, elende Wespenbrut! Ich schwemme auch denen von euch das Schlafzimmermobiliar weg, die gar nichts getan haben! Weil ich es kann, hä hä!“

Danach sah ich aus sicherer Entfernung (drei Meter) zu, wie die Bagage vergeblich ausschwärmte, um den Übeltäter dingfest zu machen, und vom unbeteiligten Nacktschneck bis zum abgelutschten Kirschkern alles stach, was in Reichweite war. Und bekam, während der Schmerz nachließ, ein schlechtes Gewissen; schließlich waren die Betroffenen ja wirklich unschuldig und ich nicht weiter geschädigt, während die sicherlich alle Hände voll zu tun hatten, um feuchte Wände neu zu verputzen und ihre Bettwäsche notdürftig zu trocknen. Indes ist es ziemlich aussichtslos, sich mit einer aufgebrachten Wespenmeute versöhnen zu wollen, und so blieb mir nur die Einsicht, daß man sich manchmal zügeln sollte, wenn der Jähzorn flammt.

Der kann sich ansonsten nämlich zu einem dauerhaften Generalgroll gegen alles und jeden verfestigen, und dann ist es mit dem Spaß vorbei. Da fiel mir umgehend Wolfgang Schäuble ein, der deutsche Finanzminister, der seit einiger Zeit einen geradezu amokartig erscheinenden Vernichtungsfeldzug gegen (vorläufig) die griechische Bevölkerung und ihre Regierung führt, und zwar mit einer gnadenlosen Verbissenheit, wie wir sie aus sehr dunklen Abschnitten der deutschen (aber interessanterweise kaum einer anderen) Geschichte kennen.

Was treibt den Mann? fragt man sich jedesmal, wenn er ein neues diabolisches Folterwerkzeug aus seiner Kiste zieht, einen neuen üblen Trumpf auf den Tisch knallt. Als Innenminister wollte er einst die Bundeswehr gegen Demonstranten einsetzen, unter Folter erzwungene Aussagen zu Ermittlungszwecken nutzen, Internierungslager für „Gefährder“ einrichten, entführte Passagierflugzeuge mit Raketen abschießen, das Grundgesetz ändern, um die durchgehende Überwachung aller Menschen zu jeder Zeit zu ermöglichen, und notfalls sämtliche Grund- und Menschenrechte zugunsten eines frei erfundenen „Grundrechts auf Sicherheit“ außer Kraft setzen. Heute ist er vor allem damit beschäftigt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu restaurieren, wobei es ihm, wie der ehemalige griechische Finanzminister berichtet, durchaus denkbar erscheint, in „verschuldeten“ Staaten Wahlen zu verbieten (was in der Konsequenz gar nicht so schlimm wäre: Eine Demokratie gibt es in diesen Staaten sowieso nicht mehr, weil die dortigen Parlamente auf Befehl von Schäuble nur noch beschließen dürfen, was ihnen im vorhinein von der sog. „Eurogruppe“ diktiert worden ist).

Hinter einem derartig vehementen Vorgehen gegen alles, was auch nur entfernt an rudimentäre Überbleibsel von Demokratie und Freiheit erinnert, können unmöglich bloß wirtschaftspolitische Borniertheit und deutschnationale Großmannssucht stecken. Und tatsächlich zeigt ein Blick in Schäubles Lebensgeschichte eine solche Häufung von Wespenstichen, daß man sich kaum noch wundert: Für Helmut Kohl mußte er den nützlichen Deppen spielen, in der CDU-Spendenaffäre wegen einer wahrscheinlich eher lächerlichen Schuld und Lüge als oberste Schießbudenfigur zu Kreuze kriechen (während Kohl für sein himmelweit unverschämteres Verhalten bis heute von manchem als „Ehrenmann“ bewundert wird), immer wieder als scharfmachender Pappkamerad interessierter Kreise vorangehen, um sich hinterher sogar von Mitgliedern der eigenen Partei (und jenen, die ihn vorgeschickt hatten) beschimpfen zu lassen. Vom Bundeskanzler über den Präsidenten bis hin zum Berliner Bürgermeister und allen möglichen Europaführungen wurden ihm reihenweise Ämter in Aussicht gestellt und dann unter großem öffentlichem Spott verweigert. Und schließlich sollte man nicht außer acht lassen, daß er vor fünfundzwanzig Jahren von einem Irren ohne weiteres Motiv niedergeschossen wurde, seither gelähmt im Rollstuhl sitzt und übrigens behauptet, von dem Attentat ganz und gar nicht traumatisiert zu sein – spätestens hier sollten Psychologen Ohren vom Ausmaß einer Abhörantenne wachsen.

Daß in jemandem, der sich als dienstältester Bundestagsabgeordneter seit zweiundvierzig Jahren praktisch ununterbrochen demütigen, auslachen, beschimpfen und verspotten lassen muß, eine Rachsucht tobt, ein zum Dauergroll verfestigter Zorn, eine rasende Wut auf alles und jeden, dem es auch nur ein Düttelchen besser geht, der auch nur minimal glücklich oder fröhlich ist, versteht sich von selbst. Am liebsten täte er wahrscheinlich manchmal eine gigantische Gießkanne nehmen und den ganzen Laden ausschwemmen; am besten sollte man sich gar nicht vorstellen, was er in seinem Jähzorn noch so alles gerne täte, wenn wieder mal jemand öffentlich darlegt und womöglich nachweist, daß Wolfgang Schäuble von dem, was er tut, keine Ahnung hat, daß er sich irrt und verrennt und ein vernagelter Dummkopf sei.

In solchen Fällen hilft nur eines: Statt ihn zusätzlich zu provozieren und zu erzürnen, muß man so jemanden in den Arm nehmen, ihm Blumen schenken, ihn trösten, herzen, versöhnen, bis zur Entwaffnung lieben, auf daß er sich besinne und Frieden einkehre.

Wie das gehen soll, weiß ich so ganz konkret leider auch nicht, aber sicher ist es kaum schwieriger, als eine wütende Wespe zu streicheln und mit ihr Bruderschaft zu trinken (mit Kirschlikör).

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

 

 

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