Aus dem Archiv (2004): Dynastiendämmerung – The Fall of the House of Strauß

Es ist von enormem Vorteil, daß die meisten Menschen in München, Wolfratshausen, Unterhaching, in ganz Bayern, überhaupt in den diversen Wertschöpfungseinheiten der je nach Gesichtskreis stotternden oder brummenden „Deutschland AG“ immer nur kurz verweilen dürfen, um sodann weiterverhartzt zu werden oder im extremen Durchmodernisierungsfall auch freiwillig von genormtem Ort zu genormtem Ort ziehen, um im Takt der Wirtschaft „weiterzukommen“ und für kurze Zeit „vorne“ zu sein. Von dem, was die wenigen, die dableiben und sich so fest im Beziehungsgeflecht der Macht- und Geldstrukturen einwurzeln, daß irgendwann „Seilschaften“, ja ganze „Dynastien“ aufquellen wie Riesenboviste im herbstlichen Wald, – von dem, was die so treiben, kriegt der moderne Wirtschaftsnomade solcherart nämlich immer nur kurze Episoden mit, die ihm bizarr und skandalös erscheinen, die er aber nicht weiter verfolgt, weil er weitermuß und deshalb die Systematik hinter dem scheinbar absurden Gestrüpp nicht erkennen kann.

Zum Beispiel die Christlich Soziale Union In Bayern, eine – oberflächlich betrachtet – politische Partei, mithin Repräsentantin angeblicher Bevölkerungsinteressen, hinter der sich in Wirklichkeit eine Art Mähdrescher verbirgt, der systematisch über Bayern hinwegbrummt, alles abrasiert, was ihm in den Weg kommt, es anständig durchdrischt und am Ende aus verschiedenen Rohröffnungen wieder ausspuckt, dahin, wo es hingehört: Stroh für die Massen, das goldene Korn für Magnaten, Spezis, Amigos und Würdenträger. Sieht man ein bißchen genauer hin, stolpert man die Jahrzehnte hindurch immer wieder über die gleichen Namen, und der Name Strauß erweist sich als eine Art Sesam-öffne-dich für das Allerheiligste der grotesken Macht- und Geldmaschine.

Neulich beispielsweise hat sich erwiesen, daß es im Münchner CSU-Verband – der seit einiger Zeit auf Geheiß des (für seine Unduldsamkeit gegenüber ungeschickten, gar öffentlich werdenden Ränkereien bekannten) Ministerpräsidenten Stoiber von der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier geführt wird, weil es dort dermaßen drunter und drüber gegangen war, daß der eine oder andere Mandatsträger gar in persona ins Gefängnis einfahren mußte – daß es in diesem Verband nach wie vor dermaßen drunter und drüber geht, daß die Gerichte mindere und andere Verfahren auf die lange Bank schieben müssen, weil sie mit der CSU alle Hände voll zu tun haben.

Detaillierte Darstellungen täten Bände füllen, grobe Skizzen müssen daher hinreichen: Diverse CSU-Aufstreber kaufen mit Geld neue Mitglieder und fälschen Mitgliedschaftsanträge, um diverse Alt-Kandidaten und Platzhirsche aus ihren Positionen zu kegeln und durch eigene Spezis oder sich selbst zu ersetzen. Als das ganze Schieben und Scharren auffliegt und gerichtsmäßig wird, „greift“ Monika Hohlmeier „durch“, muß sich jedoch umgehend von den trotzigen Karrierebürscherln vorwerfen lassen, sie habe von den Vorgängen von Anfang an gewußt und sie gebilligt. Daraufhin greift sie zu einer bewährten Strauß-Technik, knallt im Sitzungssaal einen Ordner auf den Tisch und verkündet: „Ich habe über jeden von euch was!“ Zum Beispiel einer der anwesenden Intriganten habe eine Frau, die mal eine Wahl gefälscht habe usw.

Im Normalfall wäre die Affäre hier zu Ende, doch kann diesmal einer das Maul nicht halten, und schon am nächsten Tag sieht sich Hohlmeier gezwungen, öffentlich klarzustellen, die habe niemals irgendwelche „Dossiers“ angefertigt und selbstverständlich auch nie irgend jemanden zum Stillschweigen und Artigsein pressen wollen. Schon läßt der stets vorsichtige Stoiber verkünden, ihn gehe die Münchner CSU rein gar nichts an und er habe auch nie gewollt, daß seine Vorzeige-Kultusministerin sich dort umtue. Postwendend erfährt die Presse, der einstmals als Straußches „blondes Fallbeil“ und „größter Generalsekretär aller Zeiten (GRÖGAZ)“ (Münchner Merkur) tätige Stoiber sei in die Sache ebenfalls eingeweiht gewesen und habe sie („Hund seid’s schon!“) gebilligt.

Hohlmeiers Bruder Max Strauß wird derweil von einem Ausburger Gericht in Sachen Schreiber, Panzerdeal und „Maxwell“-Konto zu drei Jahren und Monaten Gefängnis verurteilt, obwohl er doch eigens seine Computerfestplatte durch einen Virus reinigen und dann aus der Asservatenkammer verschwinden ließ und obwohl er doch dereinst zu nächtlicher Stunde auf den Balkon des CSU-Magnaten Erich Riedl geklettert war und dessen Frau (Riedl selber war nicht da) einschärfte, es müßten alle Unterlagen und privaten Notizbücher sofort vernichtet werden, weil am nächsten Tag die Staatsanwaltschaft zur Hausdurchsuchung anrücke. Oder ging es dabei um ein anderes Verfahren, bezüglich einer Betrugsfirma WABAG, die Anlager um Dutzende von Millionen brachte und aus der Monikas Ehemann Michael Hohlmeier gerade noch rechtzeitig seine Finger herauszog, um nicht ebenfalls in den Sumpf hineinzurutschen? Wie auch immer, die Strafe ist bezahlt, und Monika Hohlmeier hat von alldem sowieso nichts gewußt und sich auch nie gefragt, woher eigentlich überhaupt die vielen Millionen kommen, die der Papa den Kindern hinterlassen hat.

Schon deshalb muß Monika Hohlmeier den Vorwurf, „Dossiers“ angelegt zu haben, entschieden von sich weisen: Es müßte in solchen ja an allen Ecken und Enden der Name Strauß vorkommen, vom eigenen ganz zu schweigen. Und freilich: dem Namen Stoiber, von dem nicht nur der bayerische SPD-Vorsitzende Franz Maget mutmaßte, er sei in den „Dossiers“ so prominent vertreten, daß er es sich gar nicht leisten könne, seine lästige Ministerin zu entlassen. Ein unlängst in der SZ gedrucktes Photo zeigt Hohlmeier und Stoiber; dieser wiegelt mal wieder, jene betrachtet ihn – wer mag, kann ihren Blick lesen: Sag ja nichts Falsches, Edi, sonst raucht’s.

Ein einstiger Mitschüler sagt dies über die Strauß-Kinder: „Die müssen einem doch leid tun. Die waren von Anfang an in diesem Mafiasumpf drin und haben außer Geld und Macht nie was mitbekommen. Wie soll man normal werden, wenn man von Bodyguards mit dem Benz zur Schule chauffiert wird?“ Es war wohl eher ein BMW, aber egal. Zwangsläufig jedenfalls blieben die Kinder weitgehend isoliert; die wenigen Altersgenossen, bei denen der unbedingte Wille zum Ranwanzen den Abscheu vor den Straußschen Verhältnissen überwog, blieben – neben der alten Strauß-Kamarilla – die treuesten Wegbegleiter in späteren Jahren. Namen wie Curt Niklas und Burkei tauchen immer wieder auf, wiewohl letzterer Ralph ebenfalls vorgeschädigt war: Schon seine Stiefmutter war Parteifunktionärin (allerdings in der SPD).

Papa Strauß’ politisches Handeln galt neben dem eigenen Kropf von Macht und Geld und den diversen Waffen- und sonstigen Spezis von Anfang der Familiarität an stets auch den Kindern. Die mußten was werden, und sie wurden was: der Max ein Politiker wie der Papa (in jeder Hinsicht, nur nach dessen Tod ohne das soziale Netz der vielen Abhängigkeiten), die Monika ebenfalls eine Politikerin wie der Papa (dito, doch überdeckte sie die Unverfrorenheit ihrer Machenschaften mit Anflügen von herb-weiblichem Charme), und der Franz Georg, der sollte in die Wirtschaft hinein (hauptberuflich, denn nebenbei waren natürlich auch Monika und Max mit allen möglichen Kapitalschiebereien beschäftigt, und umgekehrt).

Um dem Buben eine Karriere als TV-Unternehmer zu ermöglichen, mußte der Papa allerdings Gesetze ändern lassen: Ein Privatfernsehen war in der BRD eigentlich nicht vorgesehen. So mußte die CSU also brav (wenn auch flügelweise zähneknirschend) die Einführung von Titten- und Dreschsendern wie RTL und SAT1 durchwinken, damit der Strauß-Bub deren „lokale Fenster“ füllen durfte.

Sein „TV Weißblau“ (heute „TV München“) gerierte sich von Anfang an streng nach Straußscher Manier: Die schamlose Propaganda für CSU und diverse Geschäftspartner von Papa und Sohn gehörte noch zu den ehrlicheren Zügen des Senders – strafbar indes war so was nicht, weshalb denn auch sogar die taz irgendwann Franz Georg Strauß als „weißes Schaf der Familie“ anerkennen mußte. Kleine Dubiositäten im Betriebverlauf des Senders ertranken in der Dauerflut himmelschreiender CSU-Skandale.

Nun also sollte die Monika den von Bauland-, Käseschachtelfabrik- und allen möglichen anderen Affären gebeutelten Münchner CSU-Bezirk, der zuletzt innerhalb ein paar Wochen drei OB-Kandidaturkandidaten verschlissen hatte, auf Vordermann bringen. Klappte zunächst recht gut: der am Ende tatsächliche OB-Kandidat Podiuk („Mit Sicherheit ein gutes Gefühl“) wurde von dem Schwarm von „Hoffnungsträgern“, der um die Hohlmeier herumscharwenzelte, mittels gekaufter Neumitglieder aus dem Amt geputscht. Leider aber flog der Schwindel auf, die Baretti-Graber-Haedke-Clique landete vor Gericht (einer davon war kurz zuvor bereits wegen der Krankenhaus-Affäre verurteilt worden), täglich hagelte es neue Geständnisse und Enthüllungen, und endlich mußte Monika Hohlmeier wegen „Arbeitsüberlastung“ das Handtuch werfen.

Sie war ja auch noch Kultusministerin, wie ihr jetzt plötzlich einfiel, und schon fiel anderen ein und auf, daß sie in dieser Funktion ihren Beamtenapparat angewiesen hatte, Parteitätigkeiten zu übernehmen, zu denen sie selber weder Zeit noch Lust hatte – und wenn es bloß darum ging, die Schulleiterin der Tochter ihres privaten Rechtsanwalts zusammenzupfeifen, weil die sich weigerte, das Zeugnis der Tochter per Fax zu übermitteln. Kaum fällt in all dem Gewirbel noch auf, daß zwischendurch auch der Schatzmeister Ralph Burkei zurücktritt, der erwähnte Schulkamerad, der sich schon als Gymnasiast durch entschiedenes publizistisches Eintreten für den Münchner CSU-OB-Kandidaten Kiesl (mittlerweile in Sachen Baulandaffäre verurteilt) und Rudolf Heß hervortat und späterhin wie Franz Georg Strauß von des alten „Archonten“ (H. Rosendorfer) entschiedenem politischen Einsatz für ein privates Fernsehen profitierte, indem er einen noch zwielichtigeren Sender als dieser gründete (Camp TV). Die Namen Gauweiler (Spelunkenaffäre, Kanzleiaffäre, Sondermüllaffäre), Zimmermann (Krankenhausaffäre), Wolf (Terror-Plakat-Affäre), Traublinger et al. haben wir noch gar nicht erwähnt; es sei hiermit getan. Platz für eingehende Würdigung böten, wie gesagt, nur Bände.

Immerhin der Edmund hat sein Teil gelernt: „Ich verurteile diese Machenschaften“, tönte er beim „Sommerinterview“ der ARD. „Teilweise“ verurteile er sogar „auch diese kriminellen Taten.“ Doch solle man bedenken: „Hohlmeier ist eine junge Frau. Sie hat sicherlich in der Schwierigkeit des Bezirksverbands München Fehler gemacht.“ Indes: „Ich sage noch einmal: Das gehört auch zum politischen Anstand, wenn jemand einen Fehler gemacht hat und er räumt diesen Fehler ein, dann sollte man ihm selbstverständlich eine zweite Chance geben.“ Und, wie eh und je (wie 1994, als Stoiber verlauten ließ, Eduard Zwick, auf dessen Kosten er 1982 in Cannes den Strauß-Geburtstag gefeiert hatte, kenne er „gar nicht“; und wie damals, als er zum Straußschen „Ratten und Schmeißfligen“-Zitat vollmundig „stand“, obwohl er „dies nicht gehört“ haben wollte): vergessen, vergessen, vergessen. Hohlmeier ist für Stoiber „bei den eingeleiteten Reformen ein Garant, daß sie Bayern an der Spitze hält“. Und darum und weil man ja nicht wissen kann, was da in den diversen Dossiers noch so alles drinsteht, gilt wie stets das Stoibersche Grundwort: „Ich glaube, daß man jetzt nach vorne schauen soll.“

geschrieben im Juli 2004 als Beitrag zu einem gemeinsamen Artikel (mit Jürgen Roth) über die Strauß-Familie, der in KONKRET 9/2004 unter dem Titel „Dynastiendämmerung“ erschien

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