Frisch gepreßt #343: Giorgio Moroder „Deja-vu“

 

Eine liebe Freundin hat ein großes Faible für die … hm, Discokultur. Zumindest dachte ich das, denn mit einer entsprechenden Playlist kann man fast jederzeit zuverlässig ihr Herz in (diskrete) Jauchzlaune versetzen: „MacArtuhr Park“, „Son Of My Father“, „Hot Stuff“, „No 1 In Heaven“, „Call Me“, „Life In Tokyo“, „I Feel Love“ könnten dabei sein, und wir können uns die Aufzählung der Interpreten eigentlich sparen; es genügt, den Mann dahinter zu … hm, kennen (Erklärung folgt).

Neulich erzählte ich ihr, es gebe ein neues Album von Giorgio Moroder. Gesicht: Ja, und? Da möchte man spontan am Musikunterricht bayerischer Schulen verzweifeln – andererseits: ein drittes Hm (Erklärung folgt).
Giorgio Moroder. 1940 in einem Ort geboren, der ein Bandname sein könnte, ungefähr westrumänische Dudelsackavantgarde oder irgendwas Spirituelles aus den Hochanden: Urtijëi. Ist aber Südtirol, ganz banal und vielleicht typisch. Und heißen tut er eigentlich Hansjörg, steht vielleicht sogar auf einem seiner Oscars und Grammys drauf; die Amis sind da ja manchmal sehr genau.

Und dann: hat er Musik erfunden. Von der man (eben: hm) behaupten könnte (und manche tun das), sie sei gar keine Musik, sondern … eine Art Rohrreinigungsgerät, mit dem man das Gehör eines Menschen von sämtlichen Anhaftungen von Geschmack, Gespür und Emotion reinigen, das Hirn paralysieren und das Zentrum, das für unkontrolliertes Tanzzucken zuständig ist, direkt stimulieren kann. Wohlmeinende sagen: Dancepop, Synthpop, Cyberpop, HI NRG oder zusammenfassend: Disco. Was als Begriff daher kommt, wo es stattfindet.

Wenn man dann doch mal einen Namen nennt (Donna Summer) und ein sekundenkurzes Zippzappgeräusch mit Stöhnen macht, ist zumindest für Experten alles klar und die Sonne der musikalischen Kultur hinter den Bergen des Wahnsinns versunken. Wer auch immer seit 1977 als Musiker (oder „Musiker“) an Moroder (engl. „marauder“ = der wüste Plünderer; sicher ein Zufall) geriet, war danach nicht mehr er selbst – oder von vornherein nicht: Japan, Sparks, Blondie, Irene Cara, Limahl, Berlin, Sigue Sigue Sputnik … eine(r) nach dem anderen in androidische Knallfrösche verwandelt; eine Endlosspur von Zippzapp zieht sich durch die 80er und – historisch gesprochen – die „langen“ 80er, die nie enden. Oder vorläufig bei Daft Punk („Giorgio By Moroder“ – Grammy Nummer vier, übrigens).

Aber: Moroder zu kennen (und in einem Satz zu erläutern) ist fast unmöglich. In Wirklichkeit ist er ja gar nicht der VW-Porsche der europäischen Großstadtbeschallung, sondern ein überaus angesehener Filmmusikproduzent: „Midnight Express“, „American Gigolo“, „Cat People“, „Scarface“, „Flashdance“, „Never Ending Story“, „Top Gun“ … dass er den letzten Film von Leni Riefenstahl vertont hat, verbuchen wir unter dem Stichwort „Abseitigkeiten“, wo ja möglicherweise sein ganzes Gesamtwerk hineingehört.

Und dann gibt es noch den Moroder, der unter und in eigenem Namen noch wesentlich abseitigere … hm, Sachen gemacht hat, „Looky Looky“ (auf seinem Debütalbum „That’s Bubblegum, 1969) und „Einzelgänger“ (1975) zum Beispiel, wo Tracks wie „Aus“, „Basslich“ und „Untergang“ drauf waren. Beides super Geschenke für Menschen, deren Haare nur noch unter extremen Bedingungen zu Berge stehen: Hier häutet sich die härteste Gans.
Giorgio also. Der GANZ andere. Den niemand je verstanden hat und keiner je verstehen wird. Tausendmal gesampelt, hundertmal verlacht, die Verkörperung des kalifornischen Irrwahns in einem Tiroler Buben aus einem 4000-Seelen-Dörflein. Übrigens auch Hersteller eines Autos, das aussieht, wie seine Platten klingen (googelt mal nach „Cizeta V16T“). Der Mann, für den man den Begriff „Kult“ erfunden hat.

Ein neues Album? Mit 75? Aber klar. Moroder ist nicht sterblich, er klingt auf ewig nach Moroder und wird noch die Eröffnung der ersten Diskothek im Andromedanebel beschallen. Dabei sind Kylie Minogue, Kelis, Sia, Britney Spears, Mikky Ekko, Rayney Shockne, Charli XCX und einige andere, aber egal, weil es die alle ohne ihn sowieso nicht gäbe.

Moroder? Ja, versucht mal, ihn zu begreifen, hi hi. Und dann: Gehirn ausschalten.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

 

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