Reisen im Regal (18)

„Herrlich, diese breiten Straßen“, dachte Herr Nonsens, während er durch ein Villenviertel mit parkartigen Anlagen fuhr, „keine Bodenwelle, kein Schlagloch, da lobe ich mir das Fahren, und die Zeit vergeht wie nichts im Nu.“ Nach einigen Kilometern gaben Schilder die Anweisung, bestimmte Fahrbahnen zu benutzen, und es erwies sich, daß gewisse Fahrbahnen fortfielen, die Straße schmaler wurde und bald noch schmaler werden würde, wie neue Schilder anzeigten – nun noch schmaler geworden war.
Peter O. Chotjewitz: Unerschütterlich (1964)

„Es ist nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen ist, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. (…) Dazu war es notwendig, nicht nur die Gewalt als solche zu propagieren, sondern dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Ereignisse so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien beginnt.“
Adolf Hitler: Rede vor der deutschen Presse (10. November 1938)

Sie waren einander gute Kameraden, denn Banford war bei aller Zartheit und Empfindlichkeit warmherzig und March bei all ihrer Selbstversunkenheit überaus gutmütig; aber dennoch gab es in diesem Leben der Einsamkeit zwischen ihnen auch Gereiztheiten und Überdruß. Auf March lasteten vier Fünftel aller Arbeit und kein Ausspannen, und das konnte in ihren Augen ein fremdes Flimmern aufsteigen lassen.
D. H. Lawrence: Der Fuchs (1923)

„Deine Bemerkungen sind uns wurscht“, sagte Chantal.
„Mir hängt der Magen schon auf den Fersen“, sagte Julia.
„Ich hätte die Färsen lieber im Magen“, schloß die dritte Frau unheilverkündend.
Raymond Queneau: Sonntag des Lebens (1952)

„In diesem gemeinsamen Kampf um die gemeinsame Existenz müssen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft zurücktreten und muss die Pflicht lebendig werden, die gemeinsame Front zu bilden gegenüber dem roten Weltfeind.“
Völkischer Beobachter, 16. Juni 1937

Hier liegen auch die Grenzen der Diffamierung: der Diffamierte muß mitspielen. Diffamiert man ihn zu stark oder zu lange, so setzt man sich der Gefahr aus, daß er der Rolle des Diffamierten die des Freudig-Infamen vorzieht, daß er den Vorteil der Infamie entdeckt, ihre Genüsse, ihre Macht. Das ist der Austritt aus der Situation. Die gesellschaftlichen Requisiten verschwinden und werden durch stärkere ersetzt.
Ernst Jünger: Sgraffiti (Provokation und Replik) (1960)

Als sein Schiff am Untergehen war, machte sich ein spanischer Soldat daran, ein Stückchen Brot zu essen, und sagte dabei: Menester comer un poquito, para beer tanto [Man muß ein bißchen essen, um so viel trinken zu können.]
Tallemant des Réaux: Geschichten von Sterbenden (ca. 1658)

So stand ich da, neben dem Haus, eine etwas alberne Stelle zum Stehenbleiben. Doch als es anfing zu regnen, stand ich noch immer da. Blitze blendeten den Himmel, Donnerschläge spalteten die Erde, der Regen lief mir übers Gesicht, und wenn mich jetzt jemand gefragt hätte, wie ich mich fühlte, hätte ich gesagt: großartig. Etwas, das ich nicht ganz ergründen konnte, störte mich, aber das machte mir nichts aus, das würde schon in Ordnung kommen, denn was es auch war, es hatte mit mir zu tun und mit niemandem sonst.
Koos van Zomeren: Das Mädchen im Moor (1996)

Komma hatte Oswald Spengler gelesen. Auch Theodor Haecker, Romano Guardini, den Rembrandtdeutschen, Hitlers Mein Kampf. Letzteren nur in Auswahl. Interessant die Passagen über die Versammlungsregie. Fahnen, Farben, das mystische Dunkel des Abends. Wie in katholischen Kirchen! Es wirkte!
Winfried Zehetmeier: Taubenjagd (1984)

Antworten kommen von fern, Zeichen unvermuteter Bündnisse. Abstammungslinien lassen sich nicht verfolgen. Ähren erheben sich aus Körnern, die ich nicht gesät habe. Auf dem Felde meines Bewußtseins gibt es seltsame, unvorhersehbare Resonanzen.
Augenblicks-Spitzen durchbrechen taub Ausgebreitetes. Erhebungen erscheinen, die nicht so wichtig sind wie Vertiefungen. Faszinierende Interessenzentren, die nichts weiter sind als Spiegelungen. Auf dem Felde meines Bewußtseins bildet die aus zurückgewiesenen Ideen gezogene Energie ein Zentrum vor allen Zentren.
Henri Michaux: Wind und Staub (1962)

Wenn ein Fremder ins Zimmer tritt, kreuze ich unwillkürlich die Arme über der Brust, und anstatt ihn auf die übliche Art zu grüßen, verbeuge ich mich tief.
Die anderen Wäscherinnen lachen und glauben, ich äffe eine Nonne nach; aber sie können unmöglich lange in diesem Irrtum befangen bleiben; meine Unbesonnenheit wird mich verraten, und dann bin ich verloren.
Denis Diderot: Die Nonne (ca. 1780)

He liked to get his verses off quickly so that there should be no apparent sign of effort on his part.
Muriel Spark: The Mandelbaum Gate (1965)

Die Lehre vom goldenen Mittelweg ist recht reizlos, und ich entsinne mich genau, daß ich sie in meiner Jugend verächtlich und empört zurückwies, weil ich in jenen Tagen nur heroische Extreme bewundern mochte.
Bertrand Russell: Eroberung des Glücks (1930)

Welch ein Schrecken, die Welt mit einem Mal so voller Details zu sehen und in voller Schärfe! Wo sie doch in ihrer milchigen Entrücktheit stets so angenehm unverbindlich gewesen war; Schepp hatte ja nichts vermißt.
Matthias Politycki: Jenseitsnovelle (2009)

In jenem Augenblick empfand ich genau die Schwäche meines Charakters und seine Mischung aus Unfähigkeit, Krankhaftigkeit und Selbstsucht, und ich lehnte mich nicht länger dagegen auf. Ich ahnte, daß ich nach dieser Nacht ein wesentlich bescheidenerer Mensch sein würde und daß ich mich, wenn auch nicht gerade ändern, so doch zumindest erziehen könnte; denn in dieser Nacht hatte ich mehr über mich gelernt als in all meinen bisherigen Lebensjahren. Das beruhigte mich.
Alberto Moravia: Leda Baldoni und der Fremde (1949)

Römer findet man hier nicht (Eintritt elf Euro), dafür aber eine Unzahl von Bustouristen, die meistens matt von ihrem nur wenige Stunden währenden Rombesuch (Katakomben, Sankt Peter, Colosseum, Forum, Palatin) wie zu Tode Erschöpfte auf die Wiesen sinken und als vorübergehende Tourismusleichen das Bild bestimmen. Das vorherrschende Geräusch ist nicht das leise Wiegen der Blätter, wie es sein könnte, sondern das der knipsenden Kameras, denn kaum sind die Touristen aus ihrer Ermattung wiederauferstanden, beginnen sie zu fotografieren, als gälte es ein Leben.
Christine Büchner & Andreas Maier: Römische Gärten (2006)

Ich ergriff Partei für den vegetierenden Schwachsinn. Ich mischte mich vernichtend, nicht regulierend, nicht bestätigend, in den Haushalt der Natur ein.
Peter Jokostra: Herzinfarkt (1961)

Es gibt keinen Menschen, der eine Idee verkörpert – und wenn es doch einen gibt, dann ist das kein Mensch.
Gunter Groll: Lichter und Schatten (1956)

I cannot convey the sense of abominable desolation that hung over the world.
H. G. Wells: The Time Machine (1895)

Eine Antwort auf „Reisen im Regal (18)“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert