Das allerwichtigste und superste an dem, was man einst „Leben“ nannte und heute „Wirtschaft“ nennt, gewissermaßen also das, was das Existieren überhaupt erst coolomat macht, ist die „Innovation“. Man möchte meinen, man wisse das ja schon: Es muß sich halt alles ab und zu erneuern, weil es alt und stinkig geworden ist. Falsch gedacht: „Innovation“ heißt nicht Erneuerung, sondern im Gegenteil Altundstinkigmachung. Zum Beispiel: Wenn das Bier aus ist, holt man ein neues. Das ist keine Innovation. Wenn man hingegen das Bier im Kühlschrank ignoriert und sich dafür was GANZ NEUES, nämlich ein innovatives, von einer Horde ekstatisch in der Gegend herumzappelnder Volltrottel in Reklamespots „vorgestelltes“ Industriezucker-Kunstaroma-Blubberlutsch mit angeblich zellerneuernden oder sonstwie dynamisierenden „Wirkstoffen“ und mordspeppigen Neonfarben usw. reintut und sich dabei topfit und fittop fühlt – dann wird das Bier im Kühlschrank sauer und zehn Jahre später hat man Krebs oder schaut aus wie ein amerikanischer Großstadt-Whopper und weiß nicht warum. Das ist eine Innovation.
Die meisten neuen Sachen kauft man sich, weil man die alten so gerne gemocht hat, einen bestimmten Käse zum Beispiel, eine Lieblingsjeans oder ein neues Buch von Urs Widmer. Innovationen kauft man sich aus anderen Gründen. Kein Mensch denkt zum Beispiel auch nur mit der geringsten nostalgischen Wehmut an Windows 3.1 zurück. Und trotzdem rennen alle los und holen sich in immer kürzeren Abständen ein neues Windows, obwohl jeder weiß, daß es garantiert noch überkandidelter, unpraktischer, restriktiver, hinterhältiger, mit noch mehr nutzlosem Kram aufgemotzt und noch schneller überholt ist als das alte und mindestens das Zehnfache an Speicherplatz frißt. Das macht ja auch gar nichts, weil es ein Gesetz gibt, nach dem sich die „Leistung“ des Computers alle zwei Jahre verdoppelt. (Steht der Computer dann zu Hause, wird er jedes halbe Jahr um die Hälfte langsamer, aber das ist eine andere Geschichte.)
Auch alles andere, was innoviert wird, verdoppelt und halbiert sich mit exponentiell steigendem Tempo. Das Stadion an der Grünwalder Straße war fast siebzig Jahre lang mehr als gut genug, das Olympiastadion ertrug man knapp halb so lange, und das neue Stadion ist zwar erst in achtundneunzig Jahren abbezahlt, aber ich gehe jede Wette ein, daß es spätestens 2020 nicht mehr für Fußball benützt und wahrscheinlich längst abgerissen sein wird. Ebenso braucht Bayern selbstverständlich einen Transrapid, denn während man vor hundert Jahren drei Stunden von München bis zum Flughafen brauchte (den es noch gar nicht gab), braucht man heute eine Dreiviertelstunde und mit dem Transrapid nur noch eine halbe, was jede Sozialleistungskürzung und jedes verhungerte Kind dieser Welt wert ist – nicht wegen der paar Minuten, die der Entscheidungsträger dann früher in der VIP-Lounge sitzt und sein „Begrüßungsgetränk“ verzehren kann, sondern damit die Kette der Innovationen nicht abreißt. Es ist abzusehen: In zwanzig Jahren ist der Wirtschaftsfaschist in einer Minute am Flughafen, in vierzig Jahren wird die Fahrt eine Sekunde dauern, in hundert Jahren wird er schon wieder „zu Hause“ an seinem Geldschöpfungsterminal sitzen, bevor er überhaupt losfahren kann, denn er hat keine Zeit mehr für so was, weil er sich alle fünf Minuten einen neuen Sportwagen kaufen muß. Und in hundertzwanzig Jahren? und in hundertvierzig? und in hundertsiebzig? Fährt die Trambahn dann in einer Hundertstelsekunde vom Kurfürstenplatz nach Wladiwostok? Selbstverständlich nicht, denn Menschen, die Trambahn fahren, sind von der Innovier-Raserei weitgehend ausgeschlossen: In Wladiwostok haben sie nichts verloren, und ein paar Minuten sind ihnen egal. Sie werden zu Fuß gehen, denn ein öffentliches Verkehrsnetz kann sich eine innovative Gesellschaftsfirma nur leisten, wenn es sich ultramordsmäßig rentiert und so lange die Investierkohle nicht für Innovationen gebraucht wird, und irgendwann wird das ganze Geld, das die Nutznießer des Innovier-Wahns nicht privat gebunkert haben, dafür gebraucht werden und immer noch nicht reichen.
Die Sucht nach neuen „Innovationen“ (womit eigentlich immer Produkte gemeint sind und nie etwas Gescheites) ist eine Folge des Überdrusses, den die alten „Innovationen“ immer schneller auslösen. Irgendwann kommt man an den Punkt, wo man mit dem Innovieren kaum mehr nachkommt: in eine „Krise“. Dann fängt der moderne Mensch an, auch die Dinge zu innovieren, die (manchmal noch) keine Produkte sind: Er „definiert“ oder „orientiert sich neu“, „wirft Ballast ab“, „über Bord“ oder sonst wohin, kauft sich neue Pappmöbel und ein neues Outfit, wird womöglich eine „Ich-AG“ und sucht sich im Sinnsupermarkt alle paar Tage ein neues „Weltbild“ und neue „Überzeugungen“, die natürlich ebenfalls bloß erstens Produkte und zweitens auch noch Innovationen sind, das heißt: die nach immer kürzeren „Halbwertszeiten“ Ekel auslösen und zur Anschaffung von Ersatz zwingen.
„Neue Menschen“ entstehen dadurch nicht, denn, wie gesagt, Innovieren meint und bewirkt das Gegenteil. Am Ende rotieren dann alle alt und stinkig in einem zerklumpten Schrotthaufen herum und haben keine Zeit mehr, sich zu fragen, ob da nicht irgendwann irgendwas war, was man auf diesem Planeten und mit diesem Leben wollte. Macht nichts: Auch das geht vorbei.
(Anmerkung: Dieser Text entstand am 29. Januar 2003 und ist etwa eine Woche später gedruckt erschienen. Der Anlaß für seine Wiederauffindung war mein aktuelles Video zur Frage, ob und warum ich konservativ bin.)
Ja – also ja! .. :*)
Und da im Youtube..
„Wir“ haben uns zu Maschinenbedienern degradiert (entfremdet – weil hoch flexibel) und aktuell keine Aussicht auf „Erlösung“. Wer da raus will ist nicht konservativ (oder progressiv – ganz wurscht) sondern „wirtschaftsfeindlich“. Diese simplen industriellen Skalierungs-/Effizienzlogiken dominieren das Leben, organisieren dieses kuratierte „Leben“ in bequemer Kontinuität. Kein Teilnehmer in diesem Kreislauf sein zu müssen – ergo: auch kein Konsument – muß man sich auch leisten können (letztlich kreditiert) in dieser ausdifferenziert arbeitsteiligen Gesellschaft, in diesem „gelebten“ Entwurf.
Wechselwirkungen von z.B: Profiten/Wettbewerben versus Verantwortungsdiffusion/Umweltbelastung, dialektisch synthetisiert, in „Fraktale“ eines persönlichen Zieles/Traumes von „Abwesenheit einer Industrie“ (im privaten „Feld“) ist nur eine kultivierte Dissoziation – eine Absurdität! ..und doch auch nur eine von vielen.. ;*)
ich habe mir in den 80er Jahren in Italien eine handbetriebene Kaffeemühle gekauft. Groß, schwer, mit einem Schwungrad. Nun sind die antreibenden Zahnradteile verschlissen. Ich schrieb die Firma an, wollte diesen beiden Teile neu erwerben. Hat man mir nicht verkauft, sondern gemeint, daß ich bei „es gibt sie noch, die guten alten Dinge“ diese Kaffeemühle brandneu erwerben könne…. Hier in Perm fand ich eine Lösung. Die haben diese Zahnräder erstmal mittels 3D-Drucker aus Plastik und dann neu aus Stahl hergestellt. Ohne großes Brimborium, exakter arbeitend als das Original. Versuch mal, in Europa ein solches kreativ konservatives Verständnis zu finden. Wenn Du es findest, wird der Gefundene beinahe sicher ein Nazi sein. Noch was: ist widerwilliges GEZ-Bezahlen „konservativ“ oder einfach nur feige? Gruß aus dem Ural
Das ist schön; aber „Nazi“ sind ja schon die „Esgibtsienoch“-Leute, hört man. Meine Kaffeemühle (Dienes Mokka 88, circa 1958 und ohne „HH-Bezug“) geht zum Glück noch fehlerfrei. Ansonsten könnte mir der Schlosser im Hof sicher helfen.
GEZ bezahlt hier aber niemand mehr, weder willig noch wider.
Die GEZ-Gebühr ist wie ein Zeck am Bein.
Ob man diesen Zeck toleriert?
Hängt davon ab, wieviele sonstige Zecken man mit sich herumschleppt (z.B. mRNA-Impfungen, Klimavogel oder einen Ukraine-Wuscher). Wenn man zu viele Zecken an sich saugen lässt, wird’s natürlich kritisch.
Moin!
Erst dachte ich, dieses Wort, Coolomat, das gab es doch nicht, bevor die kreative Frau an meiner Seite es ca. 2018 für unsere private Kommunikation erfand. Jetzt lese ich es hier, in Ihrem Text aus dem Jahr 2003. Doch dann fiel mir auf, die Frau erfand ja 2018 „Coolamat“ und das ist dann doch schon ziemlich coolomat und etwas völlig anderes (oder auch nicht).
Meine Großmutter hatte mal eine Moulinex zur Kaffeemahlung, weiß/orange, GEZ-Gebühren zahlte die dafür aber nicht, die zahlte sie eher für den Loewe…
besten gruß ausm Norden
detlef
Echte Innovation wäre mit Querdenken verbunden.
Und das ist in marktkonformer Impfrepublik Täuschland bekanntlich streng verboten.
Ergo: Gibt’s nur Käse.