Belästigungen 19/2020: Revolution? Ja mei … (Herzlich willkommen in der neuen Steinzeit!)

In letzter Zeit hört man viel Gemunkel: „Lange geht das nicht mehr! Die lassen sich das nicht mehr gefallen! Wir auch nicht! Da gibt es Widerstand! Revolten! Aufstände!“

Gemeint ist mit dem, was „die“ (und dann angeblich auch „wir“) sich nicht mehr gefallen lassen, selbstverständlich die „Corona-Maßnahmen“, die ein halbes Jahr nach dem Ende der Grippewelle weiterhin gelten und weiterhin verschärft werden, sich aber für jeden anders darstellen:

Dem einen tut die Abschaffung diverser Grundrechte und der demokratischen Gewaltenteilung moralisch weh, der zweite beklagt das Ende der bayerischen Wirtshauskultur, der dritte findet überhaupt keine Kultur mehr. Der vierte ist selber „Kulturschaffender“ (also prekärer Künstler) und seit Monaten ohne jegliches Einkommen, dem fünften schwillt der Nazißmuskamm, weil er seit Monaten sein hübsches Gesicht nicht mal mehr dem One-Night-Stand zeigen darf.

Der sechste ist alt (oder belesen) genug, um Notstands- und Ermächtigungsgesetzen generell zu mißtrauen, der siebte fühlt ein diffuses Unbehagen angesichts ganztägig dröhnender Überwachungshubschrauber und allgegenwärtiger Polizeiaufsicht, der achte wünscht das ganze Verweigererpack zum Teufel und möchte endlich wieder ein sauberes, geordnetes Teutschland herbeiführen, in dem man in Reih und Glied spazierengeht und Abweichler aussondert.

Und daraus soll nun also irgendwann ein Aufstand oder eine Revolte entstehen? Ich fürchte: nö.

Was passiert, ist: daß sich ein paar hunderttausend Leute ab und zu in Berlin versammeln, wahlweise bunte und reichsdeutsche Fahnen schwenken und in jede Kamera, die sie finden, hineinsagen, sie seien „total unpolitisch“ und „weder links noch rechts“. Derweil inszenieren die Geheimdienste ein paar hundert Meter weiter einen „Sturm auf den Reichstag“ – und zwar so erbärmlich und lächerlich, daß auch der letzte vertrottelte „Tagesschau“-Junkie kapiert: Das ist Quatsch.

Fragt man die V-Nazis, was sie eigentlich wollen, stammeln sie herum. Fragt man die aufrichtigen Demonstranten auf der anderen Seite, was sie eigentlich wollen, stammeln sie ebenfalls herum. Fragt man die „Tagesschau“-Junkies, was sie eigentlich wollen, können sie mit Müh und Not gerade noch herumstammeln, aber im Grunde wollen alle das gleiche: ihre Ruhe.

Das ist kein historischer Zufall, sondern weltgeschichtlich recht leicht zu erklären: Das Zeitalter der Revolten, der Hoffnung auf eine Wendung zum besseren durch aktiven Einsatz von Hirn- und Muskelkraft ist vorläufig vorbei. Für die nächsten fünfhundert Jahre, täte ich mal sagen.

Weil wir uns wohl damit abfinden müssen, daß das mit dreihundert Jahren relativ kurze Zeitalter der Aufklärung und das mit zweitausend Jahren relativ lange Zeitalter der Emanzipation des Menschen – je nach Geschmack – versickert, verglommen, überwunden oder halt einfach evolutionär am Ende sind. Zweitausend Jahre lang hat man dem Menschen beigebracht, er sei Gottes Ebenbild und deshalb ein freies Wesen. Dreihundert Jahre lang hat man dem Menschen beigebracht, er sei jetzt auch frei von Gott und deshalb noch viel freier und absolut gleich vor dem Gesetz.

Zur Erinnerung: Davor war das anders. Da war der Mensch ein hilfloses Opfer, irrte herum auf einem wirren Planeten und versuchte, sich einigermaßen einzurichten, war aber dem Wüten der Natur – eben – hilf- und wehrlos ausgesetzt. Das Wüten der Natur schrieb er den Göttern zu, die halt nun mal ein heillos zerstrittener Haufen waren und die der Mensch nicht sonderlich interessierte. Den zerschmetterten, zerbröselten und zerrieben sie nach Belieben, quälten ihn zum Zeitvertreib mit Tantalusqualen oder ließen ihn Felsbrocken den Berg hinaufrollen, die dann gleich wieder herunterrollten. So war sie halt, die Natur. Kundige Priester, immerhin, erdachten Rituale, um die Götter mit Opfern zeitweilig zu besänftigen. War das Opfer nicht genug, mußte ein wertvolleres her, notfalls der eigene Sohn oder man selbst.

Dann hob der Mensch sein Händchen und begehrte auf. Er wähnte, es müsse nicht immer so bleiben, daß alles ewig hoffnungslos im Kreis sich dreht und regelmäßig im Abgrund landet, daß irgendwelche wilden Gottheiten nach Gutdünken Seuchen, Blutfluß und sonstigen Schabernack in die Welt streuen und dem Menschen seine Existenz zum selbsterlebten Horrorfilm machen.

Daß sich nicht mehr alles im blödsinnigen, unberechenbaren Kreis der Verhängnisse drehte, hieß auch: Es gab plötzlich eine Zukunft, die man sogar selber herbeiführen konnte! Man machte sich Gedanken, fing an zu planen, erhoffte ferne Erlösungen und „neue Menschen“ im Diesseits – und zettelte Umstürze, Revolten und ganze Revolutionen an, weil man dachte, die Welt sei so, wie sie ist, nur deswegen, weil man nicht genug dafür tue, daß sie anders werde. Abermillionen strebten plötzlich einer leuchtenden Zukunft entgegen. Freiheit! Brüderlichkeit! Gleichheit! Menschlichkeit! Vernunft!

Tja, Pech gehabt. Je rationaler man die Welt betrachtete, desto unheimlicher wurde sie plötzlich. Vor allem: je dicker die Rauchwolken der Industrie und der Bombentestungen wurden, je mehr die unbegreiflichen Geldschwemmen anschwollen, je mehr insbesondere die schiere Zahl der Menschen selbst anschwoll, desto gruseliger wurde alles. Mag sein, daß bei einer Gesamtbevölkerung von einer Milliarde die individuelle Würde noch eine Rolle spielte. Bei zwei Milliarden verwandelte sie sich durch eine vordem nicht einmal denkbare Ausbeutungs- und Tötungsindustrie in Arbeitskraft und Seife. Bei fünf Milliarden war nicht einmal mehr ein Vernichtungsmechanismus nötig: Unvorstellbare Menschenmassen verschufteten ihre Lebensspanne, um strahlende Heroen der Historie mit unvorstellbaren Massen an nicht mehr verwertbarem Reichtum zuzuschaufeln. Ohne an die eigene Würde, die eigene Verfügung über die eigene Lebenszeit auch nur zu denken.

Jetzt sind wir bei acht Milliarden. Und stellen plötzlich fest, daß der Gedanke, der Mensch könne Gottes Ebenbild sein, er könne sich „befreien“, zu einer „Vernunft“ kommen und in deren Glanz aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit treten, ein absoluter Blödsinn oder wenigstens längst vergessen ist.

Wir sind wieder da, wo wir vor zweitausend Jahren waren: Die Welt ist ein undurchschaubares Affentheater unberechenbarer Naturgewalten, deren Wüten wir hilflos ausgesetzt sind. Die Götter sind weg, an ihre Stelle sind Zahlen getreten. „Fallzahlen“, Wählerzahlen, Totenzahlen nach Naturkatastrophen, Konsumentenströme, was auch immer. Gelegentlich gibt es Gemurre, aber niemand weiß so recht: gegen was? Was genau wollten eigentlich die Leute in der DDR? in der Ukraine? in Rumänien? in Libyen? Was wollen die in Hongkong? in Syrien? in Weißrußland? (außer „mehr Demokratie“, also: mehr Konsum)?

Richtig: nichts. Wollten sie überhaupt jemals was, bevor das „Demokratie“-Geschwätz anfing? Und wollen sie die „Demokratie“ jetzt immer noch, wo sie doch in den Staaten, an denen sie sich orientierten, ausgesetzt ist, weil sonst der „Virus“ jeden einzelnen der gerade erst zum Konsum Befreiten umbringt?

Über all dem Weltgetöse nämlich dräut der „Virus“, der jederzeit mit einem Fingerschnippen alles auslöschen kann, und seine Priester – hilflos schwitzende, heillos überforderte Gestalten wie Drosten, Wieler, Spahn und Söder – werden nicht müde, der wehrlos zuckenden Menschenmadenbrut einzuhämmern, daß Opfer gebracht werden müssen, um ihn zu besänftigen. Notfalls das eigene Kind, notfalls man selbst.

Da leben wir jetzt: im neuen mythologischen Zeitalter. Aus ist’s mit der Ebenbildigkeit, der Ebenbürtigkeit, mit der Gottgleichheit, der Vernunft, dem Verstand, dem Fortschrittsglauben, dem Austreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, in die gerade so viele Menschen wieder eintreten wie nie zuvor, weil es nie zuvor so viele Menschen gab.

Der nächste Schritt zurück wird ein ganz großer sein, aber es wird nur ein Schritt sein: zurück in den Ameisenhaufen. Adieu Persönlichkeit, adieu Mensch.

Ach so, was das alles mit Aufbegehren, Widerstand und Revolte zu tun hat?

Nun ja, das fragt ihr euch am besten selbst.

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