Aus dem tiefen Archiv: Der Klofrau Spende & Barzels Hände (Bayerischer Filmpreis 2002)

Der Kinofilm ist, unbestritten, ein Kulturgut. Um seine Bedeutung als ein solches „herauszustellen”, ist der Bayerische Filmpreis mit insgesamt 800.000 Euro dotiert – in kargen Zeiten ein erkleckliches Sümmchen, daher auch eine der begehrtesten Auszeichnungen ihrer Art in Deutschland. Wenn ein Kulturgut, das uns manch netten Abend beschert, derart reich bedacht wird, da möchte man schon wissen, wie hoch die Dividende ausfallen wird für unsereinen, der schließlich dafür aufkommt.

So findet, wer sich nicht von scheinbar wegweisenden Fahnen ins U-Bahn-Untergeschoß lotsen ließ, sich im strahlend illuminierten Innenhof der Residenz und staunt. Im Halbminutentakt hurren Limousinen heran, denen Wichtigkeit entsteigt, bisweilen auch sich entquält, festgezurrt an tragbare Kegel aus grellem Licht und sofort per Kabel ins Land versendet. Sieh da, Bernd Eichinger schenkt uns abseits der Glamour-Staubsauger ein klirrendes Sekundenlächeln, doch nein: Es galt seiner Gespielin.

Freundlich winkt die hilfsbereite Polizei, während manch hauptberuflicher TV-Ermittler ganz incognito daherschlendert, nur mit den Schuhsohlen ein paar Splitter vom Lichtmantel des Herrn Ferency aufsammelnd, der selbst umgehend verblaßt, als ein winziger Roman Polanski dem Gefährt entsteigt, auf einen Schlag umschwirrt vom Fliegenschwarm der Bildersammler – denn man hat bereits gegen Mittag vertraulich erfahren: “Der polnisch-französische Regisseur ist mit dem diesjährigen Ehrenpreis ausgezeichnet worden.”

Drinnen im Foyer des Cuvillies-Theater barockt es, daß die Schwarte kracht; Rainer Barzel schaut verdrossen, Edmund Stoiber stapft entschlossen; man ist allgemein geschwollen und speziell gestrüppt, und selber aneuphorisiert schiebt und schaufelt man sich durch Dünen von Menschen und eine Wolke der Begeisterung, die stellenweise in Hysterie ausartet (wenn etwa Heike Makatsch beim Rundumlächeln eine Kamera übersehen hat), hinein ins Theater selbst, wo Herr Polanski schon vorab einen brausenden Applaus erntet, von dem auch für den Ministerpräsidenten ein (seltsam verhaltenes) Scherflein abfällt.

Dann nimmt der sendegerecht organisierte Abend seinen Lauf. Frau Makatsch lobt ihren Nachfolger, den erwählten Nachwuchsdarsteller Barnaby Metschurat. Der dankt kurz und flapsig, wie man’s heut so hält im Filmgeschäft – da mag Herr Barzel (Reihe 3) nicht recht klatschen. Auch bei Sönke Wortmann, der den ausgezeichneten Nachwuchsregisseur Chris Kraus vorstellt, bleiben seine Hände ruhig. Dafür plärrt, als Wortmann die kürzliche Geburt seiner Zwillinge verkündet, hinten Jürgen Vogel los, der gleich darauf prominent auch zu sehen ist als Hauptdarsteller in Kraus‘ “Scherbentanz”. Das nun gefällt Herrn Barzel: Wir zählen generöse fünfzehn Handklapps in vier Abteilungen.

Dann ist Promopause; die Popdarsteller Wonderwall mimen einen aktuellen Hit, der indes älter klingt als die versammelte Ehrenabteilung der Kinogeschichte – ein Jahrhundert der Nichtigkeiten gähnt zwischen den gefälligen Standardakkorden. Aber es ist ja das starene Glitzern die wichtigste Nebensache der Welt, da muß man hindurch; hier und da öffnet sich verstohlen ein Pillendöschen, vielleicht auch nur wegen Wortmanns Warnung vor strapaziösem Elternglück.

Beim “Publikumspreis” ruhen Barzels Hände gänzlich – pah! es ist ja auch die Regisseurin gar nicht anwesend, sondern in LA noch einen anderen Preis einsammeln, zudem heißt sie Link (Charlotte), was wird das schon sein! Doch was hat die greise Politgewichtigkeit gegen Laudatorin Christiane Hörbiger (vier matte Klapps)? wo sie doch endlich das versprüht, was bislang gänzlich fehlt und die Sendefähigkeit eines solchen Aufzugs sicherstellt: Glanz, Charme, Witz.

Da blassen sie dahin, die Sternchenmädels und Diamantengerippe auf Bühne und Loge, nicht aber Douglas Wolfsperger, der für die liebenswerte Kinogeschichte “Bellaria – solange wir leben” den Dokumentarfilmpreis erhält und sympathisch nüchtern dem nächsten Laudator das Terrain bereitet: Jürgen Krol. Viel indes fällt dem auch nicht ein – Eisesstille barzelseits; vierzehnmal sachtes Klappen dann für Ruth Toma, die als Drehbuchautorin (“Solino”, wofür schon Herr Metschurat seinen Preis erhielt) das Sprechen nicht gewohnt ist. Da und dort in den Logen nickt mitgeschleppter Nachwuchs ein.

Wie der Abend weiterschleicht, wähnt man sich in einem Nummernkabarett ohne Pointen, was auch Moderatorin Desiree Nosbusch mitbekommt und fortan, beginnend mit Judith Kaufmann (beste Kamera), ihre Preissätze stur in den Pflichtbeifall hineinspricht, der Eile zuwegen. Margit Carstensen, deren Preis ihrer beeindruckenden Rolle als vergreisende Mutter gilt, gibt die circa vierzigste bis sechzigste Variation des Wortes “danke” zum besten, Barzel klappt zweimal.

Dann ist wieder Musikpause, diesmal mit Soul-Großtante Dionne Warwick, eigens eingeflogen aus LA – als Geisel für Frau Link, wie wir vermuten. Promotion hat sie nicht mehr nötig, kostet folglich Geld und sorgt mit zwei teils unmotiviert, teils passabel runtergekurbelten Evergreens für Jubel und satte fünfzehn Barzel-Klapps, während in der ersten Reihe Edmund Stoiber ausholt, als wollte er die Welt umarmen. Was macht derweil eigentlich Roman Polanski neben ihm? Er harrt und versucht, nicht getroffen zu werden.

Boxer Axel Schulz bringt mit seiner Laudatio für Annette Pisacane etwas proletischen Charme ins Genobel, dann beginnt sich die Barzel-Laune epidemisch zu verbreiten; Jan-Josef Lieffers verspricht ein Espressotäßchen Witz (leicht wäßrig), und vielleicht ist es ja auch bloß die Auswahl der Preisträger – sicher alle würdig! –, die vermuten läßt, es seien in Bayern 2002 höchstens sechs Filme gedreht worden (die Herr Barzel nun einmal nicht kennt).

In Bayern? Axel Prahl, deutlich Preuße, kriegt seinen Preis (bester Darsteller in “Halbe Treppe”) für authentisches Bratwurstwenden (sagt die Jury, ehrlich!), da braust wieder Jubel auf. “Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht”, sagt er dankend – jawoll! nickt da der Stoiber, weitausholend, daß man fürchtet, er könne nach vorne vom Stuhl kippen. Marie Bäumer (beste Darstellerin) beklagt sich bitterlich über die harte Filmarbeit, die ihr nun immerhin eine Porzellanskulptur für die Fensterbank eingebracht hat, und Katja Flint zählt auf, was den Filmpreis so wichtig macht: “die Ehre, die Statue und das schöne Geld”. Andreas Dresen (beste Regie, ebenfalls “Halbe Treppe”) spricht die traditionell engen Beziehungen zwischen Bayern und dem Osten (vgl. Honecker/Strauß) an und endet mit Karl Valentin: “Die Zukunft war früher auch besser!” – wie die “Hexen einer neuen Generation” beweisen, die nun zu Wuffgack-Sound über die Bühne rappen und hampeln, um für den Film des Jahres zu werben: “Bibi Blocksberg”, ähem; das kommt davon, wenn man “Erfolg” als Qualitätskriterium einführt.

Da Herr Barzel noch sitzt, muß man ihn angeschraubt haben; doch nehmen wir das Risiko auf uns, gleiches zu erleiden, hören noch ein nosbuschses “(Klatschklatsch) … geht an … (Klatschklatsch)”, sehen einen polanskischen Diener von hinten (weil ihn Blocksberg-Produzentin Uschi Reich so lobt) und dann endlich ihn selber von vorn: den Ministerpräsidenten. Der rennt zum falschen Pult (wo war er denn die letzten zwei Stunden?) und ehrt (O-Ton) “Rom Polnsk” so faktenreich, zählt so viele Titel, Preise, Zahlen auf und durch, daß man fast glauben möchte, er habe “Wenn Katelbach kommt” selbst gesehen – nein, es war die Rigoletto-Inszenierung. Doch ist Polanskis “Pianist” aller Ehren wert, da sind sich alle einig. So strahlt nun doch ein bißchen Hollywood herein mit dem großen Roman (der in den letzten zwei Stunden noch kleiner und dünner geworden ist), und ist das eine Erleichterung! eine Freude! Da stehen alle auf – und Herr Barzel? Der war erster, denn er mußte während Stoibers Rede kurz mal hinaus und lutscht nun unter dem Balkon respektvoll ein Bonbon.

Die “vielen magischen Momente”, die wir bis dahin weitgehend entbehren mußten, wünscht uns Nosbusch fürs neue Jahr, und schon bricht man auf in die Tiefen der Residenz zum Stoiber-Empfang; auf dem Weg dorthin erklärt Miro Nemec seiner Begleiterin die Auswahl seiner recht grauen Krawatte: “Die hat gepaßt!” Auf dem langen Weg ins Herz der Dinge findet trocken Brot in Körbchen reißend Absatz, doch ist das Drängeln und Drücken so intensiv, daß es den Berichterstatter (und Herrn Barzel) bald hinaustreibt aus dem Defilé der fernsehschirmbekannten Gesichter, die so dringend leuchten und herumparfümieren, daß man nur in der unmittelbaren Umgebung des Bayern-Ethnologen Gernstl und seiner erfrischenden Bodenstandnormalität einigermaßen Luft bekommt.

Und während droben die Schlacht um Sekt und erlesene Häppchen ihren Lauf nimmt, studiert man an der Garderobe die druckfrische Abendzeitung, die prophetisch tönt: “Bei Stoiber wurden nur die Promis satt!” – Ja, wenn sie wenigstens sattwerden! entfährt es dem Reporter – Halt, seit wann gibt es hier ein Echo? Nein, Sigmund Gottlieb war’s, der den Satz süffisant wiederholt hat, wie meint jetzt er das?

Doch es ist wahr, erfahren wir: Dem Personal sind aus Kostengründen die Essensgutscheine gestrichen worden – vielleicht um Dionne Warwick zu finanzieren, was die netten Damen an der (übrigens kostenlosen) Garderobe milde befremdet, denn so etwas sei “ja nicht jedermanns Geschmack”.

geschrieben am 17. Januar 2003 für die Münchner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dort anderntags erschienen

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