Frisch gepreßt #395: Mammút „Kinder Versions“

Herzlich willkommen im Museum der großen, der unvergänglichen Kunstpop-Damen! Wie Sie sehen, ist unser Haus von bescheidener Größe, aber sie werden sich aus dem Chemieunterricht erinnern, daß ein kleines Stück Gold durchaus mehr Gewichtigkeit vorweisen kann als ein ebensolches aus Pappendeckel. Und sehen Sie, wir sind relativ streng, was unsere Aufnahmekriterien betrifft, und dann ist es ja auch so, daß Frauen im Kunstpop generell unterrepräsentiert sind.

Was durchaus qualitative Gründe hat! Frauen haben nun einmal von Natur aus mehr Gespür, Eleganz und weniger affenärschigen Geltungsdrang als Männer, weshalb Frauen im Kunstpop ebenfalls natürlicherweise einen solchen Schmonz, wie ihn beispielsweise Radiohead, Gentle Giant und Marillion phasen- bzw. jahrzehntweise produziert haben, niemals anrichten täten.

Ich ahne Ihren Einwand, Sie werden jedoch Kate Bushs Spätwerk und das Solo-Oeuvre von Björk in unseren kritischen Kammern vergeblich suchen, zu letzterer aber immerhin den Hinweis finden, daß Katrina Kata Mogensen die Tochter von Birger Mogensen ist, der einst gemeinsam mit Björk bei der Band Kukl spielte.

Sie kennen Kata Mogensen gar nicht? Ja nun, von Siouxsie, Lisa Dalbello, Anna Calvi haben Sie aber bei Gelegenheit schon mal gehört? Immerhin. Dann dürfte es sich für Sie lohnen, als erstes die Kammer aufzusuchen, die diesen und eben auch Kata Mogensen gewidmet ist. Sie ist alles andere als ein Neuling, wissen Sie, aber in der Tat gibt es von ihrer Band, die 2003 gegründet und in Island seither mit Lob und Preisen überhäuft wurde, erst vier Alben, deren drei noch dazu isländische Titel tragen, was selbst den kunstpopkundigen und somit ausgewiesen wagemutigen Nicht-Isländer gerne mal abschreckt, nicht wahr?

Ich will Ihnen gar nicht viel erklären, was sind Biographien und Trivialitäten schon wert? Hören Sie lieber. Hören Sie das neue Album, dessen wesentliche musikalischen Elemente sich folgendermaßen charakterisieren lassen: sparsame, stoische Webteppiche aus sehr wenigen Klängen und Instrumenten (Gitarre, Baß, Schlagzeug, etwas Keyboard oder vielleicht auch natürliche Materialklänge), repetitiv, aber gebrochen, mit manchmal abrupten, manchmal fließenden Umschaltungen von Tempo, Rhythmus, Harmonien, Stimmung. Zählen Sie mal mit, wie viel in „We Tried Love“ passiert, obwohl der Song (denn es ist einer, und was für einer!) fast acht epische Minuten lang in der triumphalen Schlichtheit einer Dampflokomotive in der Weite einer kontinentalen Prärie dahinzuziehen scheint.

Das geht mit „Kinder Version“ so weiter, dräuender und düsterer, weniger heilschwanger sozusagen,verstörend, auch motorischer, aber wenn Sie nun glauben, die Sache begriffen zu haben, dann warten Sie mal ab: „Bye Bye“ ist ganz anders, sanft und leicht wie eine Wolke aus Federn am schweigenden, dunstig blauen Nachmittagshimmel eines Spätherbsttages oder ein vertrauter Blick in tiefer Nacht, der allerdings von Unsagbarem erfüllt scheint.

Ja, diese Klänge sind Leinwände, lebende, mäandernde Kulissen, Gerüste, manchmal fast unsichtbare Hochseile und bei aller Souveränität eben „nur“ dies. Das wesentliche Element, Sie werden es ahnen, ist Kata Mogensens Stimme, ihr Gesang, der weit mehr ist als nur dies: unmittelbarer Ausdruck ihrer Seele, ihrer Gefühle, Gemütszustände, Narben, Sehnsüchte, Hoffnungen, Enttäuschungen. Und zwar, und das hat sie in unser Museum geführt, ohne peinliche Verrenkungen, strapaziöse Turnübungen um ihrer selbst willen – sie werden keinen Ton, kein gerissenes, gebogenes Glissando, keine metrischen Tänze, keine Melodien und Melodiefragmente finden, die in irgendeiner Weise überzählig, vernachlässigbar, nur Zierde, gar Manier wären.

Ihrem Blick entnehme ich, daß sie begriffen haben. Keine Sorge, Sie finden gleich dort drüben unsere Tränenschalen, denn Sie sind ganz und gar nicht der erste, den diese Musik zu Tränen der Begeisterung, der Freude, der Trauer und des Mitgefühls rührt. Echten übrigens, nicht den oft zitierten Kritikertränen, die Menschen wie wir, sagen wir’s wie’s ist, nie nachweinen können.

Es muß Ihnen auch nicht peinlich sein, wenn Sie diese Musik immer wieder hören wollen und all ihre übrigen Interessen vernachlässigen. Das geht den meisten so. Für solche Fälle haben wir üblicherweise ein Gästezimmer, das allerdings derzeit belegt ist. Ein gewisser Sailer hat sich auf unbestimmte Zeit eingemietet. Aber ich gebe Ihnen einen guten Rat: Sich das Album zu kaufen, wird Ihr Leben in vielerlei Hinsicht verbessern und verschönern. Ihre meisten sonstigen Platten brauchen Sie dann nämlich nicht mehr. Und vieles weitere auch nicht.

Bleiben Sie ruhig noch ein bißchen, hören Sie weiter. Wie gesagt, die Tränenschalen finden Sie dort drüben. Ich muß Sie nur bitten, sich nicht zu setzen oder hinzulegen – die ersten Symptome einer Entzückungslähmung sind manchmal tückisch schleichend … da hilft dann nicht mal mehr das Finale von „Sorrow“.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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