Frisch gepreßt #391: The Beatles „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (Super Deluxe Edition)“

„What’s so funny about peace, love and understanding?“ fragten Nick Lowe und Elvis Costello in einer Zeit, als es gerade sehr modisch war, derlei Kram nicht mal mehr lustig, sondern höchstens peinlich zu finden. Das heißt: in der Popkultur. Die übrige Welt hatte sich nicht verändert seit 1967, als die Beatles so ziemlich alles lustig fanden: Da herrschte Krieg, je nach Gegend heiß oder kalt, getragen und untermauert vom universellen Klassenkrieg, gefiedert mit sozialen Spannungen, Terrorismus, aufgewiegelten „Rassenunruhen“ und all den Dingen, die der Mensch so anrichtet, wenn man ihn läßt.

1967 fand man das lustig: Liebe! Friede! Rückwärts gespielte Gitarren, Orchester, fernöstliche Dudelinstrumente, Pop-Prominenz im Massenchor, Songtexte über den Marmeladenhimmel, Kaleidoskopaugen und noch weitaus verstiegeneren psychedelischen Klimbim, Auslaufrillen mit Rätselbotschaften, Hitler, Gandhi, Marx und Jesus auf einem Plattencover (drei davon fehlten dann doch), tausend tibetanische Mönche in einem Londoner Studio (die auch), dessen Tonbandgeräte übrigens mit vier Spuren arbeiteten, weshalb man zwei gleichzeitig laufen ließ, während Dutzende Musiker in mehreren Räumen von einem dazwischengeschalteten Roadie als Taktgeber „synchronisiert“ wurden, der am Ende einen Wecker läuten ließ, damit alle ungefähr gleichzeitig ans Ziel kamen. Hinterher wurden die Bänder dann zerschnipselt und nach dem Zufallsprinzip neu zusammengesetzt.

Davon ist meistens die Rede, wenn von dem „größten Popalbum aller Zeiten“ gequasselt wird, das „Sgt. Pepper“ schon deswegen sei, weil so etwas, ein solcher Aufwand, ein so geniales Durcheinander, ein solcher Wirrwarr an wirren Ideen, geilen Geistesblitzen, verrücktem Plunder, an Übertreibung, Besinnung, Spiritualität und Naivität, Intellekt und Bezüglichkeiten, schlicht: ein solches Übermaß an Sinn und Unsinn doch damals eigentlich gar nicht möglich war und trotzdem zustandekam, wow! Das Argument ist so richtig wie belanglos. Heute ist so was halt möglich, ja mei – und was heißt möglich: Jeder Vierzehnjährige kriegt es notfalls mit dem Telephon hin und braucht dafür nicht Monate, sondern ein paar Stunden. Und dann klingt es möglicherweise noch überladener!

Aber dann hört man mal wieder „With A Little Help From My Friends“, unschuldig-bübisch dahingesungen von einem Schlagzeuger, den (vermeintlich) schon damals die Hälfte seiner Gewerkschaft an die Wand spielte, und denkt: Da ist ja gar nichts drauf? Wo bleibt der vielbeschworene Jahrhundertbombast? „Fixing A Hole“: nettes Lied, klar, aber halte mal eine beliebige ELO-Schmalzstulle dagegen und erzähl mir noch mal was von vier oder acht Spuren! „She’s Leaving Home“: Da hat jemand zu viel Beach Boys gehört und gedacht, das geht doch nicht nur an einem kalifornischen Strand, sondern auch in einer englischen Teestube. „Being For The Benefit Of Mr. Kite“: klingt aufs erste Hören wie eine Spielzeugkiste, die aus dem obersten Regalfach fällt (und hören Sie mal, was Steve Harley & Cockney Rebel in „Ritz“ über Pabo Fanque zu erzählen haben!). „Within You Without You“: Schon nett, was man mit einem Mellotron und ein paar Flohmarktfunden anstellen kann, aber kriegt hier jemand nicht spätestens nach drei Minuten große Lust auf eine Portion Rock ’n‘ Roll? „When I’m Sixty-Four“: Tutsi-tutsi! „Lovely Rita“: Ein paar weniger „innovative“ Akkordfolgen und verhallte Zwischenschnitte hätten’s auch getan, nicht wahr?

Und schon ist man fast durch. Vor „Good Morning Good Morning“ kräht ein Hahn und verscheucht die Melodie, der Titelsong scheppert noch mal kurz nach … derweil man erinnernd heranzieht, was sich im selben Sommer noch so tat, von Frank Zappa bis Velvet Underground, von Jimi Hendrix bis zu den Doors, und das alles doch ziemlich konservativ, bieder und gymnasial finden mag.

Aber dann kommt „A Day In The Life“, und wenn die wenig belangvollen Zeitungsstrophen absolviert sind und das Geisterorchester seinen ersten hämisch-bedrohlichen Zwischenwurf macht, wird die Sache weird, renkt sich das Hirn aus und anders wieder ein, und dann schwebt ein böses E-moll und erfüllt das Universum, bis die koboldische Auslaufrille endgültig den Faden abreißt.

Und da fängt man noch mal von vorne an und versteht, plötzlich und nach und nach, daß die besten Antworten nur dann aus dem Dunkel des Wirrsinns treten, wenn man die richtigen Fragen stellt. Und wünscht sich, das auch die nächsten fünfzig Jahre nicht zu vergessen: „What’s so funny about peace, love and understanding?“

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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