Man kann tun, was man will, immer ist irgendwer beleidigt. Nehmen wir zum Beispiel mal diese eigentümliche blaue Partei von Ultraneoliberalen, die derzeit von den Medien zum absoluten Superthema aufgebauscht wird, damit die armen Würstchen, die am meisten unter dem neoliberalen Terror der letzten dreißig Jahre leiden und deshalb die anderen neoliberalen Parteien nicht mehr recht wählen mögen, sie in noch viel größerer Zahl wählen: Dieser abstruse Haufen ist sozusagen ein Epizentrum der Beleidigerei und Beleidigtseierei, von dem ständig neue Schockwellen ausgehen.
Zuletzt drehte sich das Karussell der aufgescheuchten Hühner mal wieder um den brandenburgischen Vorsitzenden dieser sogenannten Alternativpartei, einen wahrhaft paradox schillernden Mann, der sich abwechselnd als bröckelnder Fels und kreischender Pfau in die Medienschlacht wirft und in den letzten fünfzig Jahren so gut wie jeden Unsinn behauptet hat, um ihn anschließend zu widerrufen, das Gegenteil zu behaupten und auch das umgehend wieder in Frage zu stellen, solange nur alles in einem anständig ultrarechten Diskursrahmen blieb.
Nun wurde dieser Mann – wir sparen uns Witze über seinen Namen, die schon bei seinem gehabemäßig zumindest früher weitläufig verwandten Peter Gauweiler doof waren – von einer deutschen „Sonntagszeitung für die Elite“ (Selbstbeschreibung für Anzeigenkunden) zum ubiquitären Plapperschlagwort „Integration“ befragt. Kurz zur Erklärung: „Integration“ bedeutet laut Definition neben „Wiederherstellung, Vervollständigung“ auch „Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen Einheit“. Integration ist demnach ein Vorgang, der geplant und gesteuert werden muß und an dessen Ende alles ganz anders herauskommt als es ursprünglich war.
Wenn man beispielsweise Tomaten, Zwiebeln, Öl und diverse Gewürze mittels Pfannenbrand zu einer Nudelsauce integrieren möchte, bräuchte es dafür neben Pfanne und Herd auch einen Koch und, wenn der sich gar zu blöd anstellt, ein Rezept. Vor allem aber wird niemand auch nur das geringste Verständnis zeigen, wenn eine der solcherart verwandelten Tomaten hinterher demonstrieren geht und behauptet, es sei ihr historisches Grundrecht, so zu bleiben, wie sie mal war, und das unerschämte Zwiebel-Öl-Gewürz-Kroppzeug solle sich gefälligst so „integrieren“, daß ihre tomatige Identität dabei nicht angetastet werde.
Man könnte die Tomate dann fragen, welche Identität sie denn meine und ob sie tatsächlich schon immer eine Tomate und nicht vielmehr vor kurzem noch eine diffuse Gemengelage aus Erde, Samenkorn und sonst was und ein bisserl früher gar nichts oder ganz was anderes gewesen sei. Aber das führt jetzt zu weit und am Ende nur zu der Einsicht, daß irgendwann in der Geschichte des Universums alles und jedes in einer zeit- und ortlosen Singularität integriert war und eines fernen Tages vielleicht wieder sein wird.
Sobald indes ein Medienheini das Wort „Integration“ in den Mund nimmt, ist damit ziemlich genau das gemeint, was auch die Tomate meint: Eingliederung, Anpassung, Selbstverleugnung, Unterwerfung. Und damit sind wir wieder bei Herrn Gauland, der von dem Eliteblatt den Namen eines deutschen Fußballspielers hingeworfen bekam und in seiner typischen Art, etwas zu sagen, was dies und das und ganz was anderes und doch dasselbe (aber nicht so) bedeuten könnte, daraufhin geäußert haben soll: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“
Und schon waren und sind alle beleidigt: Gauland ist beleidigt, weil er zwar seit fünfzig Jahren „Publizist“ und nach zehntausenden Interviews mit allen Wassern des Pressebetriebs gewaschen ist, aber irgendwie falsch zitiert worden sei und irgendwie gar nicht mitbekommen habe, daß er interviewt wurde. Die Elitezeitung ist beleidigt, weil das gar nicht stimme, Mennö!, und weil sie, wenn genug über den Quatsch berichtet wird, die nächsten Sonntage eine größere Auflage drucken und ihre Anzeigenpreise erhöhen darf. „Die Leute“ sind beleidigt, weil sie zwar tatsächlich keinen Bimbo und auch sonst kein durchraßtes Gesocks in der Nachbarschaft haben wollen, weil man ihnen so was aber gefälligst nicht nachzusagen hat, sonst wählen sie erst recht neoliberale Faschisten und überhaupt! Die anderen Leute sind beleidigt, weil sie plötzlich ihr Herz für einen beleidigten Fußballmillionär entdeckt haben und ihre millionenfachen dumpfen Solidaritätsposts auf Facebook aber vor lauter dumpfen Solidaritätsposts niemand mehr sieht.
Die Kanzlerin ist beleidigt, weil Jerome Boateng schließlich (auch) für ihre Wiederwahl spielt oder zumindest dafür, daß man sie die nächsten fünf Wochen nur als Jubeltante mit Fähnchen wahrnimmt. Jerome Boateng ist angeblich auch beleidigt (worden), mag aber gar nicht beleidigt sein. Der türkische Präsident ist beleidigt, weil sich keiner mehr dafür interessiert, daß er vor ein paar Wochen viel schlimmer beleidigt worden und deswegen immer noch beleidigt ist. Und die übrigen Hanswurste und GretelwurstInnen in der Blaupartei sind beleidigt, weil man sie mal wieder „ins falsche Licht rückt“ und als blöd hinstellt (und weil sie dieser unverschämte IN-MÜNCHEN-Kolumnistenbengel auch noch gendert, igitt!).
Halten wir mal fest: Was wir meinen, wenn wir in diesen Zeiten von „Integration“ sprechen, ist nicht die oben erwähnte Tomatensauce (weil wir weder Koch noch Rezept und auch keinerlei Ahnung haben, was sich in dieser Pfanne so an Zutaten tummelt), sondern eher ein Komposthaufen, auf dem durch zufällige Vermengung unterschiedlichster Sachen etwas Neues, eventuell Fruchtbares entsteht. Wenn in diesem Fall das verbindende Merkmal die allgemeine Beleidigtheit ist – nun ja, was soll’s. Typisch deutsch, möchte man meinen, schließlich ist der Deutsche traditionell lieber beleidigt als zum Beispiel fröhlich, gelassen, entspannt, friedlich und freundlich. Aber immerhin ist er damit endlich: integriert.