Es soll ja sogar vorkommen, daß Songs nach einem Zuhause schreien. Weil bei Robbie Williams bekanntermaßen alles vorkommen kann, was irgendwie absurd und ein bisserl deppert, gerade deswegen aber so hinreißend komisch ist. Jetzt haben also 14 Songs nach einem Zuhause geschrien, und Robbie hat ihnen eines gegeben, ist schließlich bald Weihnachten, da kriegt man ein weiches Herz, wenn man nicht sowieso eines hat, was in diesem Fall kaum umstreitbar ist. Weil er nun mal Robbie ist, hat er dazu eine Grimasse geschnitten, sich selbst mit nacktem Hintern auf der Straße photographiert und der Musikindustrie den Mittelfinger gezeigt: Die verdient hieran keinen Pfennig und grummelt deswegen beleidigt und hat sogleich verkündet, ein solches Album habe in ihren Charts überhaupt nichts verloren, weil man es an den offiziellen Zählkassen nicht bezahlen kann.
Es sind ja auch nur „Demos, B-Seiten und anderweitig unveröffentlichte Songs“, gelt, also praktisch gar kein „echtes“ Album, gelt. Es ist aber andererseits das beste und schönste Nicht-„Swing“-Album, das Robbie seit gefühlt dreizehn Jahren gemacht hat, weshalb sein Songwritingpartner Guy Chambers ihn hinterher anrief und einen Volltrottel schalt, weil er so was einfach so wegschmeißt. Hilft nichts, Robbie ist nun mal ein Kindskopf, der muß das machen. Der muß wundervolle Hits wie „Bullet“, „Greenlight“, „National Treasure“, das plastikfunkige „The Pilot“ und das umwerfend unpeinlich pathetische „Love Is You“ einfach mal so hinaushauen, weil sie auf seiner Festplatte herumdümpeln und er nachts nichts zu tun und einen Internetanschluß hat. Und dann dreht er der Welt noch mal eine Nase und verschiebt den kindischen Coup (mit dem er eigentlich auch mit Take That um die Spitze der Charts rangeln wollte, aber siehe oben) um eine Woche und noch mal eine Woche, weil er halt grad so drauf ist.
Warum jedoch, fragen wir uns, waren diese Songs nicht längst auf einem Album drauf? Weil „Take The Crown“ dafür zu bemüht schlapp und plastikmodern war? Weil „Bully“ ein Stückerl zu böse, gemein und rachsüchtig ist, um im Drogeriemarkt neben dem Meerschweinchenfutter gestapelt zu werden? Weil in „Super Tony“ ein bißchen zu deutlich „Co-caine!“ zu hören ist? Weil „The BRITS“ als Tagebuchnotiz etwas zu deutlich und persönlich und unverstellt ist? Weil der Bursche sich ums Verrecken nicht verstellen kann und deshalb allüberall Anspielungen und Andeutungen auf und von seiner bipolaren Störung, seinen Süchten, Albernheiten, seiner klinischen Lethargie, seiner idiotischen Jugend und anderem Wahnwitz den Stromlinienglanz mehr würzen als stören? Weil man solche Bubenstreiche einfach nicht macht in diesem Geschäft, auch wenn man hundert Millionen Platten verkauft hat und der erfolgreichste britische Solokünstler aller Zeiten ist?
Ach, wir müssen uns so was gar nicht fragen. Wir fragen uns auch nicht, weshalb der Song („Run It Wild“), den Robbie als Paradebeispiel für seine unveröffentlichten Juwelen ins Spiel brachte, die unbedingt rausmüssen, gar nicht auf dem Album ist und weshalb in den Ankündigungen immer von „B-Seiten“ die Rede ist, obwohl kein einziger Track auf „Under The Radar“ jemals als B-Seite erschienen ist. Reißen wir uns lieber das Hemd auf, wenn wir „All Climb On“ mitgrölen und uns wieder so unschlagbar, ewig und grenzenlos fühlen wie 2001, als „Escapology“ der Soundtrack von Millionen Leben war; fragen wir uns statt dessen lieber, was Bruce Springsteen, Michael Stipe und Public Image Ltd. hiermit zu tun haben (es gibt dazu ein Video) und wieso Robbie, wenn er von solchen Sachen erzählt, manchmal aussieht wie Morrissey.
Das ist das Schöne an Mister Williams’ unüberwindbarer Unmittelbarkeit: Man kommt ihr nie ganz auf den Grund; man amüsiert sich, während man verarscht wird, und man fühlt sich auf unergründliche Weise zu Hause.
Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.