Ein Freund, der auf der Universität was geworden ist, rief an und teilte mit, ich dürfe ihn demnächst „Professorin“ nennen. Oho, dachte ich, neulich noch so verliebt, und jetzt eine Geschlechtsumwandlung? Muß eine heftige Affäre gewesen sein.
Er klärte mich auf: Keineswegs werde er zur Frau, höchstens im grammatischen Sinne und da auch nur gewissermaßen. Nämlich habe man einst, um Frauen nicht mehr zu diskriminieren, aus der „Frau Professor“ eine „Professorin“ gemacht, die dann aber immer noch diskriminiert worden sei, weshalb auch in der Mehrzahl aus den „Professoren“ die „ProfessorInnen“ geworden seien. Leider habe sich herausgestellt, daß damit die Diskriminierung nicht zu beseitigen sei, weil „Professor“ nun mal die Stammform und „Professorin“ nur abgeleitet sei. Und drum sollten nun alle unterschiedslos „Professorin“ heißen, was zwar in gewisser Weise die Männer diskriminiere. Das sei aber nicht so schlimm, weil die schließlich die Frauen jahrhundertelang diskriminiert hätten; da müßten sie jetzt schon mal ein bißchen Gegendiskriminierung hinnehmen.
Doppel-Oho! Das, dachte ich, kommt davon, daß man heutzutage an den ehemaligen Universitäten so eifrig und plapperintensiv ein solches Zeug wie „Gender“ disputiert, anstatt sich ab und an der guten alten Wissenschaften zu entsinnen. Ein Professor, erklärte ich dem Freund, ist ebensowenig per Bezeichnung etwas Männliches wie ein Student – das eine bezeichnet jemanden, der „als Lehrer auftritt“, das andere steht für „interessiertes Bemühen“.
Da hätten wir’s ja schon, meinte er: „jemand, der“ – um nicht zu diskriminieren, müsse man unbedingt „die/der“ sagen, und dann bleibe immer noch das diskriminierende „jemand“, in dem unverkennbar ein Mann drinstecke und weiter diskriminiere. Dann, sagte ich, solle er eben „eine Person“ sagen, schon habe er sein „die“. Das, sagte er, gehe schon gar nicht, weil „Person“ abfällig klinge, mithin erst recht diskriminierend wirke.
Uff. Nun weiß ich ja längst: Wörter gehen bisweilen ihrer sozialen Konnotation verlustig. Wer heute noch „Neger“ sagt, will provozieren. Wenn Herr Ribbeck zu Ribbeck im Havelland heutigentags ein kleines Mädel als „lütt Dirn“ herbeiriefe, hätte er nicht nur Alice Schwarzer, sondern auch die Sittenpolizei auf dem Hals, und die zwielichtige Bande, die sich von solchen Regelungen unterdrückt fühlt und Blödsprüche wie „Wird man wohl noch sagen dürfen“ aus der Schmollecke herauströtet – das ist die alte, schwiemelig-käsige moralische Mehrheit der Sarrazins, die den Weltuntergang fürchtet, wenn sich irgendeine beleidigte Winzminderheit nicht mehr richtig unterdrücken lassen will.
Trotzdem, meinte ich, sei es möglich, daß das ganze Theater auf ein Mißverständnis zurückgeht: Ein Geschlecht im sexuellen Sinne nämlich gibt es in der Grammatik nicht. Die Liebe hat keinen Eierstock, der Türstock keinen Hoden, Sonne und Mond keine(n) Gleichstellungsbeauftragte(n). Die Ameise ist manchmal männlich, der Hund oft weiblich; ganz zu schweigen von halbseidenen Phänomenen wie „München“, das man nicht mal im angeblich neutralen Sinne als „das München“ bezeichnen dürfe, ohne mangelnder Sprachfähigkeit bezichtigt zu werden.
Wenn man „Professor“ widersinnigerweise als „männlich“ empfinde, sei die weibliche Form „Professorin“ aber schon deshalb ausgeschlossen, weil da der angeblich schwanztragende „Or“ ja immer noch drinstecke, die „Orin“ mithin eine „Er-Sie“ sei; es müsse also „Professin“ heißen und somit auch Händlin, Bauin, Künstlin, Ingenin, Frisin (oder notfalls Friseuse), wohingegen „der“ Student sich höchstens als Studenter neben die Studentin setzen dürfe, dito Geheimagenter, Referenter und so fort. Ansonsten sei auch bei anderen Wortbildungen das gleiche Prinzip anzuwenden: „rücksichtslos“ könne man nicht sein, höchstens „rücksichtübendlos“.
Im alten Indogermanischen, dem die meisten Sprachen entstammen, in denen in unserer Gegend herumgequasselt wird (klugschiß ich weiter, den Zeigefinger mühsam bändigend), habe es ein „Geschlecht“ nicht mal grammatisch gegeben, sondern nur eine Art von sogenannten Nominalklassen: Das handelnde Subjekt war ein „er“, das behandelte Objekt ein „es“. Daß eine „sie“ grammatisch überhaupt existiert, liegt daran, daß der Mensch in der Wirrnis seines Hirns abstrakte Ableitungen zu bilden begann, für die es einen bezeichneten Gegenstand entweder gar nicht gab (die Liebe und die Schwebe: versuch sie zu greifen, schon sind sie fort) oder erst durch eine weitere Übertragung (die Schule: man ging durch sie hindurch, auch als sie noch kein Gebäude war).
Die „sie“ hat also ebensowenig ein (sexuelles) Geschlecht wie der „er“ und sowieso das „es“. Daß man an irgendein Wort ein(e) „-in“ dranzuhängen begann, diente der Unterscheidung im Einzelfall: Wenn ein frühmittelalterlicher König mit seiner Frau vors Volk trat und sie als ihm ebenbürtig ausweisen wollte, konnte er sie freilich nicht als „König“ bezeichnen, weil das heillose Verwirrung gestiftet hätte („Zwei Könige? Der Weltuntergang naht!“). Drum: Königin. Ebenso bei der (nicht sexuellen) Freundin, die ein Mann damals üblicherweise nicht hatte (und im Englischen, wo es kein Wort dafür gibt, wohl bis heute nicht hat, good heavens!). In anatolischen Sprachen sind gar Mutter und Vater unterschiedslos (grammatisch) männlich. Und sowieso, brachte ich meinen Vortrag zu Ende, sei das alles bloß ein Pipifax, den der Kapitalismus in die Welt gebauscht habe, um den Klassenkampf wo hin zu verlagern, wo er außer Blabla nichts bewirkt.
Der Freund – zunächst demoralisiert, weil er sich zur weiteren Untermauerung seines/r GenderbewußtheiterIn zu 15 diesbezüglichen Symposien angemeldet hatte und nun erkennen mußte, daß er einem Popanz aufgesessen war – fauchte: Dann laß ihn uns angreifen, den Kapitalismus! Freilich, sagte ich, welchen Nebenschauplatz hättest du denn gern? alt gegen jung? Stadt gegen Land? Norden gegen Süden? Such dir einen aus, und dann viel Spaß beim Institutegründen!
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.