(periphere Notate): Ctulhu und Ghul, lebt den Traum!

T-Shirt vor mir in der Schlange am Ausschank: „Lebe deinen Haß!“ (Rosen außenrum, die Guns fehlen; sind wohl auch wg. Ironieverdacht nicht gemeint.) Ich überlege einen Moment, ob das vor zehn Jahren „Live your Hate!“ (ironisch!) geheißen hätte oder ob man damals noch „Live your Dream“ sagte. „Make Love, not War“ war jedenfalls auch da schon lange her, der Verwirklichungsmensch hatte den Träumer in ein Abseits verdrängt, in dem er jetzt herumsitzt, ohnmächtig dem Furor der „Verwirklichung“ zuschauen und ab und zu anläßlich einer runden Jahreszahl („35 Jahre WAA nein!“) „zurückdenken“ darf/muß. Daß man denken überhaupt nur zurück kann, bemerken die Verwirklicher nicht mehr. Denken nach vorne heißt „modellieren“ und wird von Rechenmaschinen erledigt; es kommt immer nur das raus, was zuvor hineingesteckt wurde, und deswegen sieht nach sechzig Jahren „Denken nach vorne“ die Welt so aus, wie sie aussieht: eine stetige Radikalisierung des immer und ewig gleichen.

Als erschiene jeden Tag die gleiche Zeitung, wobei die „zentralen Botschaften“ jeden Tag ein bisserl mehr „zugespitzt“ und der Ton ein bisserl drängender, lauter und (Neusprech!) „extremer“ wird. Was sie übrigens auch tut (die Zeitung).

Ich mache mich gerne über „Mainstream-Medien“ lustig. Einfach weil die so blöd sind und einen solchen Mist verbreiten; manchmal ist der Mist regelrecht ärgerlich. Gestern abend ist mir klargeworden, daß es diese Medien vielleicht schon lange nicht mehr gibt – oder höchstens noch als Simulation („NATO ringt um Plan B für die Ukraine!“).

Das geht so: Die „Süddeutsche Zeitung“, eines der schlimmsten Propagandamedien unserer Zeit, ist per Abonnement (ich schätze: 20 Prozent), am Kiosk und in circa (gefühlt) zehntausend Abgabekästen im gesamten Stadtgebiet erhältlich. In meinem Haus wohnt ein Abonnent der SZ, der seine Zeitung gewohnheitsmäßig in die Altpapiertonne schmeißt, ohne sie auch nur aufzuschlagen. Ab und zu kommt ein zweiter Abonnent hinzu, vermutlich einer, der mal wieder auf den „Süddeutsche gratis!“-Werber hereingefallen ist, der seit vierzig Jahren vor dem Germanistikinstitut in der Schellingstraße steht.

Das kann passieren: Man paßt kurz nicht auf, läßt sich den Papierhaufen in die Hand drücken, schreibt in Eile seine Adresse auf und wirft das Ding in den Papierkorb. Dann liegt zwei Wochen lang jeden Tag eine SZ im Treppenhaus, die niemandem gehört, bis endlich einer merkt: Oh! Mist! Das habe ja ich bestellt, nach drei Maß am Turm! Abbestellt, fertig, nächste Woche fällt ein Neuer (nicht Manuel, nur Neuschrieb) drauf rein.

Das war vor Jahrzehnten übrigens ein beliebter Scherz (neudeutsch: Prank): die Zeitung jemand anderem bestellen. Am besten einem jungunionistischen Schlagstudenten vom Team Söder oder Team Stoiber, der dann zwei Wochen lang zähneknirschend Artikel von Willi Winkler, Koch, Sucher, Unterstöger, Prantl und anderen Linken, Halblinken beziehungsweise wenigstens Linksoffenen ertragen mußte. Es sollen schon vor acht Uhr morgens Zeitungen aus Fenstern in Höfe geflattert sein. Lange her. Seit die SZ stramm ultrarechts ist, zöge der Scherz höchstens noch bei aufrechten Altlinken, und die kennen ihn ja schon und machen um das Blatt einen umgehungsstraßenweiten Bogen.

So weit immerhin schon eine interessante Feststellung: Diese „Zeitung“ wird offenbar tausendfach gedruckt, aber nicht (mehr) gelesen. Überprüfen Sie Ihre Altpapiertonne!

Ich habe die SZ fast vierzig Jahre lang regelmäßig gelesen und kann mich erinnern, was für eine grandiose Querdenkerpostille das zeitweise war. Selbst das notorische Matratzenmaul Prantl konnte bisweilen etwas anderes als billiges Pranteln. Eines Tages aber stellte ich fest: Ich finde die Versuche dieser Zeitung, mich zu einem brauchbaren deutschen Untertan zu erziehen, nur noch widerlich. Mir wurde dort mitgeteilt, was ich zu denken, nein, zu glauben hatte: warum Putin Hitler ist und Milosevic Hitler ist und Ghaddafi Hitler ist und Saddam Hussein Hitler ist und Trump Hitler ist und Orban Hitler ist und die Taliban Hitler sind; aber niemals wurde versucht, mir zu erläutern, wieso der größenwahnsinnige Vollidiot Bush kein Hitler war.

Das ist nur ein Beispiel. Ich lag so um das Jahr 2004 herum im Winter jeden Tag in der Badewanne, freute mich auf meine Zeitung und hatte sie nach fünf Minuten in einen Haufen Altpapier verwandelt, weil nichts drinstand außer Glaubensbekenntnissen, die man gefälligst nachzubeten hatte. Ungefähr 2014, viele Jahre zu spät, habe ich das Abonnement gekündigt, weil ich die lächerlichen, billigen, mittlerweile per Internet in zwei Minuten widerlegbaren Lügen nicht mehr erträglich fand. In der Badewanne las ich dann lieber Bücher, hauptsächlich alte, aus Zeiten, als kritisches Denken noch geduldet (und gedruckt) wurde.

Wozu sich über so etwas aufregen? Es ist ja eigentlich vollkommen logisch, daß in Zeiten eines eskalierenden Totalitarismus Zeitungen nicht verschont werden und ihren Teil zur Herausbildung des wehrhaften Volkskörpers leisten müssen. Der nun mal nötig ist, um Rußland und am besten auch gleich China niederzuwerfen. Vielleicht ist dies nicht mal verwerflich. Ein Großteil der Redakteure und Schreiber des „Stürmers“, des „Völkischen Beobachters“ fand sich nach 1945 in verantwortlichen Positionen bei neuen Medien wieder: „Spiegel“, „Stern“, „ARD“ etc., ein lustiger Heimathafen.

Ich schweife ab. Nun ist es so: daß wir gerne hin und wieder einen Biergartennachmittag damit zubringen, das im „SZ-Magazin“ abgedruckte Rätsel von einem Autor namens „CUS“ zu lösen. Es ist meist sehr leicht (mit ein bißchen Übung), aber oft amüsant; vielleicht macht es auch ein bisserl süchtig: nach harmloser Zerstreuung, die sehr erholsam sein kann in Zeiten geschärften Nach-vorne-Denkens (in Richtung des „wehrhaften“ Volkskörpers), in denen man ansonsten alle fünf Minuten „Aggressor Putin!“ ausstoßen muß, um nicht ungut aufzufallen.

Also nehme ich seit vielen Jahren gerne am Freitag eine SZ „mit“ – oft mit schlechtem Gewissen, weil das Zeug, das in der Zeitung selbst verbreitet wird, so unfaßbar xenophob, manipulativ, dumm, russophob, eugenisch, kapitalistokratisch, rassistisch und insgesamt unerträglich ist. Manchmal lasse ich die Zeitung selber auch im Kasten drin und nehme nur das „Magazin“ (was übrigens ein militärtechnischer Begriff ist).

In letzter Zeit fällt mir aber auf, daß das gar nicht mehr geht. Nämlich ist folgendes passiert: Die letzten drei Wochen bin ich spätabends verzweifelt durch Schwabing geradelt, habe ungefähr dreißig SZ-Kästen abgeklappert und festgestellt: alle leer. Nicht ganz: bei zwei oder drei hing noch die Zeigezeitung vorne drin, zur Verbreitung der Schlagzeilenparole, aber das Magazin war weg.

Wie geht das überhaupt? Die SZ-Kästen haben einen ausgeklügelten Schließ- und Öffnungsmechanismus. Da muß erst Geld hinein, dann zieht man den Hebel nach unten und kann sich sein „Blatt“ herausnehmen, das ist drinnen gestapelt. Vor etwa drei Jahren bemerkte ich: Das ist gar nicht mehr nötig. Die Kästen stehen immer offen. Tipgeber war eine ältere Dame, die den Kasten einfach so aufklappte und dazu meinte: „Die verlangen nichts mehr. Die müssen ja ihre ‚Corona‘-Propaganda irgendwie an den Mann bringen, und zahlen tut dafür sicher niemand.“ Ab da waren die Zeitungen mindestens in Schwabing kostenlos: Die Regierung mußte ja darauf „setzen“, daß Menschen den Scheiß lesen.

Heute hat sich die Situation verändert: Ein großer Teil der Weltbevölkerung und auch der Bevölkerung dieses Landes weiß inzwischen, auf was für eine idiotische Massenverblödungskampagne man da hereingefallen ist und wer diese Kampagne maßgeblich „getragen“ hat. Deshalb hat offenbar ein großer Teil der Schwabinger Bevölkerung eine gesunde Abscheu vor dem Geschreibsel der SZ und will diesen Müll nicht mehr lesen. Dieser Müll muß aber weiterhin als „öffentliche Meinung“ und „Stand der Dinge“ verkauft werden.

Woher ich das weiß? Neuerdings fällt mir auf, daß die Kästen der SZ sich weiterhin kostenlos öffnen lassen, daß dort aber selbst um sieben Uhr früh nichts mehr drin ist: Nur noch die eine Zeitung im Ausstellungsgitter, dahinter: nichts oder höchstens noch ein liegengebliebener Haufen „Bild“ aus den 2010er Jahren (wer „entsorgt“ da schon mal was?).

Wie immer ist es möglich, daß ich mich irre. Vielleicht beruht das ganze Phänomen auf Wunschdenken. Das könnte aber wiederum Wunschdenken sein: Es gäbe dann zumindest theoretisch einen Weg zurück. Zu Medien, die Medien sind, zu Zeitungen, die Zeitungen zu sein versuchen, zu Journalisten, die in einem alten Lehrbuch blättern und erfahren, was „Recherche“ ist. Zu Redakteuren, die ein Geheimdokument namens „Pressekodex“ aus dem staubigen Keller ziehen und verwundert darin blättern: „Bitte was?! Das dürfen wir alles gar nicht? Wir sollen nicht mal Querdenken verleumden, zur Gewalt gegen Regimegegner aufhetzen, Reklame für schädliche Pharmaprodukte machen und Propaganda für den totalen Krieg gegen eine Atommacht betreiben? Wer solches behauptet, ist mit Sicherheit ‚rechts‘!“

In den von mir frequentierten Münchner Biergarten kostet eine Maß Bier nun etwas über zehn Euro. Und zwar wenig über zehn, also 10,10 beziehungsweise 10,30 Euro oder auch mal 11 Euro (inklusive Pfand). Der nächstliegende erste Gedanke findet das albern, der zweite irrwitzig (weil er sich erinnert, daß wir vor gefühlt ein paar Jahren mal geschworen haben: „Wenn eine Maß Bier acht Mark kostet, hören wir zum Saufen auf!“ Der dritte beglückwünscht das Ausschankpersonal, dessen Trinkgeldeinnahmen sich im Vergleich zum 9,80-Zeitalter (letztes Jahr) annähernd verdoppeln könnte. Der vierte wittert eine Verschwörungstheorie, weil 99 Prozent der Kunden Plastikkarten, Mobiltelephone oder Armbanduhren zücken und von Trinkgeld keine Rede mehr sein kann („Diese Funktion ist nicht vorgesehen!“).

Die solcherart vorangepeitschte Bargeldabschaffung hat immerhin einen kleinen Vorteil: Wenn am Sonntagnachmittag in der Getränketankstelle wegen „Fachkräftemangels“ nur zwei Kassen geöffnet sind und an der einen ein Schild mit der Aufschrift „Hier nur Barzahlung“ hängt, wird man dort sofort und freundlich abkassiert (und schmeißt ein Fuchzgerl ins Trinkgeldglas), während nebenan (Zählung am 4. Juni, circa 18 Uhr) sechsundfünfzig Menschen schlangestehen und zuschauen (oder eben nicht: ein Produkt, das man schon „hat“, ist bekanntlich uninteressant), wie ihr „Magnum“ zu einem Zuckerfettmatsch in der Tüte zerschmilzt.

Ein weiterer Grund übrigens, wieso ich grundsätzlich nichts gegen die Einwanderung möglichst vieler Menschen aus von der NATO mit Hilfe der deutschen Bundeswehrmacht bereits zerstörten oder noch bekriegten Ländern habe: Die Leute von dort wagen wenigstens hin und wieder, um die Öffnung einer weiteren Kasse zu bitten, oder trinken ihr Bier dann gleich beim Warten draußen an der Zapfsäule. Der Deutsche traut sich so was nur im Supermarkt, wenn bereits alle (drei) Kassen besetzt sind. Dann ist er aber sehr empört, daß nicht umgehend eine vierte Kasse „erstellt“ wird, aus dem 3-D-Drucker oder so.

Soll ich noch über die weiterhin steigende Übersterblichkeit nachdenken (nach = zurück; in diesem Fall aber leider nur zum Teil)? Lieber nicht, das Wetter ist gerade so schön.

Aber die Frage kann ich mir abschließend nicht verkneifen: Was ist eigentlich aus den „Mutanten“ und „Varianten“ geworden? Mutieren und variieren die nicht mehr? War der „Höllenhund“-Blödsinn der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat? Oder wurde da nur ein kurzes mediales Innehalten verordnet, bevor es ab Oktober mit „Frankenstein“, „Dracula“, „Ctulhu“ und „Ghul“ weitergeht?

6 Antworten auf „(periphere Notate): Ctulhu und Ghul, lebt den Traum!“

  1. Ich wünschte, ich könnte mir alles so von der Seele schreiben wie Sie. Na ja, immerhin kann ich die Schreiber von peripheren Notaten lesen. Ist doch was. Und manche Graphiken hier kopieren und bei Facebook einstellen. Oder mir vorstellen, dass man anstelle dieses ganzen SZ-Mists auch mal in den Biergarten gehen kann.

  2. Dass die SZ-Verkaufskästen in letzter Zeit immer leer sind, habe ich auch beobachtet. Die Titelblätter am Kasten werden trotzdem täglich ausgetauscht.

  3. Gibt es irgendetwas in der Welt von Michael Sailer, was nicht rechts oder faschistisch oder faschistoid oder wirtschaftsfaschistisch oder nazistsich ist? In dem obigen Artikel fehlen allerding die kleinen hübschen Hitlerbildchen, mit denen er seine Artikel immer so liebevoll aufhübscht.

    1. Wenn Ihnen z. B. BILD oder WELT Nachrichtensender oder was da noch an freiheizlichen Medjen bei „uns“ aufmarschiert, Noch Nicht faschistisch genug sind, Lieber Gegen Hass & Hetze im Netz, dann weiß i a ned.

      (Wieder „Rrussen Kolonne“ vernichtet, Hurra, und zu Dünger verarbeitet, Hahaheilll Roepcke !)

      (und Bild & Welt sind trotz ihrer evtl. rückgehenden Printzahlen Profis, die nehmen nicht jeden, sind staatspolitisch erwünscht u. wichtig)

      (ZDF Claus Kleber ist neulich drauf gekommen, dass „Putin“ doch tatsächl. 1 Atom-Macht ist, und ihm dies evtl. nützt, aber das läuft dann eher unter Debil…)

    2. Gegen „Gegen Hass und Hetze im Netz“ – und alle anderen PR-Agenten und Trolle im Netz.

      Witzig ist ja, dass bei SA-„Antifa“ und allem „gegen rechts“-Aktivismus ganau das zutrifft, dass alles und überall alles „rechts oder faschistisch oder faschistoid oder wirtschaftsfaschistisch oder nazistsich“ ist. Wir ständig vor der Machtübernahme stehen, die AfD und die Reichsbürger ständig Putsche durchführen, die Reichstagstreppe stürmen lassen und mit Rollatoren und Kartoffelsäcken bewaffnete Armeen gegen die Demokratie marschieren.

      War das jetzt eine Selbstpersiflage eines vielleicht sich irgendwie „links“ Fühlenden, so eine Art Weckerkoksbruder im Geiste? – oder hat der Schreiberling irgendwie sich selbst nicht verstanden?

      Oder soll das hier einfach ein bisschen belebend wirken?

      Ich gebe ja zu: manchmal habe ich den Verdacht dass Blogbetreiber ihre eigenen Trolle machen. Aber natürlich nicht Michale Sailer 🙂

      Ich vermute eher, dass sich Herr Sailer ein paar Lieblingsfeinde gemacht hat, die sich irgendwie ja auslassen müssen.

  4. Ctuhul und Co. ja, war denen die Phantasie ausgegangen oder einfach alles schon mit Markenrechten belegt?
    Das Omega-Virus zB wurde ja schon bei James Bond mit dem deutschen Bösewicht (vor Augen aber Name gerade nicht parat, Gert Fröbe? genau!) auf seiner Piz-Buin-Bergfeste verbraten …

    Ist das den PR-Thinktankern dann vielleicht doch zu Irrealitäts-nahe erschienen, um den Namen zu benutzen?

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