(periphere Notate): Die große Oper der Nazis

Die geschürten und sich selbst akkumulierenden Haß- und Hetzkampagnen gegen „Querdenker“ wachsen sich in einer Weise aus, die man als beängstigend empfinden kann. Sie brauchen eigentlich nur noch einen „Zünder“. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie Eifer und Empörung entlang einer Achse zunehmen: Je verzweifelter und lächerlicher die Bemühungen der politischen Führer werden, über das Drittel Fanatiker, Jünger und Mitläufer sowie die nicht geringe Zahl notgedrungen sich Fügender hinaus „Impfwilligkeit“ zu erzwingen, je absurder ihre „Maßnahmen“, Beschwörungen und Drohungen werden, desto wütender werden die Beschwörungen und Drohungen der Gläubigen, die über „Flatten the curve!“, „Stay the fuck home!“ und „Reißt euch doch noch zwei Wochen zusammen!“ nun bei „Querdenken tötet!“, also mitten im Schmelztiegel von Rassismus, Antisemitismus und Weltverschwörungsmythos gelandet sind. Das, möchte man meinen, ist schneller gegangen als gedacht. Nur den Historiker wundert das Tempo der Fanatisierung weniger.

Gleichzeitig eskaliert auch die Heiligenverehrung. Die Kölner Oberbürgermeisterin etwa glaubt, die Gründer der Firma BioNTech hätten „die ganze Menschheit“ gerettet. Solche messianischen Tiraden sind auf andere Weise im Grunde nicht weniger beängstigend. Man muß fast froh sein, daß von den politischen Führern anscheinend keiner – zum Glück nicht mal der Söder – dazu taugt, solch religiösen Jubel zu entfachen. Das wäre bei entsprechender Diskussion: der Funke.

Daß derweil ein Mann in einer Tankstelle den Tankwart erschießt, weil der ihn aufforderte, eine Maske zu tragen, könnte ebenfalls als „Zünder“ taugen, reicht aber hoffentlich nicht hin. Der Volkssturm, der daraufhin in gewissen „sozialen Medien“ lostobte und sich um einschlägige Hash-tags (siehe oben) sammelte, ist jedoch bezeichnend. Was diese Art von (noch virtuellem) Mob so gefährlich macht: die spontane Selbstverständlichkeit, mit der die vermeintlichen oder tatsächlichen Motive und Affekte eines offensichtlich Geisteskranken auf eine ganze (gefühlte) Bevölkerungsgruppe von „Gleichgesinnten“ übertragen und zugleich mimetisch imitiert werden. Da helfen die einschlägigen Hetz- und Horrorbilder etwa des „Tagesstürmers“, die den Stimmungsboden für solche Entgleisungen bereitet haben: Tragen die nicht alle eine Pistole in der Tasche? Die wollen uns jetzt alle erschießen!

Daß ein derartiger Massenwahn gerne eine sich bedroht fühlende Mehrheit oder wenigstens Masse und nur sehr selten eine sowieso drangsalierte und „gezwiebelte“ (H. Prantl) Minderheit befällt, ist bekannt. Es könnte damit zu tun haben, daß man so endlich ein Ventil gefunden zu haben glaubt, über das sich die diffusen Ängste, Beklemmungen und die zunehmend panische Stimmung, die von ganz anderen erzeugt wurden, entladen können. Das steigert den (und zugleich der) Rausch der Macht.

Das Beispiel des Reichstagsbrandes in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 (eine Woche vor den Wahlen) ist an den Haaren herbeigezogen, aber nicht ganz abwegig. Unabhängig von der Frage, wer aus welchen Motiven das Feuer gelegt hatte, sollte man sich gewisse (kolportierte) Reaktionen ins Gedächtnis rufen. Als Hitler am Ort des Geschehens eintraf, soll ihm Innenminister Göring entgegengeplärrt haben: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes! Sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“

Was Hitler geantwortet haben soll, ist von solcher Brutalität und Antimenschlichkeit, daß einem selbst aus der historischen Distanz der Atem stockt und sich jede Gleichsetzung verbietet: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Vielleicht und hoffentlich wirkt das Exempel noch eine Weile abschreckend und hemmt die Entfesselung.

Strukturelle Assoziationen lassen sich indes nicht vermeiden. Die deutschen Kommunisten waren 1933 eine kleine Minderheit – inklusive sämtlicher Sympathisanten wohl allerhöchstens ein Viertel der Deutschen –, die schon vor dem „Urknall“ des Brandes ziemlich ausgegrenzt am Rande der Gesellschaft standen oder kauerten und (möglicherweise abgesehen von ein paar größenwahnsinnigen beziehungsweise verzweifelten Träumern) ganz bestimmt nicht vorhatten, mit einem bewaffneten Staatsstreich die Macht zu übernehmen und dazu erst einmal das Parlamentsgebäude niederzubrennen. Das hinderte die Hitler-Regierung, ihr Umfeld und große Teile der (noch relativen) Mehrheit der Bevölkerung, die schon zuvor sehr fest hinter ihrem Führer stand, nicht daran, einen solchen Umsturz als Schreckensbild an die Wand zu malen und damit den Terror auszulösen, der den vermeintlich im Dunkeln sich anbahnenden „kommunistischen Terror“ im Keim ersticken sollte. Mit der Aufhebung diverser Grundrechte begann am 28. Februar der permanente Ausnahmezustand, und mit ihm wurde die relative Mehrheit schlagartig absolut.

Daß die gleichen Grundrechte auch jetzt aufgehoben sind und der galoppierende Ausnahmezustand faktisch längst permanent und unabhängig von allen fadenscheinigen Begründungen gilt, ist – wie gesagt – ein an den Haaren herbeigezogener Vergleich. Immerhin gibt es wenigstens diese fadenscheinigen Begründungen noch; es kann vermutet werden, daß zumindest ein Teil derer, die parlamentarisch beziehungsweise als per „Infektionsschutzgesetz“ Ermächtigte sich auf solche Begründungen berufen, davon tatsächlich überzeugt sind. Es kann jedoch auch vermutet werden, daß die, die damals die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ formulierten, ebenfalls sehr überzeugt von der „kommunistischen Gefahr“ waren. (Wobei ich persönlich das dem Göring nicht im geringsten abnehme. Man kann den bekannten Wortwechsel im Reichstagsbrandprozeß zwischen ihm und dem Angeklagten Georgi Dimitroff – der freigesprochen und später bulgarischer Ministerpräsident wurde – aber vielleicht auch anders deuten.)

Ob oberhalb der manipulierten Volksmasse irgend jemand etwas fürchtete oder nicht – entsprechende Drohungen jedenfalls gab es schon länger. Hitlers Vorgängerkanzler Schleicher hatte noch am 15. Dezember 1932 übers Radio im Zuge vermeintlicher „Lockerungen“ zuvor erlassener Notverordnungen angekündigt: „Den gewerbsmäßigen Unruhestiftern ebenso wie einer gewissen aufreizenden, die Atmosphäre vergiftenden Presse darf ich in diesem Zusammenhang warnend zur Kenntnis bringen, daß eine solche Verordnung fertig im Schubkasten liegt (…).Ich möchte (…) die staatsfeindliche kommunistische Bewegung nicht im Zweifel darüber lassen, daß die Reichsregierung auch vor drakonischen Ausnahme-Bestimmungen gegen die kommunistische Partei nicht zurückschrecken wird, falls sie die Lockerung der Zügel zur vermehrten Verhetzung der Bevölkerung mißbrauchen sollte.“

Wie zulässig oder abwegig solche Vergleiche und Assoziationen auch immer sind: Es ist nicht falsch, sich zu erinnern. Bedenken sollte man dabei insbesondere, daß von dem, was später folgte – nach der Wahl am 5. März, nach dem am 24. März mit großer Mehrheit vom Reichstag verabschiedeten „Ermächtigungsgesetz“ (Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich) und der damit verbundenen Abschaffung der Gewaltenteilung, nach der Olympiade 1936, nach 1938, 1941, 1944 und so weiter – zu diesem Zeitpunkt kaum jemand etwas ahnen konnte.

Für das „Ermächtigungsgesetz“ stimmten übrigens auch die Abgeordneten der liberalen Deutschen Staatspartei, unter ihnen der spätere Bundespräsident Theodor Heuß (dann FDP) und der spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Reinhold Maier, der dieses Amt durch eine Koalition mit der SPD und dem neofaschistischen Bund der Heimatlosen und Entrechteten (BHE) erlangte (wofür manche seinen Ausschluß aus der FDP forderten, die ihn statt dessen zu ihrem Bundes- und später Ehrenvorsitzenden machte). In der Begründung der Zustimmung stellte Herrn Kretschmanns Vorgänger fest: „Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler vorgetragen wurde (…). Wir verstehen, daß die gegenwärtige Reichsregierung weitgehende Vollmachten verlangt, um ungestört arbeiten zu können (…).“ Nach dem Krieg munkelte man, die „Liberalen“ hätten nur zugestimmt, weil sie in Sorge um verbeamtete Parteimitglieder gewesen seien, für die man Repressalien bis hin zur Entlassung aus dem Dienst befürchtet habe. (Da haben andere andere Sorgen.)

„Wir müssen uns völlig klar darüber sein, daß der Faschismus keine orts- oder zeitgebundene, vorübergehende Erscheinung ist.“ (Georgi Dimitroff)

In allzu großer Sicherheit sollte sich niemand wiegen. Da es den Menschentypus des „Querdenkers“ per Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Geheimgesellschaft oder Partei nicht gibt, kann im Prinzip jeder auch ohne große Verschwörungstheorie zu einem solchen werden. Es genügt, schwere „Impfnebenwirkungen“ zu erleiden und diese nicht energisch genug abzustreiten und zu leugnen. Es genügen auch andere Lappalien. So sitzt dann plötzlich eine Opernsängerin, deren Impfarzt sich weigert, ihre „Nebenwirkungen“ ordnungsgemäß zu melden, in einem Boot mit einem Tankstellenmörder.

Da hilft dann auch kein „Pranteln“ mehr. Diese wunderliche rhetorische Technik beherrscht niemand so gut wie der ehemalige SZ-Redakteur Heribert Prantl. Sie dient vor allem der Beschwichtigung und wäre solcherart lobenswert, wenn sie nicht immer wieder darauf zielen würde, in Konflikten zwischen mächtigen Mehrheiten und machtlosen Minderheiten die Mehrheit zu bestätigen, indem der Minderheit scheinbar zu Hilfe geeilt wird. Dabei kommt dann zum Beispiel ein Kommentar heraus, der zur Mäßigung der tobenden Wut gegen „Impfverweigerer“ rät, dabei aber mit schiefen Bildern (man komme „mit Grundrechten geimpft zur Welt“), dummen Vergleichen (wer sich nicht impfen läßt, handle ähnlich wie jemand, der betrunken gegen einen Baum fährt) und scheinbar parlamentarischer „Neutralität“ („das Werben für das Impfen (…) gelingt mit kluger Aufklärung“) das Geschäft der Mehrheit betreibt und ihr höchstens eine etwas andere Taktik empfiehlt, um sich durchzusetzen. Ob das naiv oder schäbig, ein Beispiel für ein trojanisches Pferd oder einen nützlichen Idioten ist, mag ich nicht entscheiden, weil ich mit dieser Entscheidung im Fall Prantl seit vielen Jahren hadere.

Vielleicht ein (vielleicht überflüssiger) Tip auch für Herrn Prantl: Die leider wenig beachtete Geschichte des königlich-britischen Faschisten Oswald Mosley trägt in ihrer Verbindung von aufrichtigen Motiven, Hybris, (männlicher) Dummheit, Kampfideologie und Pazifismus, Lächerlichkeit und Farce dazu bei, zwar nicht unbedingt den Faschismus, aber das 20. Jahrhundert und vielleicht sogar die Gegenwart besser zu verstehen. Außerdem ist sie auch eine Tragikomödie, die man gelungener kaum erdichten könnte.

(Nachtrag: Leider zu spät gesehen und gelesen bei Artur Aschmoneit, paßt aber sehr gut.)

2 Antworten auf „(periphere Notate): Die große Oper der Nazis“

  1. Lieber Michi, with all due respect: wenn du die drei Viertel der Bevölkerung, die sich impfen lassen oder dazu bereit sind, pauschale als „Jünger, Fanatiker und Mitläufer“ bezeichnest, begibst du dich auf dasselbe Niveau, wie diejenigen, die in jedem Andersdenker einen Nazi sehen.

    1. Da hast du recht, lieber Ludwig, da bin ich quasi selbst dem auf den Leim gegangen, was ich zu beschreiben versucht habe. Ich hab versucht, es etwas realistischer zu formulieren. Danke für den Hinweis auf meine Gedankenlosigkeit …

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