Arbeit ist (ich versuche das mal so zu paraphrasieren, daß man dieses Heft eventuell auch in eine Kirche mitnehmen kann, ohne die nächsten drei Wochen damit verbringen zu müssen, auf Erbsen kniend Avemarias herzubeten) Kot. Das liegt einerseits daran, daß die Arbeit, die auf diesem Planeten stattfindet, zu neunundneunzig Prozent vollkommen sinnlos ist und nur dem Zweck dient, Geldvermögen zu vergrößern, die sowieso schon viel zu groß sind. Und dabei so nebenbei die Lebensgrundlagen fast sämtlicher Lebewesen auf dem Planeten zu vernichten (abgesehen von den Ameisen, die die Arbeit möglicherweise erfunden haben).
Einerseits. Andererseits ist die Arbeit, die auf diesem Planeten stattfindet, auch noch so komplett idiotisch organisiert, daß selbst der sinnvolle Bruchteil keinen Spaß macht und zur Folter ausartet.
Da macht zum Beispiel jeder irgendwas, was mit irgendwas zusammenhängt, was er nicht versteht und wovon er keine Ahnung hat. Der eine schleift den ganzen Tag Metallstücke, ohne zu wissen, daß jedes davon in einen Zapfhahn hineingehört, der ohne das Metallstück kein Bier ausspucken kann. Der andere zapft Bier, kann das aber nicht mehr tun, wenn das Metallstück kaputt ist. Wüßten beide voneinander (und dazu noch der Braumeister und ein paar weitere Beteiligte), könnten sie den gesamten Vorstand, Firmenchef, Aufsichtsrat und sämtliche Aktionäre und sonstige Profiteure auf den Mond schießen, ohne daß irgend jemand davon einen Nachteil hätte.
Das ist der Fließbandeffekt: Wenn in einem Arbeitsprozeß jeder nur noch ein kleines Rädchen ist, das keine Ahnung von seiner eigenen Funktion und der Funktion aller anderen und dem Gesamtzusammenhang hat, dann kann man die alle prima ausbeuten. Banal, wissen wir seit Charlie Chaplin und Henry Ford. Letzterer hat das nämlich erfunden. Angeblich. Und ist damit unfaßbar reich geworden. Und war auch noch „sozial“, das heißt: Er hat seine Opfer zwar ausgebeutet und ihrer Lebenszeit beraubt, sie dafür aber immerhin ein bisserl betüttelt und ihnen die Möglichkeit eröffnet, sich ein Auto zu kaufen, um auf dem Weg zur Arbeit im Stau zu stehen.
Das nennt man heute gerecht. Schließlich war es seine Idee, Menschen an ein Fließband zu stellen, um sie zu demütigen, zu entmündigen, auszuquetschen und langsam zu töten und dabei selber Geld anzuhäufen, das er niemals ausgeben konnte, das den anderen aber fehlte. Der hat das „verdient“, weil Idee ist Idee und Arbeit ist nur Arbeit.
Stimmt aber gar nicht, war gar nicht die Idee vom Ford. Arbeit durch Maschinen zu organisieren und kontrollieren zu lassen, darauf waren andere schon vor ihm gekommen. Die wollten auf diese Weise im späten 19. Jahrhundert die US-amerikanischen Schlachthöfe effektiver machen, damit mehr und billigeres Fleisch herausquoll, mit dem man mehr und billigere Arbeiter ernähren konnte. Wer sich ein Bild vom Ausmaß des Schreckens machen möchte, das in den Tötungsanstalten herrschte, der lese Berichte aus jener Zeit. Ich rate ab, wenn man sein Frühstück im Leib behalten will. Kurz gesagt: Es war ein ziemlich wilder Höllenpfuhl von Blut, Schweiß und Scheiße, von Angstgebrüll und Seuchenschleim, der da tobte, fast ein Sinnbild des Elends der menschlichen „Entwicklung“, das Maler wie Otto Dix erst bildlich darzustellen wagten, als man ein paar Jahrzehnte später daran ging, Menschen auf ähnlich infernalische Weise zu Hunderttausenden abzuschlachten, und das beschönigend „Weltkrieg“ nannte.
Nun also traten die Erfinder auf den Plan und hatten hochfliegende Pläne. Es brach ein wahrer Sturm der Ideen und Konstruktionen aus, die allesamt einem Zweck und Ziel dienten: Mechanisierung! und zwar möglichst komplett! Daß die Schlachthöfe Vorrang hatten, lag an der befürchteten Renitenz des Menschen: Nicht lange zuvor waren die Opfer der ersten Mechanisierungsprojekte bandenweise durch die Lande gezogen und hatten die Maschinen, die ihre Arbeit in Müll verwandeln sollten, mit Hammern und Hacken zu Klump geschlagen. Viecher, dachte man, sind da gefügiger. Schließlich sind sie blöd, und selbst wenn mal eines aufbegehrt, spielt das keine große Rolle, weil es ja sowieso zu Wurst zermanscht werden soll.
Die Sache ging aber grandios schief. Sämtliche Mechanisierungsversuche endeten in wüsten Aufständen: Die Tiere fanden die Maschinen zu Recht noch verdächtiger als die immerhin vertrauten Menschen. Sie warnten sich gegenseitig, rotteten sich zusammen, waren nicht mehr zu bändigen, trampelten die neuen Anlagen kaputt, und wenn es gar keinen Ausweg mehr gab, stürzten sie sich als Selbstmordattentäter ins Mechanikgetriebe hinein, wobei ihre gepeinigten Leiber so sehr verletzt und zerschunden wurden, daß man sie höchstens noch der Fast-food-Industrie andrehen hätte können, die es aber noch nicht gab. Zersplitterte Schweinshaxen oder einen eitrig vernarbten Sonntagsbraten wollte keiner kaufen, und so gab man das Projekt erst mal auf und beschloß, statt dessen den Menschen in die Maschine zu zwingen.
Der nämlich hatte sich schon lange zuvor Kirchtürme in die Dörfer stellen lassen, die per Glockenschlag verkündeten, wann die Arbeit losgeht, weil es sieben Uhr ist. Der macht so was mit. Der feierte das auch noch als Beginn der Neuzeit nach dem verschnarchten Mittelalter. Und so begann der Triumphzug von Henry Ford und Konsorten. Dem die Viecher, wie wir wissen, irgendwann auch nicht mehr entkamen, weil die Macht des angehäuften Reichtums derart immens wurde, daß er sich buchstäblich alles leisten konnte. Und weil man infolge eines europaweiten Massenvernichtungsexperiments nach dem zweiten Weltkrieg wußte, wie man so was organisiert.
Und so stehen wir heute da und preisen und ehren die Götter der sinnlosen Arbeit. Und nirgendwo erinnert ein Denkmal an das Schlachtvieh des 19. Jahrhunderts, das sich als einzige Bevölkerungsschicht des industriellen Zeitalters zumindest zeitweise erfolgreich der Unterwerfung unter die Logik der Geldvermehrung widersetzte und in diesem heroischen Kampf zwar das eigene Leben nicht retten, aber immerhin ein Zeichen setzen konnte: Es geht auch anders, wenn wir wollen.
Daran erinnert übrigens auch ein anderes Viech, das durch die Mechanisierung ebenso seinen Job verlor wie bis heute ein großer Teil der Menschheit: die einstige Brief-, heute sogenannte Stadt-, eigentlich aber nur noch Taube. Im Gegensatz zum arbeitslosen Homo sapiens jedoch läßt die sich von Ämtern, Hetzpresse und „öffentlicher Meinung“ weder zwingen noch vergattern noch die Laune vermiesen, und es ist ihr auch vollkommen wurst, daß man sie genauso verachtet wie den arteigenen Nichtsnutz: Sie flattert fröhlich durch das industrielle Chaos und scheißt (buchstäblich) auf alles. Ein Vorbild?
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.