Im Regal: Werner Fuld „Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“

Unter den vielen sinnlosen Betätigungen menschlicher Autoritäten ist das Verbieten von Schrift-, Ton- und Bildträgern vielleicht die sinnloseste. Wer erinnert sich nicht an den Reiz idiotischer Erotik, primitiver Krimibrutalität, grellbunter Comics, martialischer Militär-Science-fiction, den all diese (und andere) Sumpfblüten des Bücherregals einzig dem Umstand verdankten, daß die Eltern sie als Schund, Schmutz, als Quellen unausweichlicher Manipulation und Verblödung gebrandmarkt und die Lektüre, oft schon das bloße Herausziehen untersagt hatten? Die Frage, wie das Zeug überhaupt ins Haus gekommen war, stellte sich nicht, erforscht mußte es werden, und immer war das Ergebnis Ernüchterung: Von Spillane bis Perry Rhodan, von Hansrudi Waescher bis Henry Miller erwies sich fast alles als unlesbar, schlecht, mindestens langweilig, aber das änderte nichts am Reiz; der blieb und führte dazu, daß das Zeug später „Kult“ wurde, als zerfleddertes Original für ungeheure Summen gehandelt, in Plastikfolie konserviert gelagert, nachgedruckt in Werkausgaben mit Kommentar und Expertise.

Dort im Regal stand, zumindest bei uns, übrigens auch das Werk des vielleicht schlechtesten deutschen Schriftstellers aller Zeiten, das indes (im Gegensatz zu manchem Akim-Comic) nie seit seinem Erscheinen „richtig“ verboten war, jedoch unter Aufbietung aller Mittel der Buchkunst – Lederrücken, Eichenholzimitat, Goldschnitt sowie (o Ironie der bösen Absicht!) Schwabacher „Judenletter“ – so monströs häßlich gestaltet, daß einen die Lust auf auch nur kursorische Lektüre schon beim Anfassen verließ.

Mit Hitlers Schwarte ist die Sache eine etwas verschlungene, versucht doch etwa der bayerische Staat in Form seines Finanzministeriums als selbsternannter Inhaber der „Nutzungsrechte“ derzeit wieder einmal, eine der vielen „Studien“- beziehungsweise „Dokumentations“- und jedenfalls Geldmacherei-Ausgaben gerichtlich zu verhindern, was auf den ersten Blick angesichts der ubiquitären Verfügbarkeit so lächerlich erscheint, wie es ist. Sollen sie ihn doch lesen oder zu lesen versuchen, den Schund, möchte man spontan rufen und den Fall damit für erledigt halten; aber so ist das mit den Verboten und der Zensur: Sind sie einmal in der Welt, strahlt ihr Glorienschein auch von nachträglichen Erlaubnissen unbeschattet weiter.

Daß der Hitler damit in derselben Kiste landet wie Nabokov, Proust, Flaubert, ist ein weiterer Dreh der Ironieschraube, die mehr Windungen hat als der längste Stahlstift im Kasten des Mechanikers. Es scheint so gut wie nichts zu geben, was nicht irgendwann einmal von Pädagogen, Herrschern, Religionsfanatikern und anderen Dumm- und Wirrköpfen jeder Coleur, von Besorgten und Bösen, Aufrechten und Verlogenen verboten worden wäre, meist aus einer Gemengelage von Motiven heraus, die schwer zu entwirren ist; und es wäre all dies in seiner offensichtlichen Peinlichkeit, Paradoxie und Hilflosigkeit ein treffliches Feld des Amusements, wenn nicht so viel Blut, Elend, Wahn und Grauen daran klebte, wenn nicht neben den Büchern oft genug auch deren Autoren und notfalls Besitzer und Leser auf Scheiterhaufen gelandet oder wenigstens gefoltert, verjagt, drangsaliert, ruiniert worden wären.

Aber amüsieren tut sie einen halt doch, diese Geschichte, weil sie gar so überreich ist an Irr- und unfreiwilligem Witz, der damit, daß es die meisten verbotenen Bücher ohne Verbot längst nicht einmal mehr als ferne Erinnerung gäbe, erst beginnt und noch lange nicht mit dem Versuch der Nazis endete, eine ganze Schrift (siehe oben) zu verbieten. Dazwischen tummeln sich: Autoren, die ihre Werke aus Reue, Einsicht, Vorsicht oder übertriebenem Hang zur Selbststilisierung vernichteten (um wie Franz Kafka aus der Welt zu verschwinden oder wie Margaret Mitchell überhaupt erst in sie einzutreten), Fürsten, die Boten durch die Welt schickten, um sämtliche verfügbare Pornographie einzusammeln, sie sorgsammlerisch verwahrten und zugleich strengst verpönten, eine katholische Kirche, die jahrhundertelang dermaßen vehement am Indizieren war (und ist), daß sie sogar das Lesen der Bibel verbot und man sich fragt, wann die Leute überhaupt noch Zeit fanden, ihre Gottesdienste abzuhalten (daß sie Kant für schädlich hielten, Hitler jedoch nicht, ist nur angesichts der Masse verwunderlich). Oft ist kaum noch nachzuvollziehen, was die Verbieter ritt: Ovid rätselte selbst, weshalb ihn Augustus ans Schwarze Meer verbannte, aber alle seine Schriften anstandslos veröffentlichen ließ. Und dem wunderbaren italienischen Großzyniker Dino Segre alias Pittigrilli wäre es sicherlich noch nach seiner Bekehrung eine Epistel wert gewesen, wenn er miterlebt hätte, daß sein famoser Roman „Kokain“ nicht nur von den Nazis und ihren Erben verboten wurde (weil er geeignet sei, „die Phantasie junger Menschen in ungesunder Weise sexuell zu erregen“, wie es 1954 hieß, wobei man gerne wüßte, was darunter zu verstehen ist), sondern 1988 mal wieder auf dem „Index für jugendgefährdende Schriften“ landete – und zwar nicht etwa weil das Buch nur so staubt vor verbotenen Betäubungsmitteln, sondern unter Berufung auf das Urteil von 1933 und folgende Passage: „Er nahm mich, stehend, gegen eine Tür gedrängt, wie man einen Schmetterling durchbohrt.“ (Im Original: „come si trafigge una farfalla“ – wogegen die italienischen Faschisten nichts einzuwenden hatten.)

Ob Welt- oder Selbstbilder wanken (von Galilei bis hin zum Exbeziehungsgeschwiemel eines Maxim Biller), Jugend oder Staat gefährdet sind, Erregung jedweder Art, von Erektion bis Massenwahn, zu befürchten steht oder (wie im 18. Jahrhundert in China) Hirnschaden durch mindere stilistische Qualität – Gründe zum Verbieten, Ächten und „Hinrichten“ von Büchern finden sich immer, und wenn man mal anfängt, ist der Furor schwer zu bremsen. Werner Fuld, der uns einst per Bestseller erklärte, „warum wir weniger wissen und mehr verstehen müssen“, müht sich in einem gewaltigen historischen Bogen unter Aspekten wie „Politiker und Propheten“, „Unmoral und Diktatur“ und „Persönlich und privat“ um Ordnung und Erklärung, sitzt dabei aber passagenweise der selbsterfundenen „Bildungslüge“ auf und ergeht sich in Aufzählungen, die außer Ermüdung wenig bringen und auch mal über die Wahrheit hinwegfegen (wenn er etwa nahelegt, die Dominikaner hätten im Mittelalter Hexen verbrannt). Wo er ins Detail geht und panoramisch blickt, ist sein Buch spannend, lehrreich und schön zu lesen, trotz vielen kleinen Fehlern (etwa der völligen Ignoranz gegenüber der unterschiedlichen Bedeutung der Wörter „mehrfach“ und „mehrmals“). Vor allem aber ist es eine reiche Quelle von Absurdem, Skurrilem und Haarsträubendem. So trug etwa die erste Liste, die Grundlage der Bücherverbrennungen im Mai 1933 wurde, den Titel „Schöne Literatur“ und war mit dem Hinweis versehen, ob die bösen Bände „alle ausgemerzt werden müssen, hängt davon ab, wie weit die Lücken durch gute Neuanschaffungen gefüllt werden“ – da schrieben die volkstreuen Dichter wohl nicht schnell genug. Gerne liest man auch von der Bücherverbrennung in Düsseldorf 1965, von der Ungleichbehandlung teurer und billiger Ausgaben desselben Buchs (weil „Pornographie zur Masturbation anrege und dadurch die Leistungsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung geschwächt werde“, nicht jedoch die anderer Klassen), vom Bürgermeister des Städtchens Burgdorf, der Helmut Kohls „geistig-moralische Wende“ vorantrieb, indem er „Schweinkram“ wie das Buch „Bikini“ (in dem es jedoch nicht um knappe Badekleidung, sondern um Atombomben ging) aus der Stadtbibliothek entfernen ließ, und vom US-Bücherhasser Anthony Comstock (1844-1915), der sich der Vernichtung von 160 Tonnen bedruckten Papiers rühmte (weniger allerdings die etwas präpotente Anmerkung, jemand „hätte ihm beizeiten alle Knochen brechen sollen“).

Eine Gänsehaut befällt einen allerdings bei dem Furor, mit dem Fuld im 10. Kapitel über die DDR und ihre Literatur herfällt („was in der DDR veröffentlicht wurde, verdient diesen Namen nicht“). Das ist bei aller Legitimität auch der bösesten Kritik so unangemessen und peinlich, daß man befürchten muß, da habe etwas von den erwähnten chinesischen Zensoren auf den Autor abgefärbt.

geschrieben Ende Januar 2012 für KONKRET

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