Belästigungen 19/2017: Hi hi hi! Ha ha ha! (ein Universalhoroskop für ein glückliches Leben)

Man muß nicht an Horoskope glauben, um bisweilen einen gewissen Nutzen aus den wahllos in der Gegend herum medisierten Lebensweisheiten, Tagesratschlägen und Gemeinplätzen zu ziehen, die Orientierungslosen in Zeiten der Orientierungslosigkeit eine gewisse Orientierung versprechen. An was soll man sich sonst auch halten? An das Fernseh, in dem seit mittlerweile Jahrzehnten immer die gleichen Berufsplauderer zusammensitzen und ihren Plapperöffnungen von Sabine-Christiansen-Klonen identischen Schwurbel entlocken lassen, um dem Volk da draußen einzudübeln, daß der Neoliberalismus alternativlos, die AfD total wichtig und der demütigende Vorgang, alle paar Jahre ein Kreuzerl auf irgendeine Liste machen zu dürfen, eine echt pfundige Demokratie und drum Superpflicht ist?

An Zeitungen, die zum Wimmelkasten von Konsumanregungen verkommen sind, seriösid geschminkt mit ein bißchen ominösem Geraune über den bösen Russen und den wahnsinnigen Ober-Ami beziehungsweise flammenden Aufrufen zum Haß („Mitten in Deutschland: Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin“ – man fragt sich, ob der „Staatsschutz“ auch „ermitteln“ täte, wenn sich derlei Skandalöses ein kleines Stück oben links von der deutschen Mitte oder meinetwegen „mitten in Oberpfaffenhofen“ abgespielt hätte, aber damit hat man schon wieder nicht mehr als einen Grund, sich überhaupt nichts mehr zu fragen)?

Oder an den Radio, diese perfekt geölte Gehirnspülmaschine, die bei täglichem Einsatz in die verhornteste graue Zelle die Gewißheit einstanzt, daß die Welt überwiegend aus Börsenkursen, Terrorwarnungen und Mitteilungen über Autos (wo sie sich zur Zeit am liebsten stauen und welch ungeheure Mühen Regierung und Industrie aufwenden, um ihre Tödlichkeit offiziell zu mildern) besteht?

Oder an die Flut von sicherlich wohlmeinenden und aus purer Mitmenschenliebe in den digitalen Äther geschwemmten Weltdeutungen und Tips, mit denen man sich heutzutage die Vormittage aus der bewußt erlebten Lebenszeit löscht und den Eindruck ins Weltbild zementiert, es gebe überhaupt keinen Menschen mehr, der nicht an Diabetes, Neuropathie, „erectile dysfunction“, Haarausfall, Nagelpilz, zu vielen Rippen, Akne, Inkontinenz, Warzen, Narzißmus, Herpes, Atomübergewicht, Psoriasis, Borderline-Schizophrenie, circa siebzehn Unverträglichkeiten und Allergien gegen jede Form von Lebensmittel und Getränk sowie schwellender, existentieller Sehnsucht nach einem Leben als Trapper im verschneiten Holzschuppen mit mindestens einem Dutzend devoten russischen Blondinen und einem Arsenal futuristischer Elektrogeräte leidet?

Nein, da hält man sich doch lieber an das, was die Sterne sagen. Heute zum Beispiel sprachen sie zu mir: „Pflichten sind nicht unbedingt das, worauf Sie heute vormittag besonders Lust haben. Versuchen Sie doch, das für Sie heute aktuelle Thema ‚Lust und Pflicht‘ so anzugehen, daß Sie es sich zur Pflicht machen, für ein paar lustvolle Augenblicke zu sorgen!“

Was allerdings selbst nach dem dritten Großbecher Grüntee ein Rätsel bleibt. Welche Art von „Thema“ soll bitte schön „Lust und Pflicht“ sein? Und wieso ist dieses „Thema“ heute für mich „aktuell“? Und wie „geht“ man ein „Thema“ „an“? Und wie schafft man es, sich pflichtgemäß lustvoll zu der Lust zu verpflichten, eine Pflicht zur Lust oder die Lust zur Pflicht zu machen, wenn doch Pflicht nicht unbedingt das ist, worauf man an diesem speziellen Vormittag (der derweil in einen ratlosen Mittag hineingeschludert ist) Lust hat?

Da dreht sich das Hirn, bis nichts mehr hilft als hinauszugehen und sich die echte Welt da draußen mal wieder anzuschauen, auf daß sie den Sinnwirbel von virtuellem Second-hand-Klamauk und Deutungshuberei mit einer pfundigen Dosis greifbarer Realität verscheuche. Und tatsächlich: Es gibt sie noch! Indes stellt man auf den zweiten Blick fest, daß sich etwas verändert hat, was nicht unmittelbar deutlich wird. Das septembernostalgische innere Auge spielt gülden gerahmte Erinnerungen ab: Da kehrte man nach zwei fröhlichen Wochen auf dem niederbayerischen Eindödhof fröhlich in die fröhliche Stadt zurück, flanierte im Wärmehauch der letzten Spätsommersonnenstrahlen durch fröhliche Straßen, umgeben von fröhlichen Menschen, die nichts lieber taten als grinsen, kichern, kudern, schmunzeln, lächeln, lachen und so fort.

Mag sein, daß es eine solche Zeit nie gab. Woher kommen dann die Bilder? Möglicherweise sind sie eine spontane Reaktion auf das, was man da draußen heute zu sehen kriegt: Da hetzen perfekt auf Sozialkrieg getrimmte Einzelkämpfer durch die Gegend, bedrohlich umröhrt von grimmig glotzenden Panzermonstern und hysterisch tobendem Event-Klimbim. Gelacht wird höchstens noch in gewissen anrüchigen Etablissements, die deshalb geräuschtechnisch derart hermetisch abgedichtet werden müssen, daß nicht das leiseste „Hi hi!“ nach draußen dringt und den alternativlosen Lauf der Dinge stört. Und auf Reklametafeln, die die Sehnsucht nach einem geglückten glücklichen Leben in die gehetzt Hetzenden hineinimpfen, damit sie nicht irgendwann drauf kommen, daß sie sich eifernd, strebend, gehetzt und dauerentertaint immer weiter davon entfernen.

Dabei hilft Lachen nicht nur gegen neunzig Prozent aller gängigen Zivilisationskrankheiten – inklusive der galoppierenden Seuche Fettleibigkeit, die dafür gesorgt hat, daß die Bevölkerung des „Westens“ in den letzten fünfzig Jahren zahlenmäßig kaum (ähem) zugenommen hat und trotzdem doppelt so viel wiegt wie einst. Nämlich verbrennt man mit zwanzig Minuten Lachen genauso viele Kalorien wie mit drei Stunden Joggen und zerlumpft sich dabei noch nicht mal die Gelenke.

Zudem ist Lachen das einzig wirksame Mittel gegen die Zumutungen der irrgewordenen Gesellschaftsmaschine. Auch deswegen haben uns böswillige Lehrer und andere Orientierungsgestalten schon im Bamsenalter eingebleut, wo es nichts zu lachen gebe, habe man nicht zu lachen, und zu lachen gebe es generell nichts, weil das Leben ernst und hart und schwer sei. Eine reine Schutzbehauptung, um Schlimmheiten zu bewahren, die eisern und ewig scheinen und doch mit dem einfachsten, ältesten und schönsten Mittel der Welt so leicht zu verscheuchen sind wie die Fernsehfressen mit einem Fingerdruck auf die Austaste. Allerdings muß man sich zuvor von den klebrigen Resten des Lehrergebleus befreien und erkennen, daß der Mensch selten lacht, weil er fröhlich ist, sondern fröhlich wird, indem er lacht.
Das läßt sich leicht überprüfen: Man stelle sich vor ein beliebiges Exemplar der fürchterlichen Wahlplakate, die derzeit die ganze Stadt verunzieren, und lache drauflos. Binnen Sekunden wandelt sich die Horrorgalerie von fies dräuenden Karrieristenvisagen in ein Ensemble von Comicfiguren, bei deren nächstem Anblick man automatisch wieder loslachen muß. Die Strategie funktioniert auch mit Schlagzeilen, Reklameplakaten, Verlautbarungen, Parolen, Produkten, Institutionen, Autoritäten (wobei eine gewisse Vorsicht anzuraten ist) und sonstigen Ärgernissen.

Drum habe ich mir erlaubt, mein heutiges Horoskop leicht umzuformulieren und es dadurch für sämtliche Sternzeichen zur Maxime über den Tag hinaus zu machen: Übel sind nicht unbedingt das, worauf Sie heute vormittag oder irgendwann in Ihrem Leben sonderliche Lust haben sollten. Versuchen Sie doch mal, es sich zur Pflicht zu machen, alles wegzulachen, was Ihrem Glück im Wege steht. Ihre Mitmenschen werden es Ihnen danken.

Schwupps! lichtet sich der Nebel, die Sonne strahlt, die Menschen auch, und die Welt ist schön.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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