Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen

Daß der menschliche Körper Öffnungen hat, ist an sich eine segensreiche Fügung, das muß man nicht extra betonen: es wäre ein Elend, wenn eine ganze Biergartenbesatzung hungertriefend und durstzerknittert vor Schenke und Auslage stünde und die Schweinshaxen nicht mal riechen könnte, geschweige denn hinunterspülen, weil sich die Evolution den Jux gemacht hätte, Nase, Mund und Restkörper als in sich geschlossenes System zu konzipieren.

Indes will es gelernt sein, mit der Semipermeabilität des eigenen Echtwelt-Avatars umzugehen. Das klassische Beispiel für sozusagen intuitive Souveränität wäre die legendäre Zeitungsmeldung, derzufolge ein blinder Inder (der vielleicht ein Chinese oder Alabamer war, aus poetischen Gründen aber ein Inder sein sollte) sich einst in den Kopf schoß, um seiner elenden Existenz ein Ende mit Hoffnung auf Wiedergeburt als Pandabär oder Milliardär zu bereiten. Leider oder zum Glück führte der Schuß nicht zum Exitus, sondern quasi eine hirnchirurgische Operation durch: Nach kurzer Bewußtlosigkeit erwachte der vormals blinde Suizidant, konnte plötzlich sehen und wurde vollends irrsinnig angesichts einer Welt, die seine schlimmsten Vorstellungen exponentiell übertraf.

Indes war in diesem Fall die Körperöffnung, in die da etwas drang und Wirksamkeit entfaltete, ja gewaltsam erst entstanden; ein Sonderfall mithin. Interessanter, weil alltäglicher ist, was Menschen ganz ohne Schnitt-, Schuß-, Stich- und sonstige Werkzeuge in ihren Körper hinein bugsieren, oft offenbar ganz ohne es zu bemerken. Damit meine ich nicht die hirnzersetzenden „Informations“-Gifte, die Springerverlag, Fernseh, Plakatwände und illustriertenbelesene Zufallsbekanntschaften tagtäglich in unser Hirn hineindüngen, wenn wir nicht rechtzeitig das Weite suchen, sondern Handfestes.

Z. B. wurde neulich in der Aachener Uniklinik ein 24jähriger Afghane (der diesmal wirklich ein solcher war) behandelt, in dessen Kopf sich ein zehn Zentimeter langer Bleistift befand. Leider sind die gängigen Mitteilungswege in solchen Fällen immer recht ungenau, und so erfahren wir nur, der Mann sei „offenbar im Kindesalter“ auf das Schreibwerkzeug „gestürzt“. Wie so was vonstatten geht, wüßten wir gerne genauer. Schließlich kann es jedem von uns beim Radlfahren passieren, daß er mal auf etwas stürzt – und sei es nur ein Haufen Bauschutt. Fünfzehn Jahre später bei der tomographischen Klärung des chronischen Gefühls von Schwermut und mentaler Last festzustellen, daß man die ganze Zeit mit einem Pflasterstein im Hirn herumgelaufen ist, wäre eine höchst sonderliche Erfahrung.

Daß die Aachener Ärzte laut Nachrichtenagentur den erwähnten Bleistift „in einer aufwendigen Operation ersetzt“ haben sollen, macht die Sache noch bedenklicher – durch was? fragen wir und denken an die viel beredete Schere im Kopf von Schreiberlingen, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn es die Herrschenden bei ihren Bemühungen, die Welt zu verwerten und zu vernichten, gar zu frech treiben und man eigentlich mal kritisch darüber berichten müßte. Schnippel schnippel wird daraus ein flammendes Jubelplädoyer für Wachstum und Deregulierung. Ein Mann mit einem Bleistift in der Birne könnte in solchen Fällen moralzermürbend wirken; vielleicht deshalb mußte das Ding heraus.

Spaßiger ist eine neue Mode, von der aus Spanien und Portugal berichtet wird: Dort stopft sich die weibliche Jugend neuerdings mit Wodka getränkte Tampons in die Vagina, wovon sie via Schleimhaut in nullkommanichts bombig berauscht wird, ohne daß bei Mundgeruchskontrollen ein verräterischer Schnapsdunst auffiele. Jede sechste Befragte zwischen achtzehn und neunundzwanzig, so erfahren wir von der wie üblich „besorgten“ Ärzteschaft, hat schon mal mit einem solchen „Tampodka“ „experimentiert“. Die Vorstellung, wie es etwa einem Herrn Brüderle gelingt, seinen Zustand ganztägig zu halten, ohne viertelstündlich mit einer Rieslingpulle an der sechstoberen Körperöffnung photographiert zu werden, drängt sich geradezu auf, soll hier indes aus geschmackshygienischen Gründen nicht näher erörtert werden.

Statt dessen möchte ich ein Gespräch, das ich unlängst mit befreundeten Angehörigen derselben Generation zum Themenbereich Liebe und Sex führte, zum Anlaß nehmen, die iberische Methode der effektiven Nutzung von Körperöffnungen für konsequent zu halten: Da nämlich wurde unter ihres- und seinesgleichen eine neuartige Prüderie und Spießigkeit beklagt, die darauf zurückgehe, daß im Dauerhagel von Formatierungsbefehlen (zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein, zu lang, zu kurz, zu hell, zu dunkel oder sonstwie unproportioniert bzw. verwachsen) kein Mensch mehr seinen Körper für wettbewerbsfähig halte, was dazu führe, daß kein Mensch sich mehr traue, ihn auch nur vor dem Spiegel zu entkleiden, von souveränem Umgang und Freude an dem, was man damit machen kann, gar nicht erst zu reden.

Eine ganze Generation, die in Jeans und Schlabberpulli zum Baden geht, die nur noch Sex hat, um sich zu beweisen oder soziale Vorteile zu erlangen, die dazu aber das Licht ausmacht oder, falls das nicht geht, den Schlabberpulli und die Socken anbehält – diese Vorstellung ist so erbärmlich, daß man sich am liebsten Augen, Ohren, Nase, Mund, Nabel und die in solchem Umfeld höchstens vulgär zu benennenden weiteren Öffnungen mit Tampodkas und entsprechender Gerätschaft befüllen möchte, um nichts mehr davon mitzukriegen.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin In München, diese Folge in Heft 12 vom 13. Juni 2013.

Eine Antwort auf „Belästigungen #412: Vermischte Neuigkeiten zum Dilemma der Körperöffnungen“

  1. Neulich bei einer Verkehrskontrolle:
    „Sind Sie mit einem Alkoholschnelltest einverstanden.“
    „Ja.“
    „Gut. Bitte Beine spreizen, weit nach vorne beugen und solange queefen, bis ich stop sage.“

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