Beim Schreiben eines Romans (9)

Während er die Badewanne vollaufen ließ, läutete es an der Tür, und im selben Moment wußte er, daß er genau das erwartet hatte.

„Du läufst aus dem Ruder“, sagte das Mädchen. Ihr Blick wirkte wachsam, als rechnete sie mit einem plötzlichen Ausbruch unkontrollierter Aggression.

„Schau nicht so, ich bin nicht krank. Nur verwirrt.“

„Das eine kommt manchmal vom anderen.“

„Oder umgekehrt“, sagte Einfreund und trat einen Schritt zur Seite, wodurch ihn der Türrahmen verbarg, „okay, Binse.“

„Gemütlicher Abend im Bademantel?“ sagte das Mädchen. „Hast du einen zweiten?“

„Okay“, sagte Einfreund und wandte sich zum Gehen.

„Bleib da, du Idiot, war ein Scherz.“

„Ich wollte gerade baden“, sagte Urbin, ohne ein „aber“ anzudeuten.

„Gut, ich auch.“

Diesmal zog Einfreund sein „Okay“ empört in die Länge, machte aber keine Abschiedsanstalten.

„Mann, ich stinke“, fuhr ihn das Mädchen an. „Du kannst inzwischen das Bett vorwärmen. Ich meine: den Tisch.“ Sie lachte, heiser, und Urbin glaubte aus diesem Lachen – oder aus der Kombination aus dem absichtlichen Versprecher und dem gezwungen wirkenden Kichern – eine bisher unbekannte Unsicherheit herauszuhören, über die er lieber nicht weiter nachdachte.

„Was ist jetzt?“ sagte das Mädchen und öffnete die Tür zum Badezimmer. „Ihr seid zum Kotzen. Das ist zum Kotzen hier.“

Mit einem gepreßten Stöhnen zog sie sich Sweatshirt und Unterhemd auf einmal über den Kopf, warf das Bündel achtlos über die Schulter, stieg aus ihrer Hose, ließ ihre Socken eine träge Halbkreisbahn durch die Küche ziehen und stöhnte auf, als ihr Fuß ins Wasser sank.

„O Gott, ist das heiß. Will mich keiner abkühlen?“

Einfreund saß mittlerweile am Küchentisch; jetzt schüttelte er den Kopf, hielt mit der Linken eine halbfertige Zigarette fest, während er mit der Rechten Urbin ins Bad winkte, wortlos.

„Du hast kalte Füße“, sagte das Mädchen, als sich Urbin ihr gegenüber in die Wanne gesetzt hatte. „Das ist gut, ich werde sonst ein Suppenhuhn.“ Und nach einer Pause, während der sie seine Zehen massierte: „Schau, so geht das.“

„Das, was hier läuft …“, brüllte Einfreund sehr plötzlich in die Küche. Eine Weile verharrten alle drei regungslos, dann rief das Mädchen, als wäre nichts oder nur etwas Gewohntes geschehen: „Ja ja, erspar uns das bitte.“

Das nächste, was sie hörten, war das Zuschlagen der Wohnungstür, diesmal so heftig, daß Urbin fürchtete, die Tür sei wieder aufgeflogen und biete nun neugierigen Nachbarn Einlaß.

„Ich denke …“, begann er.

„Nein“, sagte sie, „nein. Ich werde ihn nicht rechtfertigen, und du wirst aufhören, auf die Null zu setzen und dich zu beschweren, wenn die Achtzehn kommt.“

„Was?“

„Ich. Achtzehn. Und jetzt laß dich endlich gehen und tu, was du willst, du Seelenkrüppel, du verdammter. Mann, da.“

Sie nahm seine Hand und führte sie ungeduldig zwischen ihre Beine, packte seinen Mittelfinger und führte ihn ein.

„Na los.“

„Das … geht nicht so einfach.“

„Ach. Bin ich dir zu jung? Zu dünn? Hätte der Herr lieber einen Elefanten?“

Urbin zog seine Hand zurück und suchte nach Worten, schüttelte den Kopf, als er keine fand und einsah, daß er sie nicht finden konnte. Das leise Plätschern des Wassers klang spöttisch. Was er sah, wenn er zwischen seine Beine blickte, war eine Provokation.

„Was tust du da eigentlich?“ fragte er hilflos.

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