Lebensplatten #002: Alice Cooper „Love It To Death“

Die Underground-Rockszene der späten Sechziger war eine ziemlich verwegene Veranstaltung, und Alice Cooper (die Band!) waren so was wie der Wurm im faulen Apfel: der wildeste Haufen von allen, fünf spindeldürre Typen um die zwanzig mit den längsten Zotteln diesseits des Neandertals in glitzerbunter Sex-Schock-Maskerade, die in wechselnden Buden mit dauerleerem Kühlschrank als Kommune zusammenlebten, sich in nächtelangen Jamsessions austobten, Gäste wie Syd Barrett, Jimmy Pages Yardbirds, Jimi Hendrix, Iggy Pop, Pharoah Sanders und Jim Morrison beherbergten und inspirierten und ihren abseitigen Phantasien freien Lauf ließen. Sie kannten sich aus der Schule, klassische Lausbuben, Außenseiter und begeisterte Fans von Salvador Dali, Surrealismus, Dada, radikalem Theater, Comics und Horror-B-Movies.

Zur Musik waren sie über diesen Umweg gekommen: Bei ihrem ersten Auftritt erklang Playback, zu dem die Buben herumhüpften wie echte Musiker, was ihnen so gut gefiel, daß sie beschlossen, echte Musiker zu werden. Autodidakten entwickeln gerne unnachahmliche Eigenheiten, und da war diese Band ein echter Lottosechser: Glen Buxtons stöhnende, grimmige Fast-falsch-Gitarrenleads, Michael Bruces abenteuerliche Harmonienfolgen, Dennis Dunaways komplettes Desinteresse an „normalem“ Baßspiel und Vincent Furniers Stimme, gleichzeitig mitreißend und angemessen kaputt, als gurgelte er täglich mit Rasierklingen und Glasscherben – einzeln und insgesamt einzigartig. Mit dem infernalisch guten Schlagzeuger Neal „Platinum God“ Smith fanden sie das fehlende Puzzlestück, und in den wüsten Sessions entstanden jede Menge „Songs“ (was man im psychedelisch berauschten Nebel der Epoche halt so nannte).

Ihre Shows waren das pure, wahnwitzige Chaos, ein improvisiertes Spontanspektakel, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen kann, bei dem alles kaputtging, was in Reichweite war, und jeder Besucher mindestens fassungslos zurückblieb (wer mutig ist, suche mal auf Youtube nach ihrem Auftritt beim „Rock ’n’ Roll Revival“ in Toronto 1968 oder ihrer Szene in dem Film „Diary of a Mad Housewife“ – aber Obacht: bleibende Schäden sind nicht auszuschließen!). Anfangs blieb allerdings kaum einer: Es gelang der noch „sich suchenden“ Band, einen Saal in drei Minuten leerzuspielen. Der einzige, der blieb, war davon so begeistert, daß er sie fortan managte. Das erste Album „produzierte“ ein weiterer glühender Fan namens Frank Zappa – er schnitt einfach alles mögliche irgendwie mit, verabschiedete sich dann wegen schwerer Darmkoliken und überließ es der Band und Ian Underwood, aus dem Chaos irgendwas zu machen. Laut Dennis Dunaway hörte sich das durch einen von Jefferson Airplane spendierten Riesenjoint zusätzlich inspirierte Ergebnis an, „als hätte man es am Grund eines Tümpels aufgenommen“.

In ähnlich „professioneller“ Manier entstand noch ein zweites Album, das niemand hören wollte, dann (1970) war klar, daß ein richtiger Produzent hermußte, um das inzwischen alle Grenzen sprengende Livemonstrum (das 1969 auch mal Led Zeppelin so vehement von der Bühne blies, das die geplante gemeinsame Tour nach dem ersten Abend abgebrochen wurde) angemessen auf Platte zu übertragen. Hitmeister Jack Richardson sagte zunächst zu, schickte dann aber vorsichtshalber lieber seinen Lehrling Bob Ezrin, und der war so begeistert, daß er zum sechsten Bandmitglied wurde. In intensiver Schwerstarbeit wurden die ausufernden Improvisationen so lange destilliert und geschmiedet, bis plötzlich so etwas wie Popmusik entstand – dunkel und gefährlich, aber catchy. Das Ergebnis war „Love It To Death“, ein zeitlos großartiges Album, und der zufällige Top-40-Hit „I’m Eighteen“.

Zwei Jahre und drei gigantische Alben später waren Alice Cooper die skandalöseste und größte Rockband der Welt, verkauften trotz Auftrittsverboten mehr Tickets als die Rolling Stones, mehr Platten als ganze Labels und ließen sich von der Branchenbibel Creem als „Punks of the Year“ feiern. Dann war der Bogen überspannt und der Ofen aus, wie der künstlerische und kommerzielle Einbruch mit „Muscle of Love“ zeigte. Halbtot vor Streß und Erschöpfung legten Alice Cooper eine „Soloalbum“-Urlaubspause ein. Sie dauerte schließlich dann doch 35 Jahre, Glen Buxton überlebte sie nicht, und niemand bemerkte den grundsätzlichen Denkfehler: ein Sänger, der genauso heißt wie seine Band, macht ein Soloalbum – hallo?

Heute ist Alice Cooper ein lustiger Showbizclown und Rockopa, eine Art Ozzy für Halbintellektuelle. Das ändert nichts daran, daß die Band, die „Love It To Death“ schuf, und die Platte selbst bis heute und wohl für alle Zeiten eine der aufregendsten, provokantesten, faszinierendsten, gefährlichsten und größten mindestens der ersten 70er-Hälfte bleibt.

geschrieben, geschrieben und gekürzt und gekürzt von 14. bis 28. Januar 2020 für die Kolumne „Meine Platte“ im Stadtmagazin IN MÜNCHEN, dort in noch einmal erheblich gekürzter Version erschienen 

 

Eine Antwort auf „Lebensplatten #002: Alice Cooper „Love It To Death““

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert