Ich gestehe: Ich habe mir eine Platte heruntergeladen. Und zwar nicht über offizielle „Stores“ wie iTunes, Amazon, Spotify und wie sie alle heißen, sondern von einer etwas zwielichtigen Webseite, die dafür nicht mal Geld wollte.
Aber was soll man denn tun? Es geht schließlich um Adrian Belew!
„Adrian wer?“ Fragt wer? Mister Oberahnungslos-und-ich-gebe-mir-keine-Mühe-das-zu-verbergen? Holla!
Na gut, dies sind wirre Zeiten. Waren sie früher auch. Damals: als Adrian Belew in den Bands von Frank Zappa (auf „Sheik Yerbouti“) und David Bowie (auf „Lodger“) spielte. Da hineingeraten war er sozusagen wie die Jungfrau ins Kindbett: Seine Coverband Sweetheart spielte irgendwo, Zappas Chauffeur war zufällig da, und ob Adrian (der nicht mal so hieß) irgendwann mal richtig Gitarre spielen gelernt hatte (nein), fragte niemand. Weil er so gut war, so wild, so zügellos fantastisch, krachert, unorthodox und genialisch. Weil er (bei Bowie) einfach spielte, ohne auch nur die Akkordfolgen oder die Tonart zu kennen.
Belew spielte dann bei den Talking Heads (auf „Remain In Light“), mit Laurie Anderson, Joe Cocker, Herbie Hancock, Jean-Michel Jarre, Cyndi Lauper, Mike Oldfield, Nine Inch Nails, Ryuichi Sakamoto, William „Kirk“ Shatner, Paul Simon, The Bears, machte ein Soloalbum („Lone Rhino“, 1982), dem bis 2009 ungefähr 15 weitere, teils höchst experimentelle folgten, und stieg bei King Crimson ein, deren Klang er bis 2003 maßgeblich prägte. Er produzierte ein bißchen, stand mit tausend Leuten auf tausend Bühnen … und trug wahrscheinlich mehr zur allgemeinen Verbreitung von Stil, Sound und Attitüde seiner Hauptvorbilder (Beatles und Jimi Hendrix) bei als diese selbst.
Und dann nahm er ein neues Soloalbum auf, eines mit richtigen Songs. Und was für Songs: Jeder einzelne davon wäre genug, um je ein Album sämtlicher erwähnten Künstler (und einiger mehr, erwähnen wir bloß mal XTC und diverse Solo- und Pseudo-Beatles) als Zentrum zu tragen, es mit ein wenig Füllfutter außenrum als Juwel im Backkatalog strahlen zu lassen. Man hört, wo er herkommt, und man staunt, wo er überall hinwill, was dem Mann alles einfällt; man fragt sich stellenweise, wie einer mit siebzig (!) so ungeduldig, so witzig, abenteuerfreudig und leichtsinnig sein kann: Fast jeder Song (die Hardrock-Krachorgie „Obsession“ vielleicht mal ausgenommen) fängt völlig anders an, als er weitergeht, kaum einer ähnelt dem anderen, und circa alle zehn Sekunden möchte man jauchzen vor Entzücken, weil die neue Idee fast noch besser ist als die letzte und den Song noch besser macht, als er sowieso schon ist. Ein Meisterwerk unter den Meisterwerken. Eine Platte, die ganz allein viele Sommer füllen und erfüllen kann (und Winter in Sommer verwandeln). Gäbe es noch „richtige“ Popcharts wie zum Beispiel von 1966 bis 1980, wären die Plätze eins bis zehn für lange Zeit wechselweise reserviert (nur das abschließende Instrumental „Luminous“ wäre dafür vielleicht zu atmosphärisch und diskret; das macht es nicht schlechter).
Und dann: geht Herr Belew (der übrigens auf der Platte alles selbst gespielt hat) mit seinem „Power Quartet“ auf Tour – und läßt das Album am Merchandisingstand verkaufen. Und sonst nirgends. „Hey Adrian“, fragte ihn kürzlich jemand per Internet, „wo kann ich die Platte denn kaufen, von der ich so viel Gutes gehört habe?“ „Momentan“, antwortete Adrian, „gibt es sie nur als ‚soft release’. Wir spielen mit der Idee, ein ‚richtiges’ Label mit reinzunehmen, jemanden, der die Aufmerksamkeit und Promotion liefern kann, die dieser zukünftige Klassiker verdient. Ich hoffe, er wird sehr bald für euch alle zugänglich sein.“
Das hoffe er auch, schrieb ein anderer, nämlich sei „Pop Sided“ so gut, daß es wehtue und er Tränen vergieße bei dem Gedanken, er hätte es nicht durch puren Zufall gefunden und gehört.
So gut, daß es wehtut? Ach was, „Pop Sided“ ist so schön, so großartig, bescheiden, bezaubernd, intim, verschroben, wundervoll, genial und unfaßbar fantastisch gut, daß nichts mehr wehtut. Nur die Tatsache, daß offenbar immer noch niemand sich in der Lage fühlt, die Platte „offiziell“ zu veröffentlichen. Uns Eingeweihten kann das egal sein, dem Rest der Welt nicht. Also, werte Plattenfirmen: Macht euren Job, und wenn’s das erste und letzte Mal wäre!
Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.