Bei keiner Band der Weltgeschichte (sagen wir: seit Caesar und Kleopatra) scheiden sich die Geister so wie bei dieser – und zwar tausendfach, jeweils in zwei Lager. Pop oder Rock? Classic oder spät? Mercury, May, Deacon oder Taylor? Kitsch oder Erde? Ziehen wir ein paar Trennlinien, denn eines ist allen Lagern klar: ein Leben ohne Queen ist wie ein Leben ohne Sex. Oder ein Leben ohne Science Fiction. Oder ein Leben ohne Stehausschank, Gummibärchen, Fußball. Oder so …
IN THE LAP OF THE (UNANTASTBAREN) GODS
Sheer Heart Attack (1974)
Plötzlich – auf den Tag genau acht Monate nach dem höchstens „vielversprechenden“ zweiten Album – stimmte alles: Mit ihrem dritten katapultierten sich Queen aus dem tiefen Sumpf der zweiten Liga, des Probierens, Imitierens und orientierungslosen Herumlavierens auf einen Sphärenthron, an den nichts und niemand mit den gestrecktesten Fingerspitzen auch nur entfernt heranreichen konnte. Abgesehen von Brian Mays affigem Gitarrensolo in „Brighton Rock“ („Hallo Jimmy Page, ich hab den halb so Langen!“) gibt es auf der Platte keinen Moment, der nicht perfekt ist. Das hat (mindestens) zwei Gründe: Zum einen ist kein Song drauf, der nicht wenigstens rundherum gelungen ist. Der zweite Grund ist (so seltsam das bei dieser Band klingen mag) die Kunst der Reduktion: Queen haben gelernt, den Übermut beim Arrangieren an die stramme Kandare zu nehmen und auf die Bremse zu treten, bevor Firlefanz und Blödsinn ausarten. Und sich trotzdem bis an die Grenzen ihrer inzwischen wahrhaft imposanten Fähigkeiten als Solisten und Team auszutoben. Und dann noch mit „Ätsch! Wir können alles!“-Bravado in die diversesten Genres hineinzuwatschen. Dafür gibt es einen Begriff, der durch inflationären Gebrauch verblaßt ist, hier aber paßt wie der Schlüssel ins Schloß: Genie. Puristische Eiferer warfen der Band vor, das alles sei durch und durch künstlich, aufgeblasen und geradezu antiauthentisch. Aber hey! wenn es bei Popmusik nicht gerade darum geht, worum denn dann?
Jazz (1978)
Die zweite kreative Explosion nach „Sheer Heart Attack“. Die stilistischen Muster sind inzwischen vertraut, wirklich Neues probieren Queen hier nicht, aber sie gehen an alle Grenzen, was Dynamik, Tempo, Raffinesse und Witz angeht. Das gilt für praktisch jeden Song: die halsbrecherischen Reime in „Let Me Entertain You“, die mörderische Raserei in „Dead On Time“ (mit Gott selbst als Gastmusiker), den Arrangement-Hexenkessel von „Bicycle Race“, die Stampfhymne „Fat Bottomed Girls“, den textlichen Irrwitz von „Mustapha“, den Ego-Weltraumflug „Don‘t Stop Me Now“, aber auch die kontrastierende nüchterne Melancholie von „Jealousy“, „In Only Seven Days“ und „Leaving Home Ain‘t Easy“. Zu schweigen vom Artwork mit dem ausklappbaren Poster eines Nacktfahrradrennens. „Jazz“ ist das letzte witzige und wirklich triumphale Queen-Album. Nur Roger Taylors allzu verbissene Beiträge „Fun It“ und „More Of That Jazz“ strengen ziemlich an – und schienen endgültig zu beweisen, daß Queen alles konnten, nur keinen Funk.
A Night At The Opera (1975)
Im Grunde eine Neuauflage von „Sheer Heart Attack“: „I‘m In Love With My Car“ emuliert „Tenement Funster“ mit mehr Wucht, „You‘re My Best Friend“ und „Lazing On A Sunday Afternoon“ klingen wie Geschwisterkinder von „Killer Queen“ und „Bring Back That Leroy Brown“ und so fort. Alles ein Stück souveräner, routinierter, abgeklärter – diese Band weiß jetzt, was sie kann, und tut genau das, ohne Schwäche zu zeigen oder sich übermäßig zu bemühen. Auffällig ist die „Quadrophenie“ der vier Musiker, deren unterschiedlichste Vorlieben in Kombination Queen erst zu Queen machten. Und die Begeisterung für Nostalgie, von den 20ern und 30ern bis hin zum Volkslied noch früherer Zeiten. Andererseits fehlt jegliche Innovation und Zukunft – das gilt aber für die gesamte Rockmusik des Jahres vor Punk und New Wave, selbst die einst so futuristischen Roxy Music. Die Platte ist nicht frei von Längen und Schwächen: Die alberne Version der britischen Nationalhymne braucht kein Mensch, und der lasche „Prophet‘s Song“ ist kaum mehr als eine Stellprobe für „Bohemian Rhapsody“. Aber nach diesem Jahrhundertpaukenschlag erinnert sich an derlei Petitessen sowieso niemand mehr.
WE WILL (ZUMINDEST) ROCK YOU
A Day At The Races (1976)
Ein Album mit Muskelkater, sozusagen: Queen komponierten, arrangierten, produzierten und spielten tapfer, aber der Funke der Inspiration, die überschäumende Euphorie der ersten dreieinhalb Alben fehlt an vielen Stellen. „Tie Your Mother Down“ erinnert nun tatsächlich an Sweet (die derweil aber wesentlich heavier rockten), „You Take My Breath Away“ wirkt wie „Love Of My Life“ mit einer Überdosis Schlaftabletten, und „Drowse“ (Schlummer) heißt nicht ganz umsonst so. Selbst mancher Queen-Fan hat Probleme, auch nur die Songtitel vollständig herzubeten – das zweite „Marx-Brothers-Album“ war und blieb eine Art Nebelloch in Queens großer Epoche. Aber die Despektierlichkeit, mit der es manchmal als unerhebliche Zugabe zu „A Night At The Opera“ abgetan wird, ist ungerecht, denn gerade der fehlende Übermut sorgt für entdeckenswerte Passagen. Brian Mays beatleskes „Long Away“ verstrahlt stille, demütige, melancholische Schönheit, „You And I“ ist mindestens charmant, „Somebody To Love“ trotz dröge-doofem Finale eine hübsche Vorahnung von „We Are The Champions“, „White Man“ auch textlich fast deprimierend heavy, „Drowse“ ist bei genauem Hinhören doch recht nett, und der „Millionaire Waltz“ bezaubert (den wuchtigen Mittelteil mal ausgenommen) gerade wegen der ostentativen Bescheidenheit, nicht nur im Vergleich mit seiner Schwester „Bohemian Rhapsody“. Ein Album zum (Wieder)entdecken, das dabei noch niemanden wirklich enttäuscht hat.
News Of The World (1977)
Offizieller Folklore gemäß das Album, mit dem Queen die Stehausschänke und Freizeitheime eroberten, und freilich sind „We Will Rock You“, „We Are The Champions“ und „Spread Your Wings“ an plump aufdringlichem Populismus auf den ersten Blick kaum zu überbieten. Die wahren Juwelen sind andere: der wehmütige Blues-Boogie „Sleeping On The Sidewalk“, John Deacons luftige Ballade „Who Needs You“, Roger Taylors massiver Punk-Mittelfinger „Sheer Heart Attack“, Mays Katzentrauerlied „All Dead, All Dead“ und vor allem der grandiose Dreiakter „It‘s Late“. Hingegen übertrieb Freddie Mercury mit der Sinatra-Pastiche „My Melancholy Blues“ das Manierieren ein kleines bißchen (vor allem ohne Witz), und die Geräuschorgie „Get Down Make Love“ darf als einer der mißratensten Funk-Versuche der Musikgeschichte gelten. Das macht die Platte aber nur unwesentlich schlechter; wo gehobelt wird, fallen halt auch mal Blechspäne in die Sahnetorte.
SPREAD YOUR WINGS
Queen (1973)
Goldene Zeiten des Vinylüberflusses, als man Alben aufnehmen durfte (oder mußte), ehe der erste vernünftige Song fertiggeschrieben war – einfach nur um präsent zu sein und sich photographieren lassen zu können. Queens Debüt zeigt eine Masse Talent und instrumentales Können; die vier Jungmusiker toben ihre Fähigkeiten ziemlich hemmungslos aus, finden aber noch keinen kompositorischen und stilistischen Faden. Das Album wirkt wie ein Haufen von Skizzen, teilweise derivativ (ein Kritiker bezeichnete die Band als „Sweet in heavy“) und mau, teilweise selbstverliebt und so mit Ideen vollgestopft, daß die „Songs“ förmlich explodieren, ohne wirklich Songs zu werden (typisches Beispiel: „My Fairy King“, das klingt wie ein durch den Kompostschredder gedrehter Led-Zeppelin-Track). Interessant zu hören, vor allem was die Wurzeln in Glam-, Prog- und Hardrock und später geschmackvoller umgesetzte Ideen angeht, aber am Stück ziemlich strapaziös und streckenweise peinlich.
NOW I‘M (ZUMINDEST) HERE
Queen II (1974)
Aufs erste Hören derselbe Schlauch wie das erste Album, noch ausgiebiger aufgepumpt mit majestätischen, pathetischen, verstiegenen Ideen und Posen, die aber (deutlich zu hören in „Father To Son“) auf ziemlich banalem Fundament standen. Aber langsam entwickeln Queen Fingerspitzengefühl: „White Queen (As It Began)“ etwa hat schon fast so richtig Stil und entgleist bei allem Geplätscher zumindest nicht mehr in Richtung Dudel-Schrottplatz. „Some Day One Day“ ist fast schon richtig schön, und „Seven Seas Of Rhye“ rockt etwas holprig, aber immerhin stolz und unpeinlich. Wieder gibt es Ansätze, die später ausgebaut wurden (vgl. etwa Roger Taylors „Loser In The End“ mit „More Of That Jazz“ von 1978), wieder gibt es, vor allem auf der „schwarzen“ zweiten Seite, viel unausgegorenes Zuviel, das die Ansätze wieder zuschüttet, einige Momente schimmernder Schönheit jedoch verschont. Insgesamt ist aber auch dieses Album noch verstörend konturlos und die Band als solche nicht wirklich greifbar
The Game (1980)
Vieles war neu: das Studio in München, der Produzent (Mack), der Einsatz eines Synthesizers, das Vertrauen auf Technik statt spielerische Brillanz. Heraus kam eine seltsame Mischung aus Perfektion und Plunder: „Save Me“ ist klassischer Stadionrock von der Stange, „Crazy Little Thing Called Love“ die wohl gekonnteste Rockabilly-Hommage überhaupt, und mit „Another One Bites The Dust“ bewiesen Queen, daß sie Funk eben doch konnten, wenn auch sehr weiß, aber und wie! Dazwischen lungern gesichtslose Nummern wie „Rock It (Prime Jive)“, „Don‘t Try Suicide“ und „Coming Soon“ herum, und echte Entdeckungen gibt es nicht. Im Grunde eine Triple-Single mit vielen B-Seiten.
Hot Space (1982)
Das Album, auf dem Freddie Mercury endlich seinen unterdrückten erotischen Energien freien Lauf lassen wollte, gilt als Paradebeispiel für den Moment, in dem eine Band komplett den Faden verliert. Es mißfiel selbst May und Taylor, die Freddie Mercurys persönlichen Manager für das Kuddelmuddel verantwortlich machten. Kann man aber auch anders sehen. Klar, „Staying Power“ ist typisch biederer, aufdringlich zickiger 80er-Plastik-Pseudo-Funk und zündet wie ein Mofa mit Kartoffel im Auspuff. „Body Language“ klingt wie ein besoffenes „Experiment“ mit einem verfehlten Weihnachtsgeschenk, ist so sexy wie ein Thermomix und ohne Fremdschämen nicht durchzustehen. Aber „Dancer“ (von May!) groovt recht anständig, wenn auch unbeholfen. „Back Chat“ ist wirklich funky, „Cool Cat“ auf sphärische Weise ebenso, und das war‘s auch schon mit den Dance-Eskapaden. Der Rest ist Queen by numbers, mal gelungen, mal epochal (mit David Bowie in „Under Pressure“), mal leicht drüber (die Schmalzballade „Las Palabras Del Amor“).
STONE COLD CRAZY
Flash Gordon (1980)
MISFIRE
The Works (1984)
Ein Jahr Pause, und irgendwie hatte sich der alte Witz und Übermut derweil endgültig verabschiedet. Eine drögere Selbstparodie als „Tear It Up“ geht kaum, „It‘s A Hard Life“ wirkt als Ballade ebenso (vergeblich) bemüht, „Man On The Prowl“ wärmt „Crazy Little Thing“ nicht sonderlich überzeugend auf, und „Machines“ ist purer, nervtötender Quatsch. Selbst die Hits „Radio Ga Ga“ und „I Want To Break Free“ wirken ideenlos, leer und steif. Sicherlich kein schlechtes Album, nur leider weitgehend uninspiriert und absolut witzlos.
A Kind Of Magic (1986)
Noch ein Fließbandalbum, für „alte“ Queen-Fans von Anfang an (das eklatant stumpfe „One Vision“) kaum zu ertragen. Die Filmauftragsarbeit „Gimme The Prize“ (für „Highlander“) haßten nicht nur Deacon und Mercury, sondern auch der Regisseur, und „Don‘t Lose Your Head“ kann sensible Gemüter zum Amoklauf anregen. Der Titelsong immerhin hat eine gewisse Leichtigkeit, aber bei „One Year Of Love“ möchte man Freddie tröstend in den Arm nehmen und ihm sagen, er müsse das nicht tun (und schon gar nicht so einen selbstparodistischen Kitsch wie „Friends Will Be Friends“). Und die ganze Band möchte man anflehen, die Synthesizer jetzt endlich wieder wegzusperren und in Sachen Komposition, Arrangement und Spielen die kreative Sau rauszulassen. Aber wahrscheinlich waren die „alten“ Queen spätestens mit „The Game“ einfach leergespielt, und gehorcht hätten sie angesichts des Erfolgs sowieso nicht. (Dies gilt im wesentlichen auch für „The Miracle“, „Innuendo“ (mit Einschränkungen) und (sowieso) „Made In Heaven“.)
IN THE LAP OF THE GODS (REVISITED)
Live Killers (1979)
Freilich war es ein Wildlederhandschuh ins Gesicht der Puristen, bei „Bohemian Rhapsody“ live Bänder laufen zu lassen (anstatt zum Beispiel einen vierzigköpfigen Chor auf die Bühne zu stellen). Geil aber: die Bandeinspielungen dann auch noch mitzuschneiden und als Livealbum zu veröffentlichen. Tausendmal geiler: „Love Of My Life“ mit Publikum als Spontanchor zu einem Leben zu erwecken, das sogar einen Kofferradio in ein Stadion verwandelt. Allein dafür: viele Sterne.
IT‘S ALL TOO LATE
Alles, was nach Freddie Mercurys Tod unter dem Namen Queen erschien, sämtliche Soloalben und Nebenprojekte: Finger weg!