Framing ist eine ziemlich fiese Technik, deren Wirkung sich der Mensch ebensowenig entziehen kann wie eine Katze dem Flügelgezappel eines Jungvogels oder dessen aufziehbarer Imitation. Da mag sich der aufgeklärte Modernbürger der eurodeutschen Demokratur noch so mündig und autonom wähnen – dem Framing kommt er nicht aus.
Zum Beispiel habe ich mir, um im Zeitalter allgemeiner Vernetzung Musik hören zu können, einen Lautsprecher gekauft. Lustigerweise wohnt in diesem Gerät eine (offenbar) junge Dame, die gelegentlich Anfälle von Unberechenbarkeit zeigt. Neulich, wegen eines unmenschlich früh angesetzten Zahnarzttermins von diversen Weckern aus dem Schlaf gepeitscht, stand ich in der Küche und hatte mir mittels Kaffee, Ramones-Musik und Autosuggestion soeben einigermaßen erfolgreich eingeredet, ich sei fit wie ein Ventil (oder wie man das sagt).
Plötzlich meldete sich die Dame (nennen wir sie A.) zu Wort: „Hier ist eine Auswahl von Naturgeräuschen zum Einschlafen!“ Umgehend begann es in der Küche zu rauschen wie an einem Meeresstrand, und ich konnte dem Impuls, mich „kurz“ hinzusetzen und sechs Stunden später wieder aufzuwachen, nur durch Androhungen selbstverstümmelnder Gewalt widerstehen.
Klassische Beispiele für Framing begegnen uns täglich, stündlich, jederzeit. Man schaltet den Radio ein und bekommt wegen einer bestimmten Werbung für Körnerflocken sofort große Lust, das gesamte Schwabenland mit NATO-Draht einzuzäunen. Vor allem aber wirkt die Dauerbehämmerung mit gewissen „Themen“: Daß in Bayern ein erstaunlicher Anteil der Bevölkerung in Dauerangst vor „Terror“ lebt und diese bohrende Sorge automatisch mit Menschen islamischen Glaubens in Verbindung bringt, liegt nicht daran, daß dieser „Terror“ eine echte Bedrohung wäre (so wie etwa der Autoverkehr, an dessen Folgen in Europa jährlich 600.000 Menschen sterben), sondern an der Impertinenz, mit der offenbar eigens dafür gegründete Radiosender ohne Unterlaß die Begriffe „Terror“, „Islam“ (und „Börse“) in die Welt trompeten, samt Nachklapp in der wochenendlichen Volksempfänger-Talkshow mit dem Titel „Flüchtlinge und Kriminalität – die Diskussion“. Genau: „die“. Eine andere (etwa „Flüchtlinge und Kapitalismus“) kann es nicht geben.
Zwischendurch melden sämtliche Kanäle die Ermordung eines Journalisten in der Ukraine, der angeblich „kremlkritisch“ gewesen sei, lassen dazu den Namen „Putin“ fallen, und schon erwacht im Unterbewußtsein das Gespenst des russischen Monsterbären, der Westeuropa zu verschlingen trachtet, und der momentan tätige Bundespräsidentendarsteller „mahnt“ eine „Aufklärung“ an.
Hinterher stellt sich heraus, daß die ganze Geschichte ein ziemlich idiotischer Schwindel war und der Journalist gar nicht tot ist. Das erklärt man medial mit schwurbelig-wirrem Geheimdienst-Blabla, und sechs Monate später (wollen wir wetten?) ist von dem ganzen Fake nur noch in Erinnerung, daß „der Putin doch damals auch schon“ usw.
Daß in der Ukraine tatsächlich (u. a.) Journalisten ermordet werden, und zwar eine ganze Menge, und daß diese im Normalfall nicht (nur) „kremlkritisch“ sind, sondern das mittels Staatsstreich installierte kryptofaschistische Kleptokratenregime im eigenen Land durchleuchten wollten, glaubt einem hingegen kein Mensch, weil man so was ja noch nie gehört hat. Notfalls hilft eine Art Ablenkungshypnose, indem zum Beispiel die Zeitungstitelseite an die Fußball-WM in der argentinischen Militärdiktatur 1978 erinnert und munkelt, in Rußland finde 2018 das gleiche statt.
So geht das ständig. Hören (und folglich denken) wir das Wort „Zitrone“, schmecken wir förmlich die Säure im Mund. Sagt einer „Wachstum“, brodelt im deutschen Bravmenschen die Arbeitsmotivation hoch. Fällt das Wort „Griechenland“, schmerzen uns sofort die Trilliarden von Euros, die von unserem Steuergeld abgesaugt und in die Hosentaschen fauler Mittelmeerkommunisten gepumpt wurden. Daß in selbigen Taschen nie ein einziger Cent davon angekommen ist, ist eine Information, die man sich notfalls schon mal aufdrängen läßt, die aber sofort wieder verblaßt wie ein Regenbogen nach dem Junigewitter, weil das assoziative Sirenengeheul, dem wir an jeder Straßenecke ausgesetzt sind, einfach zu laut und zu dauerhaft plärrt. Wenn dann zwischendurch Italien an der Reihe ist und eine der Parteien, die die letzte Wahl gewonnen haben, niemals ohne den Zusatz „populistisch“ erwähnt wird, springt auf der Stelle die Übertragungsautomatik an.
Iran? Atomprogramm! Israel? Gazastreifen! Palästinenser? Militant! Wahlen? Die Märkte beruhigen! Asyl? Massenhaft! Ermittlung? Fieberhaft! Lohn? Zusatzkosten! Steuer? Senkung! Fachkräfte? Mangel! FC Bayern? Rekordmeister! Es nimmt kein Ende, und das Allerfieseste ist, daß man auf die alles durchdringende Dauerhypnose durch „Themen“-Auswahl und Zusammenhangzwang nicht mal hinweisen darf, ohne mit Vokabeln wie „Putinversteher“ und „Verschwörungstheoretiker“ bombardiert zu werden und sich fragen lassen zu müssen, ob man neuerdings AfD-Anhänger sei, wegen „Lügenpresse!“ und so. Weil der Frame, in dem der Homo papageiens lebt und denkt, sozusagen doppelt abgesichert ist, indem für jeden, der einen anderen Gedanken, ein anderes „Thema“ auch nur „andenkt“, die entsprechende Tonne bereitsteht. So schließen sich die Reihen, und wer nicht für uns ist, ist für die anderen!
Framing ist nichts Neues. Schon unsere Groß- und Urgroßeltern erlebten, daß man nur oft genug Wörter wie „Jude“, „Bolschewismus“ und „Führer“ hören muß, um in einen Gedankenfuror zu geraten, der beim Deutschen meistens dort endet, wo er mittlerweile wieder angekommen ist: an oder ein Stück jenseits der russischen Grenze. Hinterher wacht man dann auf und ist vollkommen ehrlich überzeugt, von all dem nichts gewußt zu haben.
Dabei wissen wir doch alles. Und vor allem wissen wir: Diese „anderen“ gibt es gar nicht. Und „uns“ gibt es in diesem Sinne auch nicht. Sondern überall auf diesem Planeten gibt es annähernd unzählige Menschen, die nichts lieber täten als fröhlich in den Tag hineinleben, im Sommer in Flüsse und Seen springen, sich zärtlich in den Armen liegen und lustige Lieder singen. Die anderen: das sind die, die uns daran hindern. Und die uns dazu bringen, uns selbst daran zu hindern.
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.