Frisch gepreßt #413: The Vaccines „Combat Sports“

Es ist April, da ist der Kleiderschrank dran, genauer gesagt: die Kollektion an Lieblingsband-T-Shirts der letzten zehn Jahre. Hach, sweet nostalgia! Da schwellen Erinnerungen heran an zweisame Frühlingsspaziergänge, Knutschnächte und Bombenparties von 2011, 2013, 2015 … Howler: Wie war das schön! (Jordan Gatesmiths neue Band heißt übrigens Wellness; die dritte von drei sehr erfreulichen EPs erscheint diese Woche, aber ehrlich: Wer zieht ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Wellness“ an?) Palma Violets: the world‘s best-kept big time secret – Nummer-eins-Hits, die niemand kennt, ein zweites Album, das niemand kennen muß, und der mutmaßlich letzte handgeschriebene Liebesbrief dieses Jahrzehnts. (Über Nachfolgebands ist derzeit nichts Konkretes bekannt.)

Und worin kleiden wir uns 2018, in diesem seltsamen Jahr, in dem Gitarren längst noch nicht wieder in Mode kommen können, weil der Kühlschrank randvoll ist mit Resten von der letzten Aufwärmparty? (Man kann sich da irren, vgl. 2001 und The Strokes, späterhin Mitgastgeber fast jeder Aufwärmparty und dieses Frühjahr in Person von Julian Casablancas und The Voidz schon wieder am Kühlschrankfüllen.)

Wenn sonst nichts da ist: nehmen wir The Vaccines. Und schwindeln ein bißchen. Wir verraten zum Beispiel einfach nicht, daß es die Band schon seit 2010 gibt. Wir sagen auch nichts vom NME-Cover im Jahr 2011 und diversen Best-new-Band-Polls. (Daß die Jugend des Jahres 2025 unter „NME“ nur noch ein kryptisches Wortspiel aus einem Sex-Pistols-Song verstehen wird, sagen wir auch nicht.) Wir müssen nicht erwähnen, daß ihre Covers schon immer enorm T-Shirt-kompatibel waren, weil wir sonst gefragt werden, wieso im Lieblingsband-T-Shirt-Kleiderschrank zwischen (circa) Vacationer und (circa) Vibrators eine Lücke gähnt.

Wir müßten sonst zugeben, daß wir das Nummer-eins-Album „The Vaccines Come Of Age“ (schon das zweite, pst) vor fünfeinhalb Jahren zwar hin und wieder gehört haben, zumindest die Singles „No Hope“ und „Teenage Icon“, aber wer sollte davon viel mitbekommen in einer Zeit, die mit der Palma-Violets-Debütsingle „Best Of Friends“ dermaßen zuasphaltiert war, daß zwischendurch höchstens immer noch „America Give Up“ die Ohren enteinseitigen durfte? Nein, drum sagen wir all das nicht.

Des weiteren verschweigen wir die kurzzeitig aufflammende Freude über die „Melody Calling“-EP, weil die auch schon wieder fünf Jahre lang darauf wartet, ein Playlist-Revival zu erleben, und wir dann eventuell in der Bredouille säßen, noch ein Album (das zum Glück keine Hits zu bieten hatte) aufzählen und beiläufig gemeinsame Auftritte mit den Rolling Stones (nach denen sie einen Song benannt haben, der auch noch ziemlich cool ist), Arcade Fire, Stone Roses, Red Hot Chili Peppers, Muse und weiterem Kühlschrank-Kram „einräumen“ zu müssen (und das das Schlimmste ist, was man jemandem antun kann: ihm ein solches Etikett draufbappen). Wir lassen auch die Jesus-&-Mary-Chain-Vergleiche weg, weil sie nicht mehr gelten und wir das „Darklands“-T-Shirt vor Jahren verloren haben.

Wir sagen drum lediglich dies: The Vaccines sind irgendwie eine neue Band (mit zwei neuen Mitgliedern), weil sie sich auf „Combat Sports“ anhören wie nicht wirklich was sonst (auch nicht wie die nicht erwähnten früheren Platten), aber ein ähnliches Gefühl auslösen wie … ähem, Big Star in einem Jahr, das lange genug her ist, um sich zu fragen, ob es da überhaupt schon Kühlschränke gab. Wir sagen: Songs wie „Put It On A T-Shirt“ (!), „Your Love Is My Favourite Band“ und „Surfing In The Sky“ sind schon als Titel Grund genug, den Kühlschrank auszuleeren. Wir sagen: „Young American“ ist ein Lebenssong von annäherndem „This One‘s Different“-Kaliber. Wir sagen: „Combat Sports“ ist eine so prall volle, überschäumende Kiste voller glitzernder, funkelnder, tobender, glänzender, umhauender, trotziger, witziger, elektrisch geladener und hyperarrogant kommerzieller (aber nicht konventioneller) Popmusik, daß mehr dazu nicht gesagt werden muß; alles weitere verkünden die Gitarren, und wenn die nächstes Jahr plötzlich doch wieder in Mode kommen, dann tragen wir ein T-Shirt, das der Welt erklärt, wieso das so ist.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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