Belästigungen 17/2017: Endlich: eine Seite ganz ohne Faschismus! (na gut, nicht ganz ganz …)

A ruft an und berichtet, sie habe sich von V getrennt, weil sie seinen „Ernährungsterror“ nicht mehr ertrage. Ich bitte sie, mit dem Wort „Terror“ am Telephon vorsichtig zu sein, schließlich wisse man nie, ob so eine Bezichtigung für BKA, Polizei, NSA und sonstige Interessierte nicht Anlaß genug sei, V als „Gefährder“ einzustufen und stante pede in irgendein Kriegsgebiet abzuschieben. Ich solle nicht so zimperlich sein, zürnt A, sondern lieber mal was schreiben zu diesem Thema, schließlich sei das der blanke Faschismus.

Nachdem ich vorsichtig aufgelegt, nein: eingehängt, nein: das getan habe, was man heutzutage tut, um ein fernmündliches Gespräch zu beenden (und wofür es leider noch kein Wort gibt), ruft K an und sagt, er versuche seit Stunden, mich anzurufen, könne aber nichts und niemanden erreichen, weil sein Telephon seit ebenso vielen Stunden mit irgendwelchen Updates beschäftigt sei, die er zwar weder wolle noch brauche, gegen die er sich aber auch nicht wehren könne, und wenn dieser Faschismus so weitergehe, werde er das Ding demnächst im Starnberger See versenken. Das sei doch mal ein Thema für einen Kolumnisten, meint er, aber auch auf diese Anregung verzichte ich freundlich.

F wiederum erzählt, er komme sich vor „wie bei Orwell“. Soeben habe er, nachdem er im beginnenden Wolkenbruch minutenlang zunehmend durchnäßt an einer nicht befahrenen Kreuzung gewartet habe, mit geplatztem Kragen sein Fahrrad einfach bei Rot über die leere Straße geschoben. Daraufhin sei aus dem Nichts eine körperlose Lautsprecherstimme erschallt und habe zu seiner und der Verwunderung der übrigen etwa zwanzig vergeblich Wartenden verkündet: „Das Rotlicht gilt auch für schiebende Radfahrer! Auch für den jungen Mann da mit dem gelben Sattel und dem grauen Oberteil, der jetzt wegschaut!“ In Panik sei er in einen Hinterhof geflüchtet und jetzt komplett verunsichert und traue sich nicht mehr hinaus, und dieser Überwachungsterror könne doch nicht so weitergehen.

Ich versuche ihn zu trösten: Polizeibeamte seien auch nur Menschen, denen hin und wieder langweilig werde und die die Tragweite ihrer Scherze nicht immer abschätzen könnten, außerdem sei ihm ja nichts passiert. Er frage sich, was mit mir passiert sei, sagt F, daß ich einst „kritischer Geist“ mich neuerdings zum windelweichen Konformisten gewandelt habe und den reinsten Faschismus als Jux abzutun versuche. Wir vertagen uns.

Ob ich schon die neuesten politischen Analysen gelesen hätte, fragt S, die in dieser Hinsicht bisweilen ein bißchen unerbittlich werden kann: Sämtliche zur Wahl stehenden Parteien seien mittlerweile so weit ins rechtsautoritäre Feld hineingerutscht, daß man sie kaum noch unterscheiden und im Grunde auch gleich die AfD wählen könne. Da müsse man und gerade ich als Kommentator unbedingt den Anfängen wehren und solches anprangern, ehe sich der Faschismus wie in den 30er Jahren durch die parlamentarische Hintertür in die Gesellschaft hineinschleiche und es zu spät sei. Oder so ähnlich. Ja ja, sage ich und rede so lange über Fußball und neue Hip-Hop-Platten, bis sie sprachlos das tut, was man da heutzutage tut.

Als ich N davon erzähle, meint er mit einem hinterhältigen Grinsen, da habe ich ganz recht gehandelt, und es sei doch ein Schmarrn, immer nur auf die AfD einzudreschen, anstatt zum Beispiel mal die positiven Ansätze in der Programmatik der frühen NSDAP hervorzuheben, die totzuschweigen im Grunde ein umgekehrter Faschismus sei, den man keinesfalls … Ich entscheide mich für eine selbstinduzierte Ohnmacht.

Ob ich neuerdings eine Allergie gegen Faschismus habe, fragt mich anderntags Y; sie habe da so einiges gehört, und man sorge sich. Dies sei gut möglich, sage ich, ich wolle darüber aber eigentlich gar nicht sprechen. Aber gut.

Nämlich kriege ich eine ganze Menge Zuschriften von Lesern, meistenteils wohlgesonnen: Das Spektrum reicht von maßlos überzogenem Lob über die Freude an individuellen Beiträgen bis hin zur Aufmunterung, es sei doch alles nicht so schlimm, werde irgendwann sicher besser und ich solle doch auch mal das Schöne im Leben sehen. Was ich übrigens sehr gerne tue, aber diese Kolumne heißt nun mal – und daran bin ich selber schuld – „Belästigungen“ und nicht „Beschönigungen“, für letztere sind andere zuständig.

Neulich indes tanzte einer recht heftig aus der Reihe, nennen wir ihn Herrn J. Er lese, hub Herr J an, „euer Anzeigenblatt recht gerne“, fuhr jedoch in durchaus scharfem Ton bezüglich meiner Kolumne fort: „Dieses hirnverbrannte Dauer-Gemaule dieses eingebildeten, hysterischen Pseudo-Schriftstellers, wozu? Warum diese Scheiße?“ Da seien „überall ‚Faschisten’“ in meinem „Geschmarre“. Dabei sei „der widerlichste Faschist“ doch ich selber, trotz meiner „vorgeschobenen Links-Revolutions-Verbalromantik“. Selbst „ein Julius Streicher“ (1923-45 Herausgeber des „Stürmer“ und der größte Pornosammler der Weltgeschichte) sei gegen mich „noch eine Geistesgröße“. „Tut mir den Gefallen“, schloß Herr J mit herzlichen Grüßen, „und laßt doch einfach mal die letzte Seite leer.“

Wem schwänden da nicht momentan Übermut und Mut, Hybris und Wut, Eifer und Glut? Ich ging in mich und fragte mich bang: Ist da nicht wirklich nach jahrelangem Befüllen so viel Faschismus in mir, daß er notgedrungen oben wieder rausquillt? Drängt es mich nicht auf dem Fußballplatz stets unweigerlich in die Position des Stürmers, und drängte es mich im Leben nicht bisweilen zu jenen (wenn auch gänzlich anderen) „sexuellen Eskapaden“, für die laut Lexikon der Streicher „bekannt“ war?

Wer weiß, wer weiß. Sicher ist jedoch, daß ich – auch wenn es selten so wirken mag – hin und wieder sehr wohl gewillt bin, mich den Wünschen, Ansprüchen und vor allem der aus innerer Not hervorbrechenden Kritik meiner Leser zu fügen. Und deshalb, weil diese Seite leer nun mal nicht bleiben kann, beschloß ich, wenigstens einmal eine Kolumne gänzlich ohne Faschismus zu Papier zu bringen.

Bitte was? Das sei mal wieder grandios daneben, geradezu in die Hose gegangen? Ich bitte um Nachsicht: Der Wille war da.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert