Wenn es im Jazz um Liebe geht, dämmert am rosa Horizont meist ein verwandtes Genre heran, das der Fachmann als „Kazz“ kennt, gerne auch verbrämt als „Quitch“ oder „Shmaltz“. Da blüht die Geige, wabert der Nebel, trocknet der Martiniring unter dem längst abgeräumten Glas zu honigener Klebrigkeit, und die alten blauen Augen schimmern verzöglich im Halbdunkel der endlosen Winzigstunden, gräulich bald und erinnerungsschwanger.
Da herrscht Verläßlichkeit, wie sie das in toten Genres oft und unumschränkt tut: Die Akkorde perlen vertraut und blue, die Drahtbesen behauchen Becken und Felle wie alte, in Fleisch und Blut erschlaffte Partner dies vor der Fernsehglotze tun, und wenn sich mal einer in die Stiefel schmeißt und zum Solieren aufschwingt, muß man sich nicht Sorgen um Herzen, Nerven und schlummernde Aneurysmen. Am Ende trägt man die Interpreten davon in die Namenlosigkeit; könnte ja jeder kommen und tut das auch.
Diana Krall hat die Glätten und seichten Untiefen dessen, was die Welt „Smooth Jazz“ und der erwähnte Fachmann „Shmooze Kazz“ nennt, samt und sonders durchschritten, hat Nat King Cole, Dusty Springfield und Sergio Mendes (neben weiteren Standardstandarten) gecovert, Luxuskarrenreklame, Blockbusterabspänne und eine Astronautenbeerdigung bespielt, die Badablage mit Grammys bestapelt, mit Songs von Elton John, Gilbert O’Sullivan, Billy Joel und den Eagles (wiederum: n. w. St.) immer wieder den berüchtigten „Crossover“ von einem Sonntagnachmittagsradiosender zum nächsten weniger gewagt als halt mal getan. Aber irgendwie ging es ihr wie Moses, der trockenen Fußes das Schilfmeer durchschritt und ohne Fischgeruch an den Sohlen das Ufer des verheißenen Landes betrat: Es bleibt nichts hängen an ihr von Kazz, Quitch, Shmaltz und Shmooze – zumindest nichts, was der mindeste Hauch ihrer katzenartig pelzigen Rauchstimme nicht unmittelbar und nachhaltig vertriebe.
Hey, klar: die Dame hat Elvis Costello geheiratet, einen der letzten auf andere Weise verläßlichen Anker der geschmackvollen Songkunst im Ozean der Beliebigkeiten. Und sie hat nach zwölf Studioalben in dreiundzwanzig Jahren, die (die Alben) sich verkauften wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln (sagen wir mal: gut zwanzig Millionen), besseres zu tun als schnöde Erwartungen zu melken und den Ofen mit genormten Pellets zu beheizen. Und: Sie hat(te) mit Meistern wie Christian McBride, Marc Ribot, Stuart Duncan, Anthony Wilson, Jeff Hamilton, Russell Malone (gerne alle googlen) und dem leider kurz nach Fertigstellung ihres dreizehnten Albums verstorbenen Produzenten Tommy LiPuma eine ideale Auswahl von Menschen um sich, denen es ebenso geht, die ein Jahrhundert Jazz aus dem Ärmel schütteln können, es dann aber nicht einfach so da liegenlassen, sondern mit Nonchalance und einem stillen Lächeln noch aus der abgenudeltesten American-Songbook-Runzel ein bescheiden schimmerndes Goldstück ewiger Gegenwärtigkeit feilen (anstatt selbst glänzen zu wollen, übrigens).
Und dann kommt die Liebe ins Spiel, weil Frühling ist und Mai und überhaupt, und da droht, behagelt und belagert uns so viel unwerter Krach und Döns, daß es nicht nur schön, sondern notwendig ist, die Stille aufzudrehen, sie zu füllen mit ebenso verläßlichen wie stellenweise überraschenden Klängen, an denen nichts falsch, nichts grell, schief, derb, bieder, glatt und kazzig ist, die frei sind von plärrenden unverstandenen Unzuläng/verständlichkeiten. Da nimmt man sich in den Arm und schweigt verknallt, fühlt sich bis in die Haarspitzen und Fingernagelkanten und zieht, wenn die Dämmerung den Horizont fahl erleuchtet, aus dem gertenschlanken Regal der Platten für solche Zeiten und Gelegenheiten (in dem sonst eigentlich nur Bryan Ferrys unverwüstliches „As Time Goes By“ steht) dieses Album. Und fühlt sich wohl, ja.
Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.